Der größtmögliche Beitrag zur Lösung theologischer Streitfragen besteht in der Lehre der Christlichen Wissenschaft, daß eine vernunftgemäße und beweisbar wahre Auslegung der Heiligen Schrift stets mit Gott beginnen muß und keine Begriffe zulassen darf, die nicht mit Seinem vollkommenen, unendlichen Wesen übereinstimmen. Diese Lehre erledigt sofort die Frage in bezug auf das geistige Wesen des Weltalls und des Menschen Gottes. Außerdem gibt sie Auskunft über die Natur des Übels und erklärt das Versöhnungswerk in verständlicher und faßbarer Weise.
Um an der Versöhnung teilzuhaben, schreibt Mrs. Eddy, müssen wir uns „durch Wiedergeburt zu neuem Leben erheben” (Wissenschaft und Gesundheit, S. 24). Diese Erklärung entfernt den Begriff Versöhnung von dem Schauplatz dogmatischer Streitführung und macht ihn zum Gegenstand praktischer Demonstration. Die Auffassung, daß durch das Versöhnungswerk Gottes Zorn beschwichtigt worden sei, oder, wie es moderne Scholastiker ausdrücken würden, daß Jesus durch seinen Tod den Forderungen eines übertretenen göttlichen Gesetzes Genüge getan habe, weicht somit der Überzeugung, daß der Mensch nach dem Vorbilde Jesu seine eigne Seligkeit schaffen muß. An Stelle des passiven Sichverlassens auf das, was Christus Jesus für uns getan hat, tritt die Erkenntnis, daß wir christusgleich werden und die Werke des Meisters tun müssen.
Die meisten theologischen Lehren von der Versöhnung stützen sich auf den Grundgedanken, daß durch den Opfertod Christi Jesu eine Änderung in der Haltung Gottes den Menschen gegenüber stattgefunden habe, wodurch ihr Heil oder ihre Einheit mit Ihm möglich geworden sei. Der Christlichen Wissenschaft gemäß besteht die Versöhnung in der „Veranschaulichung von des Menschen Einheit mit Gott” (Wissenschaft und Gesundheit, S. 18). Sie ist nicht das Mittel zum Zweck, sondern der Zweck selbst. Die Wirksamkeit des Opfers Jesu findet ihre Erklärung darin, daß Jesus für alle Menschen und alle Zeiten die dem menschlichen Bewußtsein innewohnende Macht der Wahrheit und Liebe über Sünde, Krankheit und Tod praktisch demonstrierte. Mrs. Eddy legt diese Anschauung furchtlos dar, wenn sie im weiteren sagt, Jesus habe sein Lebenswerk erfüllt, um den Sterblichen zu zeigen, „wie sie ihr Lebenswerk zu erfüllen hätten, nicht aber, um dasselbe für sie zu tun oder sie einer einzigen Verantwortlichkeit zu entheben.”
Wer das Gleichnis vom verlorenen Sohn als unsres Meisters Auslegung des Evangeliums, als eine mit poetischer Schönheit ausgeschmückte Darstellung der Versöhnungslehre ansieht, dem wird es nicht entgangen sein, daß zur Wiedereinsetzung des Jünglings in sein Sohnesrecht nichts weiter nötig war, als seine reuevolle Rückkehr ins Vaterhaus und sein williger Gehorsam gegen das, was der Vater von ihm verlangte. Wir finden keine Andeutung, daß der Vater beschwichtigt werden mußte, oder daß seine Teilnahme für den Sohn irgendwie abgenommen hätte.
Die Christliche Wissenschaft erleuchtet diesen Gegenstand in wunderbarer Weise, indem sie Gott als unendliche Wahrheit bestimmt. Die Tatsache, daß zwischen dem Forscher auf dem Gebiete der Physik, der Mathematik usw. und den Sätzen seiner Wissenschaft Einheit hergestellt werden muß, gibt uns einen wertvollen Fingerzeig. Diese Einheit kommt zustande in direktem Verhältnis zum Entweichen des Irrtums oder der Unwissenheit des falschen Sinnes; sie tut sich dadurch kund, daß die Fähigkeiten des Forschers stetig zunehmen. Edison z.B. ist durch unablässiges Sinnen und Suchen in den Besitz einer wunderbaren Kenntnis von elementaren Kräften und ihrer Anwendbarkeit gekommen, wodurch er sehr viel zum Wohl der Menschheit beigetragen hat. So ist auch die göttliche Wahrheit stets anwendbar, wenn wir den ernsten Wunsch haben, mit ihr eins zu sein. Sie bedarf keiner Besänftigung, obschon sie allezeit dem Irrtum widersteht. Ihre Hilfsmittel stehen uns zur Verfügung, sobald wir ihre Gesetze erkannt haben und ihnen gehorchen.
Nach der christlich-wissenschaftlichen Auffassung ist Gott die eine unendliche und unveränderliche Wahrheit. Die Versöhnung oder das Einssein mit Ihm wird dadurch erreicht, daß man zum wahren Bewußtsein, zur Erkenntnis der wahren Identität des Menschen erwacht. Wahrheit und ihre Bekundungen, Prinzip und seine Idee, Gott und der geistige Mensch sind also immer eins und bedürfen keiner Aussöhnung. Zwischen Wahrheit und Irrtum kann keine Aussöhnung stattfinden. Unser Einssein mit Gott kommt in dem Maße zustande, wie wir uns das Gemüt oder den Sinn aneignen, der in Christus Jesus war.
