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„Was dahinten ist”

Aus der Mai 1914-Ausgabe des Herolds der Christlichen Wissenschaft


Es ist selbst dem menschlichen Sinn begreiflich, daß das Himmelreich nur in dem Maße ins Bewußtsein kommen kann, wie das wahre Sein verstanden wird. Eine Vorstellung irgendwelcher Art, die nicht wahr und daher nicht substanziell ist, kann nichts als eine falsche und vergängliche Ansicht über Personen und Dinge ausdrücken; sie reicht nicht über die Grenze der Illusion, d. h. nicht über die Dinge hinaus, die nie gewesen sind und nie sein werden. Das, was wir heute als falsch beweisen, muß immer falsch gewesen sein. Wenn wir erleuchtet genug sind, die trügerische Natur aller materiellen Dinge zu erkennen, so sollte man meinen, wir hätten keinen vernünftigen Grund mehr, die materielle Auffassung vom Dasein zuzugeben. Aber das menschliche Denken ist sehr dazu geneigt, am Althergebrachten festzuhalten. Es gibt sich gerne dem Gefühl des Selbstbedauerns hin und brütet mit großer Vorliebe über den Fehlschlägen und dem Unglück vergangener Tage.

Wenn dem Schüler die tiefere Bedeutung der Christlichen Wissenschaft aufzudämmern beginnt und er einen Lichtblick gehabt hat von der wirklichen Bedeutung der Wahrheit, daß Gott, das Gute, unendlich ist, und von der praktischen Anwendung dieser Wahrheit auf seine Aufgaben und Erfahrungen, dann fängt er an einzusehen, daß das, was böse genannt wird, nie wirklich gewesen ist und im absoluten Sinne nie bestanden hat. Statt uns über vergangene Sünden und Fehler zu grämen, sollten wir erkennen, daß sie nie tatsächlich einen Teil unsres Seins oder unsrer Erfahrung ausgemacht haben.

Wenn wir uns also wirklich vorgenommen haben, der Christus-Idee zu folgen, so sollten wir auch unsres Meisters Gebot befolgen: „Laß die Toten ihre Toten begraben”— sollten nicht versuchen, das zum Leben zu erwecken oder am Leben zu erhalten, was nie Leben gehabt hat. Nehmen wir an, das Böse sei einst wahr gewesen, so geben wir ihm dadurch Gelegenheit, uns anzugreifen. Die Bibel ermahnt uns, zu vergessen, „was dahinten ist”, und uns nach dem zu strecken, „das da vorne ist”, d. h. nach den Dingen, die wirklich und ewig sind; und der Meister erklärte, wer zurücksehe, sei „nicht geschickt zum Reich Gottes”. Ein Reisender würde nur langsam weiterkommen, wenn er immer wieder zu bereits überschrittenen Punkten zurückkehrte. Ebensowenig kann man im Verständnis der Allheit Gottes Fortschritte machen, wenn man beständig auf eine böse Vorstellung zurückschaut, als ob sie etwas Wirkliches wäre.

„Die Geschichte des Irrtums ist eine Traumerzählung”, lesen wir in Wissenschaft und Gesundheit (S. 539). Der gestrige Traum ist ebensosehr Täuschung als der heutige oder als derselbe Traum morgen wäre, falls man nicht aus demselben erweckt würde. Wenn wir meinen, die gestrigen Mißklänge seien gestern wahr gewesen, so mag dieser Gedankenzustand unsre heutige Erfahrung oder die Erfahrung späterer Tage beeinflussen, bis wir aufhören zu glauben, daß der Irrtum je in irgendeiner Form wahr gewesen sei. Was wir unsre Vergangenheit nennen, ist das, was wir glauben als einen Teil unsres Lebens zurückgelassen zu haben, während uns doch die göttliche Wissenschaft lehrt, daß Gott unser Leben ist, und daß das Leben als Gott immer gegenwärtig ist und alles umfaßt, was in bezug auf den Menschen wahr ist. Das Gestern hat uns weder Liebe noch Glück geraubt, mag die materielle Augenscheinlichkeit auch das Gegenteil behaupten, denn das Prinzip alles Guten tut sich fortwährend kund.

Da das Jetzt die einzige Zeit ist, die es gibt, so muß das Jetzt alles enthalten, was in bezug auf uns wahr ist. Wenn wir bewußterweise besser sind, als wir es früher waren, so heißt das, daß wir um so viel dem Begriff der Unvollkommenheit entwachsen sind, nicht aber, daß wir etwas Wahres dahinten gelassen haben. Irrtümer, die wir nicht mehr glauben, können uns nicht mehr täuschen. Wenn wir aber nicht aufgehört haben, sie für wahr zu halten, so sind sie dem irrenden menschlichen Begriff zufolge lebendig und wirksam. Es hat nur dann einen Wert, sich über frühere Fehler zu grämen, wenn es dazu führt, in der Gegenwart besser zu handeln. Die Christliche Wissenschaft geht jedoch weiter. Ihrer Lehre zufolge ist es schon ein Fehler zuzugeben, daß der Mensch je etwas andres als Gottes Kind gewesen sei, oder daß Gott den Menschen je dazu fähig gemacht habe, unrecht zu tun. Das „vollkommene Vorbild”, das wir in unsern Gedanken zu halten ermahnt werden (siehe Wissenschaft und Gesundheit, S. 407), wird undeutlich, wenn wir die Trugbilder einer sündigen, unharmonischen Vergangenheit, den sterblichen Traum eines von Gott getrennten Lebens davorschieben.

„So ferne der Morgen ist vom Abend, lässet er unsre Übertretung von uns sein.” Warum also an eine vergangene Kundgebung des Irrtums glauben? Dank der Lehre der Christlichen Wissenschaft fangen wir an, die große Wahrheit zu erkennen, daß der wirkliche Mensch, das wirkliche Du und Ich, nie anders als gut gewesen ist, und die Freude über diese Einsicht sollte in uns die Neigung nicht aufkommen lassen, uns elend zu fühlen, weil es Zeiten gegeben haben mag, wo wir in unsrer Unwissenheit das göttliche Musterbild nicht zu erreichen schienen. Wir wissen, daß das Böse nie im Bewußtsein Gottes war noch sein konnte. Warum sollten wir dies je vergessen und zur öden Nichtsheit vergangener Täuschungen zurückkehren, um wieder betrogen zu werden? Wenn wir wünschen, daß die Gegenwart von Licht und Freude erfüllt fein möge, so sollten wir sie nicht mit den Schatten unsres Gestern verdunkeln, sondern uns vielmehr an die erleuchtende Wahrheit halten, daß „in ihm (Gott) ... keine Finsternis” [ist].

Christliche Wissenschafter tragen zuweilen Bedenken, öffentlich Zeugnis über ihre Heilung durch die Christliche Wissenschaft abzulegen, weil sie meinen, die Erinnerung an frühere Zustände könnte zu einem Rückfall führen. Diese Furcht entspringt jedoch einem Mißverständnis in bezug auf das Wesen der Krankheit und der richtigen Heilmethode. Die Christliche Wissenschaft heilt die Krankheit nicht als Krankheit, sondern als falsche Vorstellung, und wenn unsre falsche Vorstellung wissenschaftlich berichtigt ist, so kann sie uns nicht mehr täuschen. Wenn wir von einem häßlichen Traum erwacht sind, fürchten wir seine Schrecken nicht mehr, weil wir nicht nur einsehen, daß der Traum unwirklich ist, sondern auch, daß er nie wirklich gewesen ist. Wir wissen, daß wir nie mehr unter seinen Einfluß kommen können, solange wir wach bleiben. Gleicherweise, wenn wir erkennen, daß der Begriff von Krankheit, von der uns die Christliche Wissenschaft befreit hat, bloß ein wirrer Traum gewesen ist, werden wir nicht die Rückkehr der Krankheit befürchten. Wir befürchten nicht, daß wir möglicherweise zu unsrer früheren Unwissenheit zurückkehren und glauben könnten, daß zwei und zwei fünf sei, so oft wir auch die Tatsache bezeugen mögen, daß zwei und zwei vier ist. Ebensowenig brauchen wir uns zu fürchten, unsre Dankbarkeit für die Christliche Wissenschaft und ihre Wohltaten auszusprechen; denn dieses Zeugnis preist nicht etwas, was wir selbst vollbracht haben und daher Gefahr laufen zu verlieren, sondern den Einfluß der göttlichen Wahrheit und Liebe auf unser Leben. Das ist es, was die Christliche Wissenschaft unter wahrer Erlösung versteht. Sie entfernt aus dem menschlichen Bewußtsein alles, was Gott unähnlich ist.

Seit der Erfahrung Evas mit der geschwätzigen Schlange in der als Sündenfall bezeichneten sinnbildlichen Darstellung möchten falsche Einflüsterungen die Menschheit zu dem Glauben verleiten, daß das Böse wahr und wirklich sei, und diese Einflüsterungen versuchen manchmal, mit unserm Glauben an frühere Erfahrungen uns in die Falle zu locken. Aber die Erinnerung an ein einfaches Beispiel, das veranschaulicht, wie unmöglich es ist, daß sich eine Annahme wieder festsetzen kann, wenn sie berichtigt worden ist (wie z. B. die Annahme, daß zwei und zwei fünf ist), regt uns dazu an, eine derartige Einflüsterung sofort mit einer verständnisvollen Verneinung abzuweisen. Wenn wir nicht überrascht werden wollen und aufs neue einen bösen Traum zu träumen wünschen, müssen wir die Annahme, daß wir je krank gewesen seien, so gründlich zerstören, daß sie keinen Weg mehr findet, auf dem sie wieder in unser Denken eindringen könnte. Da Gott Krankheit und Sünde nicht kennt, so können sie nur einem falschen Sinn möglich scheinen und im menschlichen Bewußtseiu nur auf dem Wege der Annahme wirken. Die Erkenntnis der Wahrheit verschließt diesen Weg gänzlich und macht dem Irrtum die Rückkehr ebenso unmöglich wie z. B. der Annahme, daß zwei und zwei fünf sei. Damit wir ganz frei seien, darf keine Wurzel des Glaubens an irgend etwas außer Gott in unserm Denken zurückbleiben und neue Schosse treiben. Wenn die Wahrheit im Bewußtsein Aufnahme gefunden hat, rottet sie den Irrtum mit Stumpf und Stil aus. Ist das erreicht, dann gilt auch uns die Verheißung: „Euch aber ... wird die Sonne der Gerechtigkeit aufgehen und Gesundheit unter ihren Flügeln” [Zürcher Bibel].

„Es hat nie einen Augenblick gegeben, wo das Böse wirklich war”, schreibt Mrs. Eddy in „No and Yes“ (S. 24), und das wird von dem biblischen Ausspruch bestätigt, daß Christus oder die Wahrheit „gestern und heute und derselbe auch in Ewigkeit” ist. Sünde, Krankheit und Tod sind nie anders denn als Täuschung, als falsche Vorstellung in die menschliche Erfahrung gekommen. Solange wir mit vollem Vertrauen an der Allheit der Wahrheit festhalten, können wir nie wieder von Irrtümern hypnotisiert werden, die sich uns als unwahr bewiesen haben.


Da es außer Gott kein wirkliches Sein gibt, so ist die sogenannte Trennung von Gott, der Sündenfall oder die Sünde nur eine negative Wirklichkeit, ein Irrtum oder ein Mangel. Das Übel hat keine substanzielle Existenz. Ein Ding besteht nur, insofern es seinem Wesen nach gut ist, und die Güte seines Wesens bildet den Grad seiner Wirklichkeit. Vollkommenheit und Wirklichkeit sind gleichbedeutend. Daher ist absolute Unwirklichkeit gleichbedeutend mit absoluter Nichtwirklichkeit, woraus sich die Unmöglichkeit der Existenz eines persönlichen Teufels ergibt, d. h. eines absolut bösen Wesens. Das Böse ist die Abwesenheit des Guten, des Lebens und des Seins.—

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