Wenn wir unsre Ärzte über die Christliche Wissenschaft sprechen hören, müssen wir leider oft die Erfahrung machen, daß sie sich mit einem einigermaßen gründlichen Studium dieser Lehre und der durch sie bewirkten Heilungen nicht beschäftigt haben, sonst könnten die Urteile, die man allenfalls von ihnen hört, nicht fortgesetzt dahinzielen, daß sie wohl die „Heilungen einer Menge eingebildeter und kleiner Leiden als Erfolg eines gründlichen Wegsuggerierens” zugeben, aber an den immer und immer wieder in Zeugnissen, oft unter Angabe der ärztlichen Diagnose, berichteten Heilungen von organischen und schweren Krankheiten — etwa Rückenmarksleiden, bösartiges Gewächs, Wechselfieber, Blinddarmentzündung, Gelenkrheumatismus — interesselos vorübergehen mit der einfachen Behauptung: „Für uns sind diese Fälle nicht glaubwürdig ”
Woher kommt das? Woher die Scheu der Ärzteschaft, hier Erfolge anzuerkennen, die doch vom Patienten selbst, von seiner Umgebung, ja einzelnen ihrer Berufsgenossen tatsächlich erlebt worden sind? Und da eine böse Absicht der Ärzte, deren oft große Opferwilligkeit für die Menschheit gar nicht geleugnet werden kann oder soll, nicht vorliegen kann, so muß man für diese Erscheinung nach einer andern Erklärung suchen. Sie findet sich in der Antwort auf die in der Überschrift angedeuteten Frage.
Die Medizin, vor allem die von dem Durchschnittsarzt vertretene arzneiliche Behandlungsmethode, arbeitet mit Naturkräften als gegeben, denen sie den Menschen erbarmungslos unterjocht, und die Ärzte beanspruchen die Fähigkeit, die durch menschliche Erkenntnis bei Beobachtung dieser Kräfte von den sogenannten Naturwissenschaften gefundenen Naturgesetze derartig in Wirksamkeit treten zu lassen, daß die resultierenden Wirkungen für den menschlichen Körper zu heilenden werden. Ihre fundamentalen und einzigen Hilfsmittel sind also durch menschliche Erkenntnis geleitete, beherrschte und begrenzte Naturkräfte.
Die Christliche Wissenschaft arbeitet nicht mit Naturkräften. Ihr einziger Heilfaktor, dem sie alle und ausschließliche Heilwirkung zuschreibt, ist die göttliche Liebe, die Christus-Wahrheit. Christliche Wissenschafter wallen heilen, wie Jesus heilte. Wie stand Jesus zu den Naturwissenschaften? Seine erste große Tat geschah auf der Hochzeit zu Kana, er machte Wein aus Wasser. Können das die Naturwissenschaften erklären? Hier hat die Chemie das Wort: kann die heutige Chemie, unsre deutsche allen voran, kann eines unsrer großen chemischen Werke, ein Universitätslaboratorium, aus Wasser Wein machen? Jeder Anfänger in der Chemie wird sagen: Nein, es fehlt eben zum Alkohol, der einen wesentlichen Bestandteil des Weines ausmacht, das Kohlenstoffatom, das im Wasser nicht ist, im Alkohol aber enthalten sein muß. Also: Kein Laboratorium unsrer Zeit wird sich an diese Frage heranwagen, sie von vornherein trotz heutiger, weitentwickelter Synthese für ausgeschlossen, für unerklärlich halten. Nach Lukas 17, heilte Jesus zehn Aussätzige, „die stunden von ferne”. Welche medizinische Fakultät kann heute über die Zuverlässigkeit dieses Heilverfahrens mit Fernwirkung ein zustimmendes Urteil abgeben? Die allgemeine Antwort jedes Mediziners wird lauten: „Wir können es nicht erklären.” Ein andres Beispiel: Jesus geht auf dem Wasser und Petrus auch. Hier hat die Physik das Wort: Kann auf der kleinen Grundfläche von etwa zweihundertundfünfzig Quadratzentimeter, welche die Fußsohle ausmacht, ein menschlicher Körper von vielleicht sechzig Kilogramm Gewicht auf dem Wasser gehen bezw. schwimmen? Unsre hochentwickelte Physik, der die Entdeckung des Radiums und der drahtlosen Telegraphie jüngst gelang, antwortet erbarmungslos: „Nein, es muß das Gewicht der verdrängten Wassermenge gleich dem Gewicht des Körpers sein.” Die Physik vermag diesen Vorgang auch nicht zu erklären.
Die Kraft, an die die Christliche Wissenschaft universell appelliert, kann also weder von Medizin, noch Chemie, noch Physik, überhaupt nicht von den Naturwissenschaften erklärt werden, weil diese ihre Erfahrungen und Gesetze aus der Beobachtung der Natur, der Materie entnehmen, und wir kommen, wenn wir die Christliche Wissenschaft, also auch die durch sie verursachten Heilungen verstehen wollen, zu der allgemeineren Frage: „Steht Gott, die göttliche Liebe, die Christus-Wahrheit, über oder unter den Naturgesetzen?” Die drei obengenannten Beispiele aus dem Wirken Jesu, sein ganzes Lebenswerk, die Bibel zeugen von Gott als über den sogenannten Naturgesetzen stehend. Aber eben so voll ist die Bibel von Beispielen dafür, daß der Mensch wohl imstande ist, auf Gottes Hilfe zu rechnen und die Wirkung des Geistes über die Materie unmittelbar zu spüren, durch Gottes Hilfe zu demonstrieren, wenn er nur in der rechten Weise sich an die göttliche Kraft wendet. „Ihr bittet und nehmet nicht, darum daß ihr übel bittet” (Jakobus 4, 3). Wo ist der Mann, der noch beten kann wie Moses, vor sich das Meer, hinter sich die Feinde: „Fürchtet euch nicht und sehet zu, was für ein Heil der Herr heute an euch tun wird.” „Der Herr wird für euch streiten und ihr werdet stille sein.” (2. Mose 14, 13)? Sind wir noch imstande, bei Krankheitsfällen, wie Aussatz, zuversichtlich zu beten und zu sprechen wie der Aussätzige: Matthäus 8, 3: „Herr, so du willst, kannst du mich wohl reinigen!” Oder hat nicht vielleicht dieselbe Disziplin der Naturwissenschaften, die sich das Heilen der Kranken zum Vorrecht angeeignet hat, sich zwischen Gott und den Menschen eingeschoben und ihm den klaren, hingebungsvollen Blick, das Vermögen eines Berge versetzenden Gebets durch einen andern Glauben, den Glauben an die Wirkung der Arzneimittel, recht gründlich getrübt?
Lassen sich die durch die Christliche Wissenschaft bewirkten Heilungen medizinisch erklären? Die Frage sieht jetzt so aus: Läßt sich Gott, die göttliche Kraft, medizinisch erklären? Und der materielle Arzt, welcher die Heilungen der Christlichen Wissenschaft bestreitet, streitet letzten Endes nicht mehr gegen diese, sondern gegen das Christentum, gegen den Gottesglauben überhaupt. Auf diesen verschiedenen Standpunkten ist aber eine Verständigung zwischen Arzt und Christlichem Wissenschafter nicht möglich, ihre Voraussetzungen sind verschieden, also auch die Ergebnisse ihrer Erkenntnis. Und es wäre ein Unding, es wäre ein aussichtsloses und verkehrtes Unterfangen, wollte man etwa einen materiell gesinnten Arzt als Gutachter über die Heilungen der Christlichen Wissenschaft heranziehen; notabene: über das Heilverfahren selbst!
Es ist gut, sich hier der Worte des Psychologen Th. Flournoy aus einer Ansprache vor einer Schweizer Studentenvereinigung zu erinnern: „Endlich, meine Herren, scheuen Sie nicht die Wissenschaften! Fürchten Sie im besonderen nicht deren Einfluß auf Ihren Glauben! Denn Glauben und Wissenschaften gehören nicht zu ein und derselben Gattung. Die Wissenschaften stehen neutral, stumm, agnostisch dem Urgrund der Dinge und dem letzten Sinn des Lebens gegenüber. Der Halt, den sie zu geben vermögen, könnte leicht wie ein Stab sein, der dem die Hand durchbohrt, der sich darauf stützt.”
Die Hoffnung, daß die Naturwissenschaften bei ihrer in unsrer Zeit rapid zunehmenden Vervollkommnung die Erlösung, die Christus-Wahrheit bringen könnten, ist irrig: Religion, der Glaube, erlösen von den Banden der Naturwissenschaften — nicht umgekehrt!
Wer nicht vorwärts geht, geht rückwärts.— Spruch.
