Wie die Priester, so das Volk”, heißt es im Sprichwort. Eine bessere Fassung wäre: Wie das Volk gelehrt worden ist, sich seinen Gott zu denken, so ist es. Menschen, die an einen Kriegsgott glauben, sind Kämpfer. Die Verehrer eines Stammesgottes waren unduldsam gegen andre Völker. Nur wer den „Gott und Vater unsers Herrn Jesu Christi” anbetet, sucht dem gleich zu werden, der uns diesen Gott geoffenbart hat.
Der „Offenbarung Jesu Christi” ging jedoch eine lange Vorbereitungszeit voraus. Seit uralten Zeiten hat es Menschen gegeben, die sich der ihnen zuteil gewordenen Segnungen bewußt waren und Gott als den Quell alles Guten anerkannten. Sie haben uns die unvergänglichen Bücher der Bibel gegeben. Mrs. Eddy sagt: „Gott ist universell, auf keinen Ort beschränkt, durch kein Dogma bestimmt, von keiner Sekte in Beschlag genommen. Für einen so gut wie für den andern ist Gott als göttliches Leben, göttliche Wahrheit und göttliche Liebe demonstrierbar; und Sein Volk sind diejenigen, die Ihn wiederspiegeln — die Liebe wiederspiegeln” („Miscellaneous Writings“, S. 150).
In all den Jahrhunderten hat die Menschheit nach dem gesucht, was dauernden Wert hat und das Sehnen des Herzens befriedigt. Von falschen Vorstellungen betrogen, zählen die Menschen „ihr Geld dar, da kein Brot ist”, und tun Arbeit, da sie „nicht satt von werden.” Wir ersehen jedoch aus der Heiligen Schrift, daß es von jeher Männer gegeben hat, welche die wirkliche Wahrheit gefunden haben — nicht die Scheinwahrheit der aufblühenden und bald wieder verwelkenden Theorien ihrer Zeit, sondern die Wahrheit, die von Ewigkeit zu Ewigkeit unverändert bleibt. Diese Wahrheit hat ihre sicheren Beweise, unter welchen vor allem das Heilen zu nennen ist — sei es das Heilen von vereinzelt auftretenden Krankheiten, oder von verheerenden Seuchen, oder von nationaler Furcht, die das Hereinbrechen von Not und Elend begünstigt. Sobald die Wahrheit erscheint, vernichtet sie den Irrtum, der sich als Wahrheit gegeben hat und für wirklich angesehen worden ist. Es war die große Aufgabe der Propheten, die Menschen auf das Wirkliche aufmerksam zu machen, wenn sie vom Unwirklichen gefesselt waren und infolgedessen Götzendienst trieben. Sie suchten wahre Gottesverehrung und wahre Liebe in die Herzen eines Volkes zu pflanzen, das immer wieder zu den veränderlichen gottesdienstlichen Bräuchen und dem Aberglauben des Heidentums zurückkehrte. Sie verkündigten einen Gott, der gegen alle Seine Geschöpfe gütig ist. „Die Erde ist voll der Güte des Herrn”, lesen wir in den Psalmen; und wiederum: „Wie teuer ist deine Güte, Gott, daß Menschenkinder unter dem Schatten deiner Flügel Zuflucht haben!”
Enoch, Noah und Abraham
Der Psalmist hatte die grundlegende Wahrheit erkannt, als er schrieb: „Du tust mir kund den Weg zum Leben; vor dir ist Freude die Fülle”. Enoch kannte diesen Weg. Es heißt von ihm, er „wandelte stets mit Gott” [Zürcher Bibel]. Der Verfasser der Epistel an die Ebräer erklärt, Enoch habe „Zeugnis gehabt, daß er Gott gefallen habe”; daher ward er „weggenommen, daß er den Tod nicht sähe”. Die Christen im allgemeinen erwarten, daß sie nach dem Tode in der Gegenwart Gottes „Freude die Fülle” haben werden. Enoch jedoch bewies, daß Gottes Gegenwart schon hier aus Erden Freude und Leben bedeutet. Auch Noah trat in Gemeinschaft mit Gott und war ein „Prediger der Gerechtigkeit”, wie Petrus ihn nennt. Weil er mit der göttlichen Weisheit in Beziehung stand, bereitete er die Arche „zum Heil seines Hauses, da er einen göttlichen Befehl empfing von dem, das man noch nicht sah.”
In der Art und Weise, wie sich Abraham Gott zuwandte, liegt eine tiefe Bedeutung. Dem inneren Trieb des Glaubens folgend, gab er seine Aussichten auf Reichtum und Ehre daran, um frei zu sein von der Verehrung fremder Götter und von den Ansprüchen, die götzendienerische Verwandte an ihn stellten. Er war ein ernster Gottessucher; er lernte Gott erkennen als den „höchsten Gott, der Himmel und Erde geschaffen hat.” Der Apostel Jakobus sagt von ihm, er sei „ein Freund Gottes geheißen”. Es ist somit nicht schwer zu erkennen, wie untrüglich die Verheißung war, daß „alle Völker auf Erden in ihm gesegnet werden” sollten. Abraham sowohl wie Enoch pflegten Freundschaft mit Gott und kannten daher Seine Liebeshuld gegen den Menschen. Diese Tatsache sollte uns trösten und ermutigen. Wegen seines klaren Begriffs von der unendlichen Güte Gottes wird der Erzvater von Paulus der „treue Abraham” genannt; und anderswo beschreibt dieser Apostel die Getreuen als solche, die da „wandeln in den Fußtapfen des Glaubens, welcher war in unserm Vater Abraham.”
Der Patriarch schaute jedoch mit prophetischem Blick weit in die Zukunft und erkannte, daß die errettende Wahrheit von der Liebe Gottes in weit höherem Grade demonstriert werden müßte, als es ihm möglich war. Daher konnte der große Prophet von Nazareth zu den Juden sagen: „Abraham, euer Vater, ward froh, daß er meinen Tag sehen sollte, und er sah ihn und freute sich.” Von der Höhe seines Glaubens aus sah Abraham die Zeit voraus, da Gottes Liebe unwiderleglich bewiesen werden würde durch die Offenbarung Seines Sohnes, der das Wesen Gottes durch die Erfüllung Seines Willens kundtun sollte.
Das mosaische Gesetz
Auch Moses tat Blicke in die Zukunft. Er versprach seinem Volke einen Propheten, von dem der Herr gesagt hatte: „Ich will ... meine Worte in seinen Mund geben; der soll zu ihnen reden alles, was ich ihm gebieten werde.” Moses erlangte, ebenso wie Noah, eine höhere Erkenntnis von dem Wesen Gottes. Trotz der schweren Anfechtungen, die ihn befielen, „hielt [er] sich an den, den er nicht sah, als sähe er ihn.” Obschon er in aller Weisheit der Ägypter erzogen war, fand er doch Gott erst dann, als er sich eine Zeitlang allein in der Wüste aufgehalten hatte und der Engel des Herrn ihm erschienen war. Alsdann unterwies ihn die göttliche Weisheit. Er erhielt einen neuen Namen für den Gott der Väter, den Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs, nämlich: der große Ich Bin — das durch sich selbst bestehende, ewige und unveränderliche Sein.
Es ist augenscheinlich, daß die zehn Gebote, welche später folgten, nicht bloße Sittenlehren waren, die auf der Weisheit der Ägypter beruhten, wie manche behauptet haben. Vielmehr entsprangen sie der Erkenntnis, daß Gott der Quell des ewigen Lebens ist, und daß Seine Liebe von den Menschen Liebe gegeneinander fordert. Sie verkünden den Ich Bin, aber auch zugleich das unveränderliche Sittengesetz. Die heidnischen oder Abgötterei treibenden Völker wußten nichts von diesem Sittengesetz, denn ihre eingebildeten Gottheiten stießen einander vom Thron und waren vergänglich. Ein streng sittlicher Lebenswandel, der ja nur auf dem Verständnis der Gebote des wahren Gottes beruht, war den Heiden fremd. In diese Dunkelheit und Verwirrung hinein brachte Moses das Sittengesetz, welches das unveränderliche Sein Gottes zur Grundlage hat. Die Menschen sollen also deshalb liebevoll gegeneinander sein und sich deshalb der Unehrlichkeit, der Unlauterkeit, der Falschheit, der Habgier und des Hasses enthalten, weil ihnen durch diese Irrtümer die Erkenntnis ihres wahren Seins verloren geht. Nur durch Gehorsam können sie mit dem Unvergänglichen in Einklang kommen und auf dein wahren Weg zum Leben die himmlischen Freuden finden. Würden z. B. in unsern Tagen alle Menschen das Gebot befolgen, welches die Habsucht verbietet, welch eine Veränderung würde das herbeiführen! Habsucht ist das Verlangen nach dem materiellen Guten, das einem andern gehört; sie führt zu Unehrlichkeit, Betrug, Grausamkeit und Mord. Die Erkenntnis, daß das göttliche Sein der Quell aller Segnungen ist, veranlaßt uns dazu, unser eignes Gutes zu pflegen und zu entwickeln. Sie führt einen Wechsel von der Selbstsucht zur wahren Wohltätigkeit herbei, wie er in der folgenden Stelle zum Ausdruck kommt: „Wer gestohlen hat, der stehle nicht mehr, sondern arbeite und schaffe mit den Händen etwas Gutes, auf daß er habe zu geben dem Dürftigen.”
Das Zeugnis der Propheten
Der Allmächtige wird in der Bibel öfters als „der Gott Abrahams und der Gott Isaaks und der Gott Jakobs” bezeichnet. Das unaufhörliche Sein und die Gerechtigkeit Gottes leiden dadurch keinen Abbruch, daß jeder einzelne von den Erzvätern, „ein Mensch [war] gleich wie wir”, wie von einem der Propheten gesagt ist. Ein Tadel gegen diese Männer ist kein Tadel gegen die Wahrheit, die sie teilweise erfaßt hatten. Nachdem Jakob mit seiner fleischlichen Natur gekämpft hatte und dadurch zur geistigen Erkenntnis durchgedrungen war, die ihm ein Anrecht auf den Namen Israel gab, wurde das göttliche Wesen von den Nachkommen dieses Erzvaters als „der Gott Israels” bezeichnet.
David, der sittenreine Jüngling, trat dem Goliath, welcher das Heer der Kinder Israel herausgefordert hatte, mit einem unerschütterlichen Vertrauen auf den Gott Israels entgegen. In seinem Glauben und seiner Treue war er gewiß ein Mann nach dein Herzen Gottes. Als der Erfolg und das Leben am Hof sein Bewußtsein verdunkelt hatte, so daß er in Sünde verfiel, kostete es ihn schwere Kämpfe und bittere Reuetränen, bis er wieder zu dem Gott Israels in Beziehung getreten war. Diesen Gott der Lauterkeit und der absoluten Gerechtigkeit bezeugten die Propheten. Mehrere von ihnen erreichten den geistigen Höhepunkt, von wo aus sie die Allmacht der göttlichen Liebe wahrnehmen konnten. Dies befähigte sie, andern Trost und Heilung zu bringen.
Elisa erweckte den Sohn der Witwe von den Toten, so daß dieser fortfahren konnte, die göttliche Liebe zu bezeugen, die den Haushalt zur Zeit der Hungersnot mit dem Nötigen versorgt hatte. Elias bewies auf mancherlei Art die Liebeshuld des Gottes Israels. Als er den Syrer Naemann vom Aussätze heilte, bewies er, daß der Gott, dem er diente, der Gott der ganzen Welt ist. Die Könige von Babylon, sowie auch Darius, der Eroberer, welcher Daniels Beweis von der göttlichen Liebe und Fürsorge gesehen hatte — auch sie kamen dahin, daß sie den Gott Israels als den über allem erhabenen Gott anerkannten. Jesaja, Jeremia und Hosea erkannten Gott als den Quell der Heilung und Gesundheit. Daß diese Erkenntnis allgemein werden würde, sah Habakuk voraus, als er schrieb: „Denn die Erde wird voll werden von Erkenntnis der Ehre des Herrn, wie Wasser das Meer bedeckt.” Und Maleachi erklärt, indem er ein andres Sinnbild gebraucht, „die Sonne der Gerechtigkeit” werde über den Menschen aufgehen und ihnen ihre heilenden Strahlen senden. All diese Propheten sahen das Kommen dessen voraus, der das Wesen des über alle Völker herrschenden Gottes durch untrügliche Beweise dartun würde. Wenn sich Abraham freute im Hinblick auf das Kommen dessen, der die wahre Erkenntnis Gottes besitzen würde, um wie viel größer sollte nicht unsre Freude sein, die wir so „mancherlei Erweisungen” erhalten haben, und die wir Gott nicht nur als den „Gott Abrahams”, den „Gott Isaaks” und den „Gott Jakobs” oder als den „Gott Israels” kennen, sondern auch als den Gott und Vater „unsres Herrn Jesu Christi”.
Gott wird da am besten erkannt, wo man am meisten sein Wesen zum Ausdruck bringt. Für ihre Zeit hatten die Propheten gewiß einen hohen Grad der Gotteserkenntnis erlangt; für die Welt im allgemeinen jedoch bilden Jesu Worte und Werke und seine Gerechtigkeit die volle Offenbarung der Liebe Gottes gegen die Menschen. Durch ihn ist das Hoffen und Sehnen der Propheten in Erfüllung gegangen.
Das Zeugnis des Sohnes
Die Propheten verharrten ruhig und getrost in ihrer Hoffnung. „Da aber die Zeit erfüllet ward, sandte Gott seinen Sohn, ... daß wir die Kindschaft empfingen.” Der hervorragendste Kennzug des Sohnes war Gehorsam. Er sagte: „Ich bin vom Himmel kommen, nicht daß ich meinen Willen tue, sondern des, der mich gesandt hat.” Auf Grund dieses Gehorsams schrieb er sich ein klares Urteil zu, indem er sagte: „Mein Gericht ist recht; denn ich suche nicht meinen Willen, sondern des Vaters Willen, der mich gesandt hat.” Mit den Worten: „Meine Speise ist die, daß ich tue den Willen des, der mich gesandt hat”, deutete er an, daß sein Gehorsam gegen Gott geradezu den wesentlichen Bestandteil seines Lebens ausmachte.
Der Sohn war also eine Bekundung des selbsttätigen Gehorsams gegen den Willen des Vaters. Daher ist es uns möglich, das Wesen des Vaters nach den Worten und Werken des Sohnes zu beurteilen. Diesen Prüfstein erkannte Jesus an; ja er wollte nach demselben beurteilt sein, denn er sagte: „Tue ich nicht die Werke meines Vaters, so glaubet mir nicht; tue ich sie aber, glaubet doch den Werken, wollt ihr mir nicht glauben, auf daß ihr erkennet und glaubet, daß der Vater in mir ist und Ich in ihm.”
In folgenden Worten gibt uns Jesus eine volle Erklärung seiner Einheit mit dem Vater: „Wer mich siehet, der siehst den Vater; ... die Worte, die ich zu euch rede, die rede ich nicht van mir selbst. Der Vater aber, der in mir wohnet, derselbige tut die Werke. Glaubet mir, daß ich im Vater und der Vater in mir ist: wo nicht, so glaubet mir doch um der Werke willen.”
Gott durch Werke geoffenbart
Es ist für uns von der größten Wichtigkeit, sowohl die Werke wie die Worte Christi Jesu genau zu betrachten, wofern wir Gott so erkennen wollen, wie Christus Jesus ihn geoffenbart hat. Als der mutlose und zweifelnde Johannes seine Jünger zu Jesus sandte, bewies dieser sein Anrecht auf das Amt eines Botschafters Gottes dadurch, daß er den Boten auftrug, ihrem Führer zu erzählen, was sie in bezug auf die heilende und erlösende Macht Gottes gesehen hatten.
In dem Maße, wie wir uns vom Dogmentum und von menschlichen Theorien abwenden und den Werken Jesu, die ihm der Vater aufgetragen hatte, unsre Aufmerksamkeit schenken, in dem Maße erlangen wir einen vereinfachten und trostbringenden Begriff von Gott. Wir erkennen dann, daß Gottes Liebeshuld gegen die Menschen, welche die Patriarchen und Propheten erkannten und öfters bewiesen, in ihrer vollen Klarheit durch die Lehren Christi Jesu kundgetan und durch seine wunderbaren Werke demonstriert wurde.
Es ist nicht zu verwundern, daß die Liebe gegen Gott, welche im Herzen derer aufquoll, die die Wahrheit über Gott von dem Meister gehört hatten, in ihnen die Gesinnung des Meisters erweckte, so daß sie „gleiche Liebe” hatten und „einmütig und einhellig” waren. Die erste Aufgabe der kleinen Schar der Gläubigen bestand darin, ihre Feinde zu besiegen. Nur aus denen, die der Lehre Jesu fremd oder feindlich gegenüberstanden, konnten Anhänger gewonnen werden. Durch die stete Milde und Freundlichkeit dieser Gläubigen, durch ihre Beweise der Liebe untereinander und im Umgang mit ihren Mitmenschen überwanden sie ihre Feinde, indem sie sie zu Freunden machten.
Universelle Liebe
Das Judentum war so weit vorgeschritten, daß es Gott als den Vater eines einzelnen Volkes erkannte. Jesus nun gab dem Trost, welchen die wahre Erkenntnis Gottes gewährt, eine erhöhte Wirkung, indem er lehrte, daß sich die Fürsorge Gottes auf den einzelnen Menschen erstreckt. So sagte er z. B.: „Nun sind auch eure Haare auf dem Haupte alle gezählet.” Sein Heilungswerk brachte den Menschen ein erhöhtes Gefühl von dem Nahesein der göttlichen Liebe und ihrer Fähigkeit und Bereitwilligkeit, der Notdurft eines jeden abzuhelfen. Von dieser liebevollen Beziehung zwischen Gott und dem Menschen sagt Paulus: „Mein Gott aber erfülle alle eure Notdurft nach feinem Reichtum in der Herrlichkeit in Christo Jesu.”
Paulus erkannte sehr bald die Allumfassenheit des Christentums. Während die andern Apostel sich über den abrahamitischen Ritus der Beschneidung besprachen, den mehrere von ihnen für eine Vorbedingung zur Erlangung des ewigen Lebens hielten, hatte er den allumfassenden Begriff von der Erlösung, wie ihn Jesus verkündete, als er sagte: „Ich bin das Licht der Welt; wer mir nachfolget, der wird nicht wandeln in Finsternis, sondern wird das Licht des Lebens haben.” Im Römerbrief berichtigt Paulus den nationalen Mißbegriff, wenn er die Frage stellt und sie selbst beantwortet: „Ist Gott allein der Juden Gott? Ist er nicht auch der Heiden Gott? Ja freilich, auch der Heiden Gott.”
Jesus hob das moralische Gesetz Mose über die willkürliche und beschränkte Deutung empor und machte es zur Richtschnur für alle Menschen. Er legte klar und deutlich dar, was verschiedene vor ihm nur unklar erkannt hatten, nämlich, daß die Liebe Gottes gegen den Menschen des Menschen Wohlwollen gegen den Menschen fordert. Daher faßt er das ganze Gesetz in den Worten zusammen: „Du sollst Gott, deinen Herrn, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von allen Kräften und von ganzem Gemüte, und deinen Nächsten als dich selbst.”
Des Menschen Wohlwollen gegen den Menschen
Die Christliche Wissenschaft führt uns zu der Erkenntnis, daß das Gebot der Nächstenliebe nicht in materieller Weise ausgelegt werden darf. Der Alkoho liker mag denken, er erfülle dieses Gebot, wenn er seinen Freund dazu veranlaßt, sich auch dem Trunk zu ergeben. Oft wird der Nächste durch das, was ein andrer für gut hält und ihm aufdringen will, unglücklich gemacht. Liebe wirkt weder durch böse Gewohnheiten, noch durch Furcht und Besorgnis. Unlängst las ich von einer älteren Dame, deren Söhne und Töchter sie offenbar von einem falschen Standpunkte aus liebten. Sie war von Natur eine rege und tätige Person, mußte es sich aber gefallen lassen, stets von einem Mitglied der Familie bewacht zu werden, damit sie sich ja nicht überanstrenge. Hatte sie ihr Umschlagtuch vergessen, so gab es laute Proteste; ging sie bei kühlem Wetter spazieren, so bekam sie Vorwürfe. Jeder Mundvoll, den sie aß, wurde beobachtet, und stets stand jemand neben ihr, der sie vor dieser Speise und vor jenem Getränk warnte. Diese tyrannische Fürsorge war einfach das Ergebnis von Furcht. Ohne Zweifel liebten die Kinder sich selbst von dem Standpunkte der Furcht und Sorge aus, und sie wollten ihre Mutter so lieben wie sich selbst. Daher suchten sie sie durch Warnung vor eingebildeten Gefahren zu beherrschen, handelten aber dadurch geradezu in gesetzloser Weise.
Das erste Gebot muß die erste Stelle im Bewußtsein einnehmen. Wenn es befolgt wird, flieht die Furcht und es herrscht Friede. Der beste Dienst, den man einem andern erweisen kann, besteht darin, daß man ihn: die Wahrheit über Gott und den Menschen mitteilt und sie ihm beweist. Um dies tun zu können, muß man erst selbst die Erkenntnis Gottes erlangt haben. Wer das vollkommene Wesen Gottes erkannt hat, kann nicht umhin, Gott von ganzem Herzen zu lieben. Sodann muß er erkennen lernen, was dieser Gott für die Menschen tut. Wenn das geschehen ist, treten Gesundheit und Friede an Stelle von Furcht und Sorge. Der Mensch ist alsdann imstande, seinen Nächsten wahrhaft zu lieben, indem er sich für ihn die gleiche Liebe vergegenwärtigt, durch welche er selbst gesegnet worden ist. Wenn er wahre Liebe zu Gott hat und von diesem Standpunkte aus sich selbst liebt, und wenn er danach trachtet, die göttlichen Eigenschaften zum Ausdruck zu bringen, durch welche die entgegengesetzten Eigenschaften vertrieben werden, dann ist er imstande, die Nächstenliebe zu beweisen, die keine Sorgenlast aufbürdet und nicht durch ungebührliche Einmischung zum Ausdruck kommt, denn sie offenbart die von der göttlichen Liebe dargebotene Befreiung von Krankheit und Kummer.
Die Fortdauer des Lebens
Man hat die Christlichen Wissenschafter oft getadelt, weil sie sich nicht nach der krankhaften Art der mittelalterlichen Theologie in den Kreuzestod Jesu vertiefen. Nun ist aber der Grundton des neuen Testaments die Auferstehung — die Freude darüber, daß das Glück des Lebens unvergänglich ist und daß der Tod keine Macht hat. Gott führte nicht den grausamen Tod Jesu herbei, sondern durch die Liebe Gottes wurde dein Meister die Auferstehung möglich. Die Kreuzigung brachte die Bosheit der Sterblichen ans Licht. In der Fortdauer des Lebens Jesu wurde die unauflösliche Beziehung des Menschen zu Gott geoffenbart.
Das Verhör Jesu ist das hervorragendste Beispiel der Ungerechtigkeit, das die Welt je gesehen hat. Der Meister war bereits durch grausame Geißelhiebe erschöpft, ehe er gekreuzigt wurde. Durch den Speerstich wurde er, dem sterblichen Sinn zufolge, doppelt getötet. Und dennoch bewies er durch seine Auferstehung, daß sein Leben vom tiefsten Haß und von der größten Grausamkeit der Sterblichen unberührt geblieben war. Seine Demonstration bewies, daß das Leben fortdauernd ist, wenn es die Eigenschaft der Liebe hat. Er verblieb im Lichte des Lebens, während die Erde erbebte und die Finsternis menschlichen Hasses und menschlicher Furcht das Land bedeckte. Auf diese Weise offenbarte er den Menschen aller künftigen Zeiten die Bestimmung derer, die Freunde Gottes sind. Um der Missetat der Sterblichen willen ward er gepeinigt, und der Kummer, den die Ungerechtigkeit der Welt bereitet, vereinigte sich in ihm zum Brennpunkte, damit er den erhabenen Beweis geben könnte, daß Gott nahe ist, selbst wenn der menschliche Sinn sich für verlassen hält. Wir sehen also, wie der Vater für den Sohn „dem Tod die Macht hat genommen”, und durch ihn „das Leben und ein unvergänglich Wesen ans Licht gebracht” hat.
Die finsteren Jahrhunderte
Verstanden die Menschen die Offenbarung Christi Jesu, und kamen sie unter den Gehorsam gegen das Sittengesetz, das Moses zuerst gab und dessen höhere Bedeutung des Meisters „Gnade und Wahrheit” offenbarte? Ist die Welt der Notwendigkeit des strengen „du sollst nicht” entwachsen, und hat sie die Leitung dessen anerkannt, der erklärt hat, wie man auf Erden „selig” sein kann? „Selig sind die Barmherzigen”, sagte er. Ist die Welt barmherzig geworden und hat sie Barmherzigkeit erlangt? Hat sie verstanden, was der Meister meinte, als er von seinem neuen Gebot sprach, und drückt sie die Liebe aus, die er bewies? Eine Reihe von Jahren zeigten sich die Nachfolger des Christus als Friedfertige, als „Gotteskinder”. Sie bewiesen die Barmherzigkeit Gottes durch das Heilen der Kranken und waren demütig und liebevoll. Aber schon vor Ende des dritten Jahrhunderts war das Gefühl der Barmherzigkeit und die Fähigkeit des christlichen Heilens zum großen Teil verloren gegangen. Das tönende Erz und die klingenden Schellen des religiösen Streites übertönten das wahre Christentum.
Nun trat die Welt in die sogenannten finsteren Jahrhunderte ein. Des Propheten Amos Ankündigung einer Hungersnot schien in Erfüllung gegangen zu sein — nicht ein „Hunger nach Brot oder Durst nach Wasser, sondern nach dem Wort des Herrn zu hören”. An Worten fehlte es nicht, aber ihre friedenbringende Kraft, von welcher der Psalmist sagt: „Er sandte sein Wort und machte sie gesund und errettete sie, daß sie nicht starben”, war nur noch wenigen bekannt. Friedrich der Große sagte einst, wenn er auf die vergangenen Jahrhunderte zurückblicke, so könne er sich die Menschen nicht anders als irrsinnig denken. Zehn Millionen Menschen sind den religiösen Verfolgungen zum Opfer gefallen. Diejenigen, die behaupteten dem zu folgen, der die göttliche Liebe geoffenbart und sie durch das Heilen der Kranken und die Bekehrung der Sünder bewiesen hat, gebrauchten ihre Macht und ihren Einfluß dazu, ihre Mitmenschen zu foltern und zu töten. Wie konnten Demut und Barmherzigkeit so weit verloren gehen, daß das grausame Werk des Scharfrichters an Stelle der segensreichen Tätigkeit des Friedensstifters trat!
Der Glaube, der nicht stirbt
Und doch bewies sich der Glaube als unsterblich. Da und dort unter den Armen und Geringen gab es Hüter der göttlichen Offenbarung — Menschen, die einen „reinen und unbefleckten Gottesdienst” pflegten. Dann kam die Reformation. Sie gab der Christenheit neue Anregung und höhere Ideale. Ganz besonders im vorigen Jahrhundert wurde der Glaube im Herzen der Menschen rege. Die Menschen machten es sich wieder zur Aufgabe, Nächstenliebe zu beweisen. Sie taten sich zu Wohltätigkeitsvereinen aller Art zusammen. Innerhalb wie außerhalb der Kirche trachtete man danach, die Wohlfahrt der Menschheit zu fördern.
Einige dieser Gruppen jedoch suchten Vorteile für sich zu gewinnen und ließen sich Ungerechtigkeit zu schulden kommen; andre lagen miteinander im Streit. Der neuerwachte religiöse Drang bedurfte offenbar der rechten Führung. Diese Zustände ließen erkennen, daß die Zeit für neue Segnungen reif war, und daß die Worte des Jesaja in Erfüllung gehen sollten: „Und soll geschehen, ehe sie rufen, will Ich antworten; wenn sie noch reden, will Ich hören.”
Das Offenbaren der Gesundheit
Die Christliche Wissenschaft wurde der Welt dadurch zuteil, daß eine gottergebene Frau die Liebe Gottes bewies und die Bedeutung der folgenden Worte des Jesaja genau erfaßte: „Weißt du nicht? hast du nicht gehört? Der Herr, der ewige Gott, der die Enden der Erde geschaffen hat, wird nicht müde noch matt; sein Verstand ist unausforschlich. Er gibt den Müden Kraft und Stärke genug dem Unvermögenden.”
Als Mrs. Eddy „müde und matt” bis nahe an die Pforte des Todes gekommen war, fühlte sie den Antrieb des Geistes, der ungesehen kommt, wie ein Windhauch. Der inneren Stimme gehorchend, ließ sie sich die Bibel geben und las die Erzählung von der Heilung des Gichtbrüchigen, den seine Freunde zu Jesu Füßen gelegt hatten. Es wurde ihr plötzlich klar, daß die Kraft, die damals zugegen war und Heilung bewirkte, zu allen Zeiten dieselbe sein muß und nie abwesend sein kann. Auf diese göttliche Kraft verließ sie sich, denn von anderswo her war keine Hilfe zu erwarten. Und Gott gab ihr Kraft, so daß sie neues Leben fühlte, ihr Krankenlager verließ und sich für gesund erklärte. Als die Frage an sie gerichtet wurde, ob denn Christus wiedergekommen sei, antwortete sie, er habe uns nie verlassen. In späteren Jahren schrieb sie im Hinblick auf diese Erfahrung: „Es war die lebendige, pulsierende Gegenwart des Christus, der Wahrheit, welche die Kranken heilte” (Wissenschaft und Gesundheit, S. 351).
Diese Worte stehen im Einklang mit den Worten des Apostels Paulus, wenn er Christus die göttliche Kraft und göttliche Weisheit nennt. Auch Lukas, der Arzt, schreibt in diesem Sinne, indem er das geistige Heilverfahren des Meisters mit den Worten erklärt: „Und die Kraft des Herrn ging von ihm und half jedermann.”
Die Entdeckung des Gesetzes
Es wird nicht behauptet, daß die obenerwähnte Erfahrung Mrs. Eddys einzig dastehe. Wo auch immer geistiges Verlangen und erhebender Glaube zu finden war, hat es Menschen gegeben, die in gewissem Maße die Güte Gottes erkannten und sie bewiesen. In Zeiten religiöser Erweckung ist das Predigen des Evangeliums oft von Heilungen begleitet gewesen. So war es in Deutschland während der Reformation. Luther heilte seinen Freund Melanchton, als dieser dem Tode nahe war. Auch zur Zeit der großen religiösen Bewegung in England, aus welcher der Methodismus hervorging, wurden viele Heilungen vollbracht. John Wesley erzählt von mehreren solchen Fällen.
Unter der großen Zahl derer jedoch, die durch „das Gebet des Glaubens” geistige Erkenntnis und Heilung von körperlichen Leiden erlangt hatten, war Mrs. Eddy die einzige Person, die sich ihre Erfahrung so zunutze machte, daß sie das Gesetz oder das Prinzip entdeckte, welches ihrer Erfahrung zugrunde lag. Sie erklärte, diese Erfahrung habe die gleiche Bedeutung für sie gehabt, wie der fallende Apfel für Newton. Durch tiefes Denken gelangte sie zu richtigen Folgerungen, die dann zu einer Entdeckung führten. Wir lesen, daß Paulus nach seiner Bekehrung sich auf drei Jahre nach Arabien zurückzog, um da Gelegenheit zu finden, sich auf das große Werk, das er betreiben sollte, vorzubereiten. Auch Mrs. Eddy empfand es als eine Notwendigkeit, in die Stille zu gehen, und zog sich daher auf drei Jahre von der Welt zurück, um durch ernstes Forschen in der Bibel die Erkenntnis zu erlangen, welche den Werken der Apostel und Propheten zugrunde lag.
Mrs. Eddy besaß, wie kein andrer Forscher auf dem Gebiete der Theologie, die Fähigkeit, die Grundwahrheit der Heiligen Schrift zu erfassen, denn sie durfte in ihrem eignen Leben einen Beweis der heilenden Kraft der göttlichen Liebe erfahren, der denen, die in der Bibel aufgezeichnet sind, sehr ähnlich war. Die Bibelforscher vor ihr hatten mehr die Worte der Heiligen Schrift beachtet und sie dazu benutzt, ihre eignen Theorien zu stützen; Mrs. Eddy hingegen wandte sich hauptsächlich den aufgezeichneten Werken Jesu zu und suchte dieselben im Hinblick auf ihre eigne Erfahrung zu ergründen. Auf diese Weise wurde ihr das Wesen der sogenannten Wunder vollkommen klar. In „Retrospection and Introspection“ erklärt sie (S. 26): „Die in der Bibel aufgezeichneten Wunder, die früher übernatürlich erschienen, wurden nun göttlich natürlich und verständlich.” Als ihre Entdeckung vollständig war, legte sie in überzeugender Weise dar, daß dieselbe sich auf die Lehren und Demonstrationen unsres großen Meisters und das Leben der Propheten und Apostel gründet. (Siehe Wissenschaft und Gesundheit, S. 126.)
Wahrlich, das Zeitalter des praktischen Christentums ist gekommen. Die Propheten wußten, daß die Dinge, welche sie sahen und verkündeten, bewiesen werden würden. Petrus sagte in bezug hierauf: „Alle Propheten von Samuel an und hernach, wieviel ihrer geredet haben, die haben von diesen Tagen verkündiget.”
Das Zeitalter der Hoffnung und des Glaubens
Die Zeit der Propheten war die Zeit der Verheißung, die Zeit des Hoffens und Erwartens; aber die Erfüllung ihrer Hoffnungen verzögerte sich. „Diese alle haben durch den Glauben Zeugnis überkommen und nicht empfangen die Verheißung.” Was erhofften sie? Lassen wir den Propheten Jesaja antworten: „Alsdann werden der Blinden Augen aufgetan werden, und der Tauben Ohren werden geöffnet werden; alsdann werden die Lahmen lecken wie ein Hirsch, und der Stummen Zunge wird Lob sagen.” Ferner sagt er von den Erlösten des Herrn: „Freude und Wonne werden sie ergreifen, und Schmerz und Seufzen wird entfliehen.” Solcher Art waren die Erwartungen der Propheten.
Dann kam die Zeit der Offenbarung des Christentums. Die Demonstrationen des Meisters und seiner Apostel enthüllten die Tatsache, daß Gott die Menschen zu ihrem Heil regiert, und daß Er durch ihre Erlösung geehrt wird. Die Apostel sahen die Verheißungen der Propheten in Erfüllung gehen; aber im Verlauf der Jahre fingen die Menschen an, die Erfüllung der Verheißungen in ein zukünftiges Leben zu verlegen. Es war das christliche Zeitalter, aber leider das Zeitalter des doktrinären Christentums. Alles rührte sich, und einer sagte zu dem andern: „Erkenne den Herrn!” So entstanden eine Menge von Sekten, von denen eine jede ihren eignen Weg zur Seligkeit anpries. Man glaubte, die Erlösung gehe von einer erlösenden Person aus und gelte nur einer gewissen Anzahl von Menschen.
Fragen der Übergangsperiode
Nach und nach machten sich die Anzeichen eines Übergangs bemerkbar. Die Kirche begann weniger Gewicht auf das Dogma und mehr Gewicht aus einen lebendigen Glauben zu legen, Sie fügte ihrem Gottesdienst den Dienst zum Wohl des Mitmenschen hinzu. Auch außerhalb der Kirche erwachte man immer mehr zur Erkenntnis der Pflichten des Menschen gegen den Menschen, Fragen wurden laut in bezug auf die Macht des Übels, der man sich so lange unterworfen hatte, in der Hoffnung auf Unsterblichkeit und Glück nach dem Tode. Die Menschen wurden irre, wie Gideon, als sein Land von den Midianitern verwüstet worden war, so daß er ausrief: „Ist der Herr mit uns, warum ist uns dann solches widerfahren? Und wo sind alle seine Wunder, die uns unsre Väter erzähleten?” Inmitten all der unheilbaren Krankheiten und sonstigen Übel riefen die Menschen aus: Wenn es einen Gott gibt, warum wird Seine Macht nicht bewiesen?
Lange Jahre hindurch gab man darauf zur Antwort, Krankheit, Schmerz und Tod hätten ihren Ursprung in Gott, und Er sende das Übel oder lasse es zu. Die Menschen begannen aber zu fragen: Wie kann das, was der Arzt verschreibt, die Krankheit heilen, und wie kann die Vermittlung des Priesters einem Übel abhelfen, wenn Gott den Schmerz verursacht und das Übel sendet? Vermag ein Arzneimittel die Pläne des Allmächtigen zu durchkreuzen? Ist es dem Menschen möglich, einen andern von den Übeln zu befreien, die Gott gesandt hat?
Das Zeitalter der Demonstration
Auf diese Fragen gibt die Christliche Wissenschaft die richtige Antwort. Während Mrs. Eddys vierzigjähriger Wirksamkeit zum Wohl der Menschheit trat die Welt in das Zeitalter der Demonstration ein. Die Menschen wissen jetzt, daß sie in Wahrheit Erben der Verheißung sein können und Zutritt zur Sohnschaft haben, die durch Christus Jesus geoffenbart wurde — daß sie, wie die Propheten, „das Gute des Herrn im Lande der Lebendigen” sehen können.
Die Zeit war reif zur Entdeckung der Christlichen Wissenschaft. Diese Lehre offenbart Gott nicht als einen persönlichen Herrscher, der Seinen Günstlingen besondere Gaben zuerteilt und diejenigen, die Seine Ungnade erregt haben, verbannt oder vernichtet, sondern als das erlösende Prinzip oder die universelle Liebe, die, wie die Sonne, mit ihrer Wärme alle Menschen segnet, selbst die undankbaren. Der religiöse Drang im Herzen der Menschen wollte richtig geleitet sein. Die Menschen hatten den ernsten Wunsch, daß ihr christliches Bestreben sichere Ergebnisse aufweise, anstatt dem Zufall preisgegeben zu sein. Kurzum, die Welt sehnte sich nach Beweisen der göttlichen Liebe, wie sie zur Zeit Jesu und seiner ersten Nachfolger zu sehen waren. Endlich kamen sie, und zwar durch eine Frau, aber in Übereinstimmung mit den ewigen Gesetzen Gottes. Die Entdeckern, und Gründerin der Christlichen Wissenschaft fand die Beweise zuallererst in ihrem eignen Leben. Sie erkannte den Zusammenhang zwischen ihrer Erfahrung und den in der Heiligen Schrift aufgezeichneten Heilungen. So wurde also ihrem Bewußtsein „das Gesetz Gottes, das Gesetz des Guten” geoffenbart, „welches das göttliche Prinzip und die Regel der universellen Harmonie deutet und demonstriert” („Rudimental Divine Science“, S. 1).
Dies ist wahre Wissenschaft, Christliche Wissenschaft. Mrs. Eddy bewies die Nichtigkeit ihrer Entdeckung dadurch, daß sie andern die Wirkung des Gesetzes des Guten durch Heilungen praktisch veranschaulichte. Sie lehrte ihre Schüler, wie man dieses Gesetz beweisen und dadurch den Mitmenschen Segen bringen kann. Im Verlauf der Jahre wuchs eine große Kirche heran, mit Zweigen in allen Ländern der Erde. Damit die Mitglieder eine sichere Richtschnur hätten, ordinierte Mrs. Eddy die Bibel und das göttlich inspirierte Lehrbuch, Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift, zum Pastor aller Kirchen der Christlichen Wissenschaft. Um der ganzen Welt das Evangelium, die gute Botschaft von Gottes Liebe gegen die Menschen zu bringen, gründete sie mehrere Zeitschriften, die von den Früchten der Christlichen Wissenschaft erzählen. Aus all diesem ist zu ersehen, daß wir im Zeitalter des praktischen Christentums leben, und daß in diesem Christentum das Hoffen und Sehnen aller Zeiten in Erfüllung gegangen ist.
Das Prinzip ist untrüglich
Die Christliche Wissenschaft erklärt das gesetzmäßige Wirken des Geistes. Sie offenbart das unveränderliche und untrügliche Prinzip des Seins. Ihre Lehren sind für den Menschen das, was der Kompaß für den Seemann ist, der ohne diesen Wegweiser ziellos im Nebel umhertreiben würde. Wo die Christliche Wissenschaft Aufnahme gefunden hat, hört der menschliche Wille auf sich zu widersetzen; er unterwirft sich der göttlichen Intelligenz. Die Liebe Gottes beweist sich durch ein inneres, nicht leicht zu erklärendes Glücksgefühl. Es ist „der Friede Gottes, welcher höher ist denn alle Vernunft”. Wer ihn erlangt hat, sieht ein, welch große Segnungen er sich in all den sorgenvollen Jahren, die hinter ihm liegen, hat entgehen lassen. Er ist imstande, „das wahre Dasein” zu erkennen, und „den unaussprechlichen Frieden” zu empfinden, „der aus einer allumfassenden geistigen Liebe kommt” (Wissenschaft und Gesundheit, S. 264).
Die Menschen glaubten, ihr Elend entspringe materiellen Zuständen, und sie machten aus Materie Heilmittel, fanden aber, daß der Gebrauch von Arzneien neue Krankheiten erzeugte, gegen welche sie wiederum materielle Mittel anwenden mußten. Wahrlich, ein beständiger Kreislauf von Ungewißheiten! In Helouan bei Kairo in Ägypten wird um zwölf Uhr mittags eine Kanone abgefeuert. Als der Kanonier einst gefragt wurde, wie er wisse, wann es Zeit sei, das Signal zu geben, sagte er, er richte sich nach seiner Uhr. Auf die Frage, was er tue, wenn seine Uhr nicht richtig gehe, sagte er, er nehme sie zu einem Uhrmacher in Kairo. Dieser Uhrmacher wurde später gefragt, wie er die Uhr des Kanoniers reguliere, worauf er erwiderte, er richte sich nach der Kanone in Helouan!
Die Menschen kennen jedoch bessere Mittel und Wege, die Zeit zu bestimmen. Ich weiß von einer Uhrenfabrik, wo nicht einmal die Sonne als zuverlässiger Zeitmesser gilt. Tief in der Erde, fern von den Schwingungen der Erdoberfläche, befinden sich in einem Observatorium Instrumente und Fernrohre, mittels derer ein Fixstern beobachtet werden kann. Seine unveränderliche Stellung macht es möglich, die Zeit mit der größten Genauigkeit zu berechnen.
Wenn nun hinsichtlich der Tageszeit Gewißheit wünschenswert ist, wie viel wichtiger ist es dann, Gewißheit hinsichtlich der Wahrheit des Seins zu erlangen. Ein Bauer ging während eines Schneesturms in den Stall und verlor sich dann auf dem Rückweg nach dem Hause. Als er erfroren aufgefunden wurde, war er bloß einige Ellen von der Wärme und dem Licht feines Hauses entfernt. Das Haus konnte ihn nicht aufsuchen, er aber hätte das Haus gefunden, wenn er sich über die Richtung, in der es lag, klar gewesen wäre. Wie das Licht und die Behaglichkeit des Heims, so ist uns auch die göttliche Hilfe stets zugänglich, wenn wir den Weg kennen. „Darum harret des Herrn, daß er euch gnädig sei.”
Die Lösung unsrer Probleme
Die Wahrheit erkennt man daran, daß sie unsre Probleme löst. Die Erkenntnis der unveränderlichen Liebe Gottes verhilft uns zur Lösung jedes menschlichen Problems. Es erscheint fast überflüssig, von Heilungen zu erzählen, nachdem das „Journal“ seit dreißig Jahren, der „Sentinel“ seit fünfzehn und der Herold seit elf Jahren über Heilungen aller Arten von Krankheit berichten. Zehntausend Stimmen danken Gott allwöchentlich in den Mittwochabend-Versammlungen für ihre Heilung. Und dennoch möchte ich von einer Heilung in meiner eignen Familie berichten. Die betreffende Person hatte bei den besten Ärzten im In- und Ausland Hilfe gesucht und kehrte zuletzt von Paris nach Hause zurück, ohne Hoffnung auf Wiederherstellung. Die Hilfe war jedoch zur Hand. Die Kranke fand jemand, der ein klares Verständnis von der Christlichen Wissenschaft hatte. Er nahm ihr vor allem ihre Krücken weg, auf die sie sich verlassen hatte, und sagte ihr, sie hätte dieselben nicht nötig. Sodann führte er sie in die Kenntnis der stützenden Kraft des göttlichen Gemüts ein. Und siehe da, es überkam sie das Gefühl der Freiheit und des Glücks, wie bei dem lahmen Manne, den Petrus und Johannes an der Tür des Tempels trafen und von dem es heißt: „[Er] sprang auf, konnte gehen und stehen und ging mit ihnen in den Tempel, wandelte und sprang und lobete Gott.” Es hat sich an diesem Mitglied meiner Familie bewiesen, daß die Christliche Wissenschaft dauernd Hilfe bringt, und durch diesen einen Fall sind Hunderten von Menschen reiche Segnungen zuteil geworden.
Der stolze Mensch, welchen seine Schärfe und Strenge nur unglücklich gemacht hat, wird unter dem Einfluß der Christlichen Wissenschaft demütig, milde und freundlich. Der Traurige, der das Andenken an seinen Verlust sorgfältig hegt und pflegt, der sein Leid für das größte hält, das es überhaupt geben kann, und der daher gegen den vermeintlichen Urheber des Leides murrt, wird sein Leid wie sein Murren los, wenn er erkannt hat, daß Gott nicht der Urheber des Todes sondern des Lebens ist, und daß Er den Menschen heilt und erneuert. Der Betrüger, der Dieb, der Mörder — jeder Verbrecher, welcher andern zu schaden sucht, weil er sich dadurch Gewinn verspricht, der aber dabei tatsächlich in Angst und Schrecken lebt, wird von der Marter seines Selbstbetruges befreit und erlangt neues Leben, wenn er Gottes Liebe gegen Seine Kinder erkannt hat. Der ausschweifende Mensch, welchem seine verderbten Vorstellungen Qualen bereiten, wird „aus dem Schlamm” gezogen, so daß er seine Füße „auf einen Fels” setzen kann. Statt unreine Gedanken zu beherbergen und dieselben in schmutzigen Redensarten auszudrücken, hat er „ein neues Lied” im Munde, „zu loben unsern Gott”.
Derjenige, der fortwährend mit Enttäuschungen kämpft und der beständig seufzt: „Alles ist gegen mich”, findet in der Christlichen Wissenschaft den göttlich bestimmten Weg und kommt zu der Einsicht, „daß denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen”. Der Weg der Selbstsucht führt notwendigerweise zu Enttäuschungen, weil das Verlangen auf das Vergängliche gerichtet ist, oder weil man nach dein trachtet, was andern schadet oder ihrem Wohlergehen hinderlich ist. Auf dem Wege des rechten Denkens kann das, was den einen segnet, dem andern keinen Abbruch tun. Mrs. Eddy schreibt: „In der wissenschaftlichen Beziehung von Gott zum, Menschen sehen wir: was einen segnet, segnet alle” (Wissenschaft und Gesundheit, S. 206). Wenn der Mensch den Verordnungen der göttlichen Liebe nachkommt und sein Leben von der unendlichen Harmonie regieren läßt, vergißt er angesichts seiner Segnungen all die früheren Enttäuschungen.
Der Mensch, welcher eine Vertrauensstelle bekleidet und dabei allerlei eingebildete Lasten für andre trägt, findet unendliche Segnungen, wenn er erst gelernt hat, sich verständnisvoll auf die göttliche Vorsehung zu verlassen. Das Gefühl verschwindet, daß seine Pflichten unzählig, seine Hilfsmittel beschränkt und die an ihn gestellten Anforderungen unausführbar seien, und er macht sich keine Vorwürfe mehr wegen Pflichten, die er nicht erfüllt zu haben glaubt. Die Erkenntnis der Güte Gottes macht ihn unwillkürlich zum Helfer des Mit menschen. Da er seine Last los ist, kann er sie andern abnehmen.
Der Mensch, der sich als Wohltäter bewiesen hat und den die Ansprüche derer, die ihn für einen Quell des Guten halten, erschöpft haben, lernt in der Christlichen Wissenschaft Gott als den Quell alles Guten erkennen. Er lehnt Dankesbezeugnungen ab und lenkt sie auf den Geber aller Segnungen, „der da gibt einfältiglich jedermann, und rücket's niemand auf”. Seine Anhänger oder Schutzbefohlenen lernen dann einsehen, wie man sich der göttlichen Gaben würdig erweist; sie hören auf, ihre Unähnlichkeit mit Gott dadurch zu betonen, daß sie menschliches Mitgefühl zu erregen suchen und von einem Menschen unverdiente Wohltaten erlangen wollen. Wahre Liebe verlangt nicht die Verarmung des guten Menschen, damit der Unwürdige bereichert werde, sondern sie zeigt allen Menschen, wie sie das Gute, welches für sie bereit steht, entgegennehmen können.
Erlösung von Furcht
Die größte Erlösung, die der Mensch erlangen kann, ist die Erlösung von Furcht, und es gibt kein wirksames Mittel gegen die Furcht außer der göttlichen Wahrheit des Seins. Die Menschen haben die Furcht in Klassen eingeteilt und ihnen Namen gegeben. Jedes Jahrhundert hat seine besondere Furcht gehabt, die ihm zur Plage wurde. Man denke nur an die zahllosen Mittel, welche der Aberglaube und die falsche Wissenschaft vergangener Zeiten vorgeschrieben haben! Doch es hat stets Kinder Gottes gegeben, die abseits von der Furcht lebten, von welcher ihre Mitmenschen beherrscht wurden. Durch ihr Vertrauen auf den Allerhöchsten wurden sie getröstet und gestärkt. Ihr Haus stand auf einem Felsen, weshalb Wind und Wetter ihnen nichts anhaben konnte. Die Christliche Wissenschaft bietet allen Menschen den Frieden an, den bisher nur wenige erlangt haben. Sie ist allgemein anwendbar und bringt dem Menschen die beweisbare Erkenntnis Gottes, die das wahre Mittel gegen Furcht und Sorge aller Art bildet. Aus der Geschichte ersehen wir, welch grausame und schädliche Mittel die Menschen angewandt haben, um ihren eignen Willen durchzusetzen. Die Christliche Wissenschaft offenbart die wahre Verfahrungsweise. Sie beginnt mit göttlichem Wohlwollen anstatt mit menschlichem Ehrgeiz. Durch Methoden, welche Segen bringen, nie aber schädlich wirken, offenbart sie der Menschheit den Weg zum Leben. Durch Beweise der Heilung erweckt sie Vertrauen auf das, was heilt. Der menschliche Tyrann beherrscht das Gemüt seines Opfers durch Furcht und dessen Körper durch Soldaten und Gefängnismauern. Die göttliche Wissenschaft hingegen befreit von Furcht und Sorgen und verleiht den Frieden, der stets den liebevollen Gehorsam gegen Gott begleitet.
Die Christliche Wissenschaft lehrt die Allgegenwart der göttlichen Güte; sie verlangt von den Menschen, daß sie diese Güte für sich und für andre beweisen, Sinnliche Genüsse müssen daher aufgegeben werden. Die durchdringende und erforschende Macht der Wahrheit ist es, welcher die Menschen widerstehen. „Das Wort Gottes” ist wie ein „zweischneidig Schwert”, weil es „ein Richter der Gedanken und Sinne des Herzens” ist. Vielen Menschen bereitet jedoch dieses Schwert keinen Kummer. Es sind diejenigen, die der Wahrheit harren und sich über ihr Erscheinen freuen, ganz gleich, wie viel sie für dieselbe opfern müssen. Aus solchen Menschen seht sich die Bewegung der Christlichen Wissenschaft größtenteils zusammen, und dies erklärt ihre Stärke.
Gottes Botschaft
Wir leben in einer Zeit des rastlosen Strebens. Die Menschheit sucht nach einem Messias, nach „mehr Licht”. Man hört ein Durcheinander von Stimmen, und da und dort suchen Führer die Aufmerksamkeit auf ihr besonderes Allheil zu lenken. Viele von ihnen sind „blinde Blindenleiter”. Sie haben die Reigung, nach Impulsen zu handeln, anstatt sich von dem Lichte eines unveränderlichen Prinzips leiten zu lassen. Von solchen sagt der Meister: „Wenn aber ein Blinder den andern leitet, so fallen sie beide in die Grube.”
Eine Theorie, die den Menschen heutzutage dargeboten wird, beruht auf der Voraussetzung, daß das Gute beschränkt sei, daß desselben nicht genug sei für alle, und daß man es denen entreißen müsse, die es im Besitz haben. Eine andre Theorie lautet dahin, daß das Übel die Oberhand habe, daß jedes Unrecht andern Menschen zuzuschreiben sei, und daß man daher diesen andern Menschen Schaden zufügen dürfe, um dadurch einen Ausgleich herzustellen. Die Voraussetzung der Christlichen Wissenschaft lautet, daß Gott, das Gute, allmächtig ist, und daß das Übel das ist, was vom Guten überwunden wird. Wer diese Voraussetzung erkannt hat, erklärt: „Mein Leben hat seine Segnungen von Gott empfangen. Wie kann ich nun andre dazu bringen, daß sie ihre Segnungen erkennen? Wie kann ich sie auf den ihnen stets zugänglichen Quell des Guten hinweisen?”
Falsche Lebensanschauungen erregen Neid gegen diejenigen, die recht tun, und Haß gegen diejenigen, die unrecht tun. Wenn sich die wissenschaftliche Anschauung Bahn gebrochen hat, wird der Haß verschwinden. Wenn Rechttun richtig betrachtet wird, so erregt es keinen Neid, sondern Anerkennung und Dankbarkeit. Unrechttun sollte keine unfreundliche Kritik und keinen Haß hervorrufen, denn der Fehler dessen, der unrecht tut, besteht in Wirklichkeit darin, daß er des Guten ermangelt oder es verloren hat. Er ist eher zu bedauern. Der Wunsch, dem Bedürfnis des Nächsten abzuhelfen, regt sich unwillkürlich in dem, der durch eigne Erfahrung die unendliche Güte Gottes kennen gelernt hat. Wer das Gute als allumfassend erkennt und Gott von ganzem Herzen liebt, in dem ist das Reich Gottes.
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