Als der Meister seinen Jüngern das Gleichnis vom Unkraut unter dem Weizen deutete, muß die hohe Weisheit, welche er zum Ausdruck brachte, einen tiefen Eindruck auf sie gemacht haben. Seine Erklärung ließ den Grund deutlich erkennen, warum das Unkraut zeitweilig stehen bleiben sollte. Indem er zu diesem notwendigen Aufschub riet, wich er nicht im Geringsten ab von seiner Verdammung sowohl des Unkrauts wie auch derer, die es gesät hatten. Er wies darauf hin, daß vor allem der Weizen zu berücksichtigen ist, und daß nichts getan werden darf, was dessen Wachstum hindern würde. Nicht Rücksicht auf das Unkraut war es also, was er im Auge hatte, sondern er wollte dartun, daß „die Kinder des Reichs”, die er als Weizen versinnbildlichte, „leuchten” werden „wie die Sonne in ihres Vaters Reich”.
Es erfordert sehr viel Geduld und Nachsicht seitens des Eigentümers eines solchen Feldes, das Unkraut bis zur Ernte wachsen zu lassen und es erst dann auszujäten oder abzuschneiden und vom Weizen zu trennen; aber das Ergebnis rechtfertigt dieses Verhalten. Nicht nur wird das Unkraut vernichtet, sondern der Weizen wird auch zuletzt frei davon und hat nichts an Wert eingebüßt. Auf Seite 300 von Wissenschaft und Gesundheit wendet Mrs. Eddy diese Lehre in treffender Weise an, indem sie eine Scheidelinie zieht zwischen dem sterblichen Menschen und dem wirklichen, geistigen, von Gott geschaffenen Menschen. Sie erklärt: „Das Zeitliche und Unwirkliche berühren niemals das Ewige und Wirkliche. Das Wandelbare und Unvollkommene berühren niemals das Unwandelbare und Vollkommene. Das Unharmonische und Selbstzerstörende berühren niemals das Harmonische und durch sich selbst Bestehende. Diese entgegengesetzten Eigenschaften sind das Unkraut und der Weizen, die sich niemals wirklich vermischen, obgleich sie (für das sterbliche Auge) bis zur Ernte nebeneinander wachsen; dann trennt die Wissenschaft den Weizen vom Unkraut durch die Vergegenwärtigung der Tatsache, daß Gott immer gegenwärtig ist, und daß der Mensch das göttliche Gleichnis wiederspiegelt,”
Wohl kein andres Gleichnis Christi Jesu läßt solch eine erhabene Geduld erkennen wie dieses Gleichnis vom Unkraut unter dem Weizen; und gewiß weist kein andres so bestimmt auf die Notwendigkeit hin, beharrlich auf das Erlangen des Reichs Gottes hinzuarbeiten. Die Christlichen Wissenschafter müssen jedoch auf eine weitere Lehre achten, die in diesem Gleichnis enthalten ist, nämlich, daß sie sich mit dem Produkt des guten Samens bekannt machen müssen, um das Unkraut beseitigen zu können. Im Fall sie dies nicht tun, geht die Ernte verloren und es tritt Hungersnot ein.
Auch bei einer andern Gelegenheit gab der Meister seinen Jüngern eine wichtige Lehre in der Geduld und Nachsicht, nämlich durch seine Antwort auf den Einwand Johannes des Täufers, als dieser sich für unwürdig erklärte, den zu taufen, von dem er gesagt hatte, er werde „mit dem heiligen Geist und mit Feuer” taufen. Jesu Antwort lautete: „Laßt es jetzt also sein! also gebührt es uns, alle Gerechtigkeit zu erfüllen.” Offenbar sagte er dies nicht, weil etwa das Wasser des Jordan die Kraft hatte, Gerechtigkeit oder den Lohn der Gerechtigkeit mitzuteilen, sondern weil er es zu jener Zeit für zweckmäßig hielt, sich taufen zu lassen; nicht, weil etwa die Wassertaufe an sich wirksam war, sondern weil die Vernachlässigung dieses Zeremoniells vielleicht den Glauben derer geschädigt hätte, die noch nicht zu der Überzeugung gekommen waren, daß materielle Mittel nicht zur Erlangung des Reichs Gottes verhelfen.
Aus diesen Aussprüchen können wir die Lehre ziehen, daß wir bei all unsrer Arbeit nicht nur Geduld nötig haben, sondern auch einen weiteren Gesichtskreis erlangen müssen, so daß wir über die Gegenwart hinaussehen können und durch das Gewirr menschlichen Willens und menschlicher Anschauungen hindurch die Himmelstür zu erreichen vermögen. Auch dürfen wir nicht vergessen, daß hingebungsvolle Arbeit nötig ist. Mrs. Eddy schreibt auf Seite 340 von „Miscellaneous Writings“: „Es gibt keine Vortrefflichkeit ohne Arbeit, und die Zeit zur Arbeit ist das Jetzt. Nur durch beharrliche, unablässige, ehrliche Arbeit, nur dadurch, daß du dich weder zur Rechten noch zur Linken wendest, keine andre Beschäftigung und keine andre Freude hast als die, die von Gott kommt, kannst du die Krone der Getreuen erlangen und tragen.” Der Weg mag weit und beschwerlich erscheinen; aber was schadet das, wenn wir nur das Ziel erreichen? Die Verheißung gilt dem, der „überwindet”.
