Wahre Bekehrung besteht nicht darin, daß man gewisse Anschauungen gegen andre vertauscht, sondern darin, daß man aus der Finsternis ans Licht kommt.” Der Verfasser, von dem dieses Zitat stammt, bringt hiermit eine nicht mißzuverstehende Ansicht zum Ausdruck. Er verwirft die landläufige Auffassung, daß das bloße Bekennen des Glaubens an eine gewisse Religion und der Beitritt zu einer Kirchengemeinschaft Bekehrung bedeute. Er wußte, daß man vor allem mit den Gedanken und Regungen des menschlichen Herzens zu rechnen hat; daß eine Abkehr von menschlichen Anschauungen und eine Wendung zur geistigen Erkenntnis oder zum geistigen Verständnis Gottes und Seines Gesetzes stattfinden muß, ehe wahre Bekehrung möglich ist.
Die Abkehr von der Finsternis zum Licht bedingt wahre Reue und gründliche Besserung, und beides findet vollständig innerhalb des Bewußtseins statt. Ohne Änderung in der Denkweise gibt es keine Besserung. Im Lichte der Christlichen Wissenschaft schließt diese Änderung weit mehr in sich, als so mancher denkt. Unsre Führerin sagt (Wissenschaft und Gesundheit, S. 272): „Die Vergeistigung des Gedankens und die Verchristlichung des täglichen Lebens, im Gegensatz zu den Resultaten des grausigen Possenspiels des materiellen Daseins; Keuschheit und Reinheit, im Gegensatz zu den herabziehenden Tendenzen und dem auf das Irdische gerichteten Streben der Sinnlichkeit und Unreinheit sind es, die den göttlichen Ursprung und das göttliche Wirken der Christlichen Wissenschaft tatsächlich beglaubigen.” Wir sehen also, daß es sich hier nicht um einen willkürlichen oder unwillkürlichen Tausch eines menschlichen Gedankens gegen einen andern handelt, denn dies ist kein Überwinden. Wo Böses nicht mit Gutem überwunden wird, da gibt es keine echte Reue. Das bloße Glauben und Behaupten, daß man nicht krank sei, wenn man sich doch krank fühlt, ist weder christlich noch wissenschaftlich, denn es liegt darin keine Reue, keine Besserung, und daher auch keine Bekehrung. Zu denken und zu behaupten, man sei kein Sünder, wenn man bewußterweise sündigt, ist noch irriger, und ein Beharren auf diesem Standpunkt muß Glück und Erfolg aufs schwerste beeinträchtigen.
Wäre die Christliche Wissenschaft nur eine menschliche Anschauung, die man für eine andre aufgibt, so wäre sie nicht göttlichen Ursprungs und könnte diesen ihren Ursprung nicht durch das Heilen von Krankheit und Sünde beweisen. Ein Mensch, der sich äußerlich von einer Kirche freimacht, um sich einer andern Konfession anzuschließen, braucht keine Sinnesänderung durchgemacht zu haben Er kann sogar seinen Glauben an die Christliche Wissenschaft bekennen, ohne auch nur einigermaßen die heilende Macht der göttlichen Liebe erfaßt zu haben. Überdies wird niemand dadurch zu einem Christlichen Wissenschafter, daß er sich des Arzneigebrauchs enthält oder gewisse äußere Formen beobachtet. Besserung ist ein Vorgang im Bewußtsein. Jeder erklärte Christ sieht sich vor die Frage gestellt: Wie kann das menschliche Bewußtsein geläutert werden? Nur diese Läuterung führt zu wahrer Bekehrung oder Erlösung durch Christus, die Wahrheit. Der Glaube an die Tatsächlichkeit von Krankheit und zugleich an die Wirklichkeit ihrer Gegensätze, Gesundheit und Heiligkeit, hat die Bekehrung der Menschheit nicht herbeizuführen vermocht.
Kein formuliertes Glaubensbekenntnis, kein Glaubenssatz hat in der christlichen Kirche den Weizen so von der Spreu geschieden, daß die Christus-Heilung zur Geltung gekommen wäre. Und warum? Weil die Christen dazu erzogen worden sind, sich von der stets gegenwärtigen heilenden Christus-Idee abzuwenden und ihr Vertrauen auf menschliche Hilfsmittel zu setzen. Wenn dann die Christliche Wissenschaft sie versichert, daß sie sich der Christus-Methode bedienen können, und daß die allgegenwärtige Liebe die ganze Menschheit erweckt und sie auffordert, sich von der Materie ab- und dem Geist zuzuwenden, so sind viele nicht willens, sich bekehren zu lassen. Durch Leid und Trübsal werden sie wohl schließlich dazu getrieben, bei der Christlichen Wissenschaft Hilfe zu suchen. Dann erst fangen sie an, zwischen dem Menschlichen und dem Göttlichen zu unterscheiden und durch geistige Erleuchtung das Materielle abzulegen und in das Geistige einzudringen. Mit den Worten der Schrift können sie dann sagen: „Das Alte ist vergangen, siehe, es ist alles neu worden!”
Die Christliche Wissenschaft macht es der Welt klar, daß die blinden menschlichen Annahmen oder die Gedanken des sterblichen Gemüts der geistigen Erkenntnis, den Gedanken oder Ideen des Christus-Gemüts weichen müssen. Dieses normale und gesetzmäßige Ersetzen des allgemein herrschenden menschlichen Denkens durch Gottes Ideen ist es, was zu wahrer Bekehrung führt. Es ist einleuchtend, daß jeder Gedanke, der sich der Wirksamkeit des Gesetzes Gottes entgegensetzt, schließlich in das Bereich des Nichtbewußten verwiesen werden muß, als ein Bestandteil der sogenannten mentalen Finsternis. Hierzu gehören die irrigen Annahmen oder Vorstellungen des menschlichen Gemüts, die nicht aus dem unendlichen Gemüt oder dem Bewußtsein des allein Guten hervorgehen. Die mentale Weigerung, Gedanken aufzunehmen oder zum Ausdruck zu bringen, die nicht von Gott, dem Guten, kommen, öffnet die Tür des Bewußtseins zum Empfang der Einwirkungen des einen vollkommenen Gemüts.
Wer da denkt, er müsse das Zeugnis der physischen Sinne anerkennen, legt dadurch dem Einzug geistiger oder göttlicher Gedanken ins menschliche Bewußtsein ein großes Hindernis in den Weg. Unter rechtdenkenden Menschen verbreitet sich die Erkenntnis dieser Tatsache immer mehr. Die Christliche Wissenschaft steht nun bereit, ihnen zu erklären, wie sie zwischen richtigen und falschen Gedanken unterscheiden können. Dieses rein mentale Verfahren, im täglichen Leben angewandt, führt der christlichen Religion wahrhaft bekehrte Menschen zu. Den Glauben an die erlösende Wirkung der Lehren des Meisters bekennen, gleichzeitig aber die Augenscheinlichkeit eben jener Sinne aufrechterhalten und annehmen, die den Heiland kreuzigten und immer noch kreuzigen — ein solcher Standpunkt ist nach christlich-wissenschaftlicher Anschauung unhaltbar.
Zur Erläuterung diene folgendes. Die materiellen Sinne bezeugen die Krankheit eines Menschen. Ein in der Kenntnis des Guten und Bösen geschulter und kundiger Arzt wird herbeigerufen, um dieses Zeugnis zu bekräftigen. Er bekräftigt es nicht nur, sondern gibt der Krankheit auch noch ost einen Namen, dessen bloßer Klang schon das Menschenherz mit Grauen erfüllt. Sodann verschreibt er materielle Mittel — Dinge, die vom Erlöser weder empfohlen noch angewandt wurden — und macht genaue Vorschriften für das Verhalten des Patienten. Als Jesus aufgefordert wurde, einen solchen Fall zu heilen, machte er sich, anstatt dem materiellen Augenschein zuzustimmen, sofort die Wirksamkeit eines noch nicht erkannten geistigen Gesetzes zunutze, welches dann jeden Augenschein der Krankheit hinwegnahm, gleichviel, ob dieselbe für körperlich oder für mental angesehen wurde. Das Werk kam auf rein mentalem Wege zustande, wennschon im strengsten Gegensatz zu dem Verfahren, das Suggestion genannt wird. Der hypnotische Einfluß der Sinne suggerierte die Krankheit, wohingegen der Einfluß des göttlichen Gemüts allen derartigen Augenschein vernichtete. Welche Verfahrungsart sollte den ansprechen, der sich tatsächlich zu Jesu Lehre bekennt: das blinde Zugeben des Sinnenzeugnisses, welches das Heilen im Sinne Christi Jesu unbeachtet läßt, oder das vernunftgemäße Verwerfen eines solchen Zeugnisses, wodurch (Gesundheit und Glück zum Ausdruck kommen?
Eine unbefangene Betrachtung dieser Frage führt zu der unvermeidlichen Folgerung, daß kein Bekenner der biblischen Lehren wirklich bekehrt ist, ehe er nicht bis zu einem gewissen Grad die allgegenwärtige heilende Macht der göttlichen Liebe beweisen kann, die unabhängig von irgendwelchen materiellen Mitteln wirkt. Die Weigerung christlich gesinnter Menschen, sich mit der verlorengegangenen Kunst des wahren Heilens zu beschäftigen, die die Christliche Wissenschaft der Welt wiedergebracht hat, ist der beklagenswerteste Irrtum unsrer modernen Zivilisation. Diese Kunst ist der Baustein, den die Erbauer einer Theologie menschlichen Ursprungs jahrhundertelang verworfen haben, der aber zum Haupteckstein in der Christlichen Wissenschaft geworden ist. Der große Lehrer und Demonstrator des christlichen Heilens richtet heute wie vor zweitausend Jahren die eindringlichen Worte an die ganze Menschheit: „Es sei denn, daß ihr euch umkehret und werdet wie die Kinder, so werdet ihr nicht ins Himmelreich kommen.” Möge Gott das Kommen des Tages beschleunigen, da kindliche Demut und Liebe zum Guten das Denken der ganzen Menschheit so durchdringen wird, daß sie die Christus-Idee freudig bewillkommnet und das in der Wissenschaft findet, was allein das höhere Sehnen des Herzens zu befriedigen vermag!
