Ehe uns der Unterschied zwischen menschlichem Mitgefühl und göttlicher Barmherzigkeit klar wird, bildet das Gefühl des Mitleids unsern höchsten Begriff christlicher Liebe. Nicht Mitleid sondern Liebe und Verständnis rügten den Petrus wegen seiner Kleingläubigkeit, hießen ihn auf den Wellen wandeln und bewahrten ihn von den Folgen seiner Furchtgedanken. Diese Art von Liebe und Verständnis bringt nun der Christliche Wissenschafter heutigestags seinem Mitmenschen entgegen, und nur hierdurch, nicht aber durch menschliches Mitgefühl, wird ihm geholfen. Verständnisvolle Liebe bietet die hilfreiche Hand, nach der alle Menschen greifen würden, wenn sie erkannt hätten, worin das Mittel gegen menschliches Leid besteht.
Da der Christliche Wissenschafter das Verhältnis des Menschen zu seinem Schöpfer erkannt hat, urteilt er nicht nach falschem Schein. Durch die Erkenntnis, daß menschliches Mitgefühl nicht dauernd zu helfen vermag, wird aller Glauben an die Notwendigkeit oder Dienlichkeit desselben aus seinem Bewußtsein ausgeschaltet. Er tut seinem Gottvertraueu und seiner Gottesliebe nicht mehr durch bloßes Mitgefühl für seinen Mitmenschen Gewalt au; vielmehr ermutigt er diesen dazu, auf dem Wasser zu wandeln, weil ihm „die Nichtsheit des Bösen und die Allheit Gottes” (Wissenschaft und Gesundheit, S. 563) aufgegangen ist, und er des Menschen Herrschaft über alle Dinge erkannt hat.
Menschliches Mitgefühl, das nicht von göttlicher Wahrheit getragen wird, hat noch keinen Schmerz gestillt, keinen bösen Gedanken ausgetrieben, hat in Zeiten des Kummers bestenfalls nur vorübergehenden Trost gewährt, während das Verständnis von Gottes Wesen und von Seiner Kraft und Fähigkeit, Krankheiten aller Art zu heilen und alles Leid aufzuheben, Tausende aus der Knechtschaft erlöst hat. Dieses Verständnis führt zu der Überzeugung, daß sich ein Mensch seine Empfindungen des Schmerzes und Leidens selbst auferlegt, oder daß er wenigstens dessen Weiterbestehen begünstigt. Den Nachfolger Christi Jesu, der sich ein Verständnis von der Christlichen Wissenschaft erworben hat, verlangt immer weniger nach dem Ausdruck jenes Mitgefühls, das von dem Glauben an Krankheit und der Anerkennung ihrer Wirklichkeit herrührt.
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