Bei jedem Stillstand in seinem Fortschritt tut der Christ wohl daran, sich auf seinen wirklichen Lebenszweck zu besinnen und sich zu fragen: Was ist es eigentlich, das ich erstrebe? Suche ich das Lob andrer zu gewinnen? Gebe ich mich dem Gefühl der Selbstzufriedenheit hin? Arbeite ich, um später auszuruhen? Hoffe ich meine Scheunen zu füllen, um dann in Untätigkeit leben zu können?
Die Menschheit macht gerne Pläne für eine Zukunft, da das Arbeiten nicht mehr nötig sein wird, und sucht nach Mitteln und Wegen, die so viel als möglich automatisch sind. Sie versucht den Gang der Ereignisse auf weit hinaus vorherzubestimmen, um Überraschungen vorzubeugen und dadurch die Notwendigkeit wachsamen Denkens aufzuheben. Auf diese Weise hofft die Menschheit es dahin zu bringen, daß sie sich ungestört dem Schlaf hingeben kann, derweilen die sterblichen Einrichtungen, die sie ins Werk gesetzt hat, selbsttätig die nötige Arbeit verrichten.
Mrs. Eddy sagt in ihrer Predigt „Christian Healing“ (Christliches Heilen): „Die Segnungen des Himmels sind überwältigend; sie fordern uns zu höheren Pflichten auf und entbinden uns nicht der Mühe und Arbeit.” Wachstum in christlichen Eigenschaften befreit uns also nicht von „Mühe und Arbeit”, d.h. nicht in dem Sinne, daß wir uns der Untätigkeit hingeben können. Ein solches Wachstum führt uns neuen, erweiterten Wirkungskreisen zu und stellt größere Anforderungen an uns. In seinem Gleichnis von den Zentnern wollte Jesus es uns nahe bringen, daß Treue über wenigem den Christen befähigt, über viel gesetzt zu werden. Aber unser Fortschritt hängt vor allem von unsrer Bereitwilligkeit ab, jeden falschen Beweggrund bloßzustellen, der im Hintergrunde unsres Denkens lauern mag. Wenn dies nicht beizeiten geschieht, dann ist keine Demonstration der Kraft des Guten über das Übel möglich.
Die Erfahrung zeigt, daß die Sucht, alle Einzelheiten unsres Lebens vorherzubestimmen, seine Ursache in der Furcht und in dem Mangel an Vertrauen auf Gott hat. Sie entsteht aus dem Mangel an Bereitwilligkeit, auf die Stimme Gottes zu hören, die ihre Weisungen unerwartet und nicht nach menschlich gedachter Weise mitteilt. Wer dem oft unverhofft kommenden Ruf dieser Stimme ausweicht, kann sich bei der Ausarbeitung seiner Probleme nicht auf Gott stützen. Er wird den plötzlich an ihn herantretenden Forderungen nicht genügen können, weil er nicht ohne langes Besinnen zu handeln vermag. Seine Taten werden der Kraft und Wirksamkeit entbehren, die auf geistiger Selbsttätigkeit und geistiger Bildsamkeit beruht. Es wird ihm viel Mühe kosten, sich von dem Plan, den er für sich selbst ausgedacht hat, loszumachen, und vielleicht wird die gute Gelegenheit an ihm vorüber sein, bevor er sie hat fassen können.
Der Christliche Wissenschafter, der sein Leben nach Gottes Weisungen einzurichten sucht, darf die Zustimmung des sterblichen Sinnes nicht erwarten, denn dieser Sinn nimmt die Forderungen des göttlichen Gemüts nicht wahr und kann die stimme Gottes nicht hören. Wenn wir unsre Seligkeit schaffen wollen, dürfen wir nicht auf die Äußerungen des sterblichen Gemüts achten, und es ist falsch, dem sterblichen Sinn auf Kosten unsres geistigen Verständnisses Zugeständnisse zu machen. Unser Meister sagte: „Mein Vater wirket bisher, und ich wirke auch”. Diese Worte sollten jeden Nachfolger Christi inspirieren.
Wenn es unser aufrichtiger Wunsch ist. Gott erkennen zu lernen, ein besseres Verständnis vom Guten zu erlangen. Sein Gesetz, Seine Wege und Absichten zu verstehen, dann können wir der göttlichen Hilfe gewiß sein, und das ist genug. Die Zustimmung der Welt und des sterblichen Ichs kann nichts zu unserm wahren Fortschritt beitragen. Sie kann uns nicht mit „Freudenöl” salben noch uns den „heiligen Schmuck” verleihen. Der Perserkönig sagte zu Daniel: „Dein Gott, dem du ohne Unterlaß dienest, der helfe dir”. Das göttliche Prinzip führt uns zu jeder Zeit und zu jeder Stunde, in jeder Gefahr und jeder Versuchung. Der unvorbedachte Ausweg wird sich demjenigen bieten, der für die unvorbedachte Arbeit bereit ist. Schneller Gehorsam ermöglicht die Demonstration, die den sterblichen Sinn überrascht. Dem, der stets parat ist, bereitet geistige Tätigkeit die größte Freude; behagliche Ruhe und Zerstreuung haben keinen Reiz für ihn. Er sehnt sich nicht nach der Zeit, da er nicht mehr wird arbeiten müssen, und er denkt sich den Himmel nicht als einen Ort, wo er sich der Untätigkeit hingeben kann. Er ist nicht darauf bedacht, eine selbsttätige Methode auszudenken, irgendein automatisches Verfahren, das ihm seine tägliche Arbeit zu ersparen verspricht. Der mesmerischen Täuschung verfallen, daß leben nicht zugleich auch arbeiten bedeutet, würde alle Glückseligkeit aus unserm Leben verbannen.
Die vorherrschenden Meinungen über das, was wirklich Glück bedeutet, berauben uns gar leicht der Gelegenheit, wahres Glück zu erwerben und festzuhalten. Sie möchten unsre Fähigkeit, Gutes zu tun, beschränken und unsre Tätigkeit, intelligent zu handeln und zu denken, gewohnheitsmäßig gestalten. Fortschritt im Guten ist von ernstem Streben bedingt; er muß das Ergebnis wissenschaftlicher Demonstration, eignen Anstrengungen und innerer Erfahrungen sein. Der sterbliche Sinn kann die geistige Demonstration nicht fördern noch voraussehen. Die Führung muß von Gott kommen. Laßt uns stets auf Seine Stimme horchen, die uns zuruft: „Dies ist der Weg; denselbigen gehet, sonst weder zur Rechten noch zur Linken”!
