Wer das Dasein von einem rein materiellen Standpunkt aus zu betrachten gewohnt ist, neigt leicht zu der Ansicht, daß die Christliche Wissenschaft zu großen Nachdruck auf das Denken lege. Wenn man jedoch die Tatsache im Auge behält, daß jede menschliche Erfahrung das Resultat irgendeines Vorgangs im menschlichen Bewußtsein ist, so muß dieser Einwand verschwinden, Man hat uns eben nicht gelehrt, auf den Zusammenhang zwischen unserm Gedankenvorgang und unserm moralischen und physischen Zustand zu achten. Daß aber dieser Zusammenhang besteht, ist so sicher, als daß sich eine mathematische Aufgabe nicht von selbst löst, Mrs. Eddy wußte das ganz genau und lehrte die Christlichen Wissenschafter, die Ursache von Krankheit und Disharmonie im sogenannten menschlichen Gemüt anstatt in der Materie zu suchen, und das göttliche Gemüt oder die eine göttliche Denkweise als den Quell der Heilung zu erkennen. Durch das ganze Textbuch der Christlichen Wissenschaft hindurch ermahnt sie die Sterblichen, ihre Denkweise zu verbessern. Sie schreibt: „Steh Wache an der Tür des Gedankens. ... Halte dem sterblichen Gemüt schadenbringende Irrtümer fern; dann kann der Körper nicht unter ihnen leiden”. Ferner: „Halte den Gedanken beständig auf das Dauernde, das Gute und das Wahre gerichtet, dann wirst du das Dauernde, das Gute und das Wahre in dem Verhältnis erleben, wie es deine Gedanken beschäftigt” (SS. 392, 261).
Wenn die Annahme wahr wäre, daß der Mensch von materiellen Verhältnissen regiert wird, ganz unabhängig von seinem Bewußtsein, so würde das das Gemüt aus dem Universum ausschließen und den Menschen zum Opfer des Zufalls machen. Der Glaube, daß das Leben eine Reihe von Erfahrungen und Abenteuern sei, beruht einfach auf dem Versuch seitens der Sterblichen, der Verantwortlichkeit für ihr falsches Denken zu entrinnen. Die Tatsache, daß ohne Ursache nichts vorkommt, zeigt, wie wichtig es ist, daß der einer Handlung oder Erfahrung vorausgehende Gedanke gut und edel sei. Dies hatte ohne Zweifel Paulus im Auge, als er die Philipper ermahnte, gute, reine und edle Dinge zu denken und gesinnet zu sein „wie Jesus Christus auch war”. Diese Ermahnung des Apostels bedeutet natürlich, daß wir die gleichen Dinge denken sollen, die Jesus dachte. Im ganzen Neuen Testament werden die Christen ermahnt, sich den Christussinn anzueignen. In dem Grade, in welchen, sie dieser Ermahnung folgen, bekunden sie das Christus-Leben und die Christus-Macht. Die Wirkung des Gesinntseins wie Jesus war, d. h. die Wirkung gleicher Gedanken über Gott und den Menschen auf das eigne Leben und Betragen kann sich jedermann vorstellen, und in dieser Vorstellung tritt die Tatsache klar hervor, daß die Möglichkeit, gute Gedanken zu denken, stets vorhanden ist.
Es ist offenbar, daß jemand, dessen Gedanken sich fortwährend mit unheiligen Dingen beschäftigen, kein reines Leben führen kann, bis sich seine Denkweise bessert, und daß der, dessen Gedanken mit Furcht erfüllt sind, nie wirklich glücklich ist. Sünde und Krankheit gelangen immer auf mentalem Wege in das Bewußtsein. Der erste Schritt in der Ausarbeitung unsres Heils ist daher, diese Wege mit Hilfe entgegengesetzter Gedanken zu sperren. Die Tatsache, daß weder Sünde noch Krankheit oder irgendein Irrtum durch einen guten Gedanken eindringen kann, sollte uns erkennen lassen, wie klug und vorteilhaft es ist, nie Schlechtes zu denken. Sünde kann unmöglich durch gute Gedanken, oder Haß durch liebevolle Gedanken in unser Bewußtsein eindringen; ebensowenig kann irgendein andrer Irrtum Zutritt erhalten, es sei denn durch die Liebe zum Bösen oder die Furcht vor demselben. Gute Gedanken öffnen den Weg zu guten Erfahrungen. Dies bestätigt die Lehre der Christlichen Wissenschaft, daß richtiges Denken der einzige Weg zur Erlösung ist.
Übel gesinnet sein heißt, nicht gesinnet sein „wie Jesus Christus auch war”— den „fleischlichen Sinn” besitzen, der voll Ungerechtigkeit und Unrat ist, der das hervorbringt, was dem Reich Gottes im Menschen entgegengesetzt ist. Unsre Erfahrung kann nicht lange auf einer höhern Ebene verweilen als die, auf welcher sich unsre Gedanken bewegen. Die einzige Grundlage, auf die wir bauen können, sei es für Zeit oder Ewigkeit, ist das, was wir im Innersten unsres Denkens sind. Die Wahrheit wird weder durch Bekenntnis noch durch äußerliche Erscheinungen getäuscht, sondern sie erwägt die Gedanken der Menschen. Es steht geschrieben: „Es ist nichts verborgen, das nicht offenbar werde, und ist nichts heimlich, das man nicht wissen werde.” Sind wir für diese Entblößung unsrer geheimen Gedanken bereit? Würden wir fortfahren, unfreundlich und unrein zu denken, wenn unsre innersten Gedanken bloßgelegt würden? Was andres als zügellose Genußsucht könnte uns zu einer Art des Denkens verleiten, der wir uns schämen müßten, wenn sie bekannt wäre? Was andres als moralische Trägheit möchte das dulden, was dem Göttlichen nicht entspricht und unsrer Aufmerksamkeit nicht würdig ist, währendem das Gute und Wahre bereit steht, seinen Segen in unserm Bewußtsein zu entfalten? Wir allein sind die Hüter unsrer Gedanken, und es steht in unsrer Macht, sie vor Befleckung zu bewahren, ob wir dies anerkennen oder nicht.
Auf Seite 242 von Wissenschaft und Gesundheit erklärt Mrs. Eddy, der einzige Weg zum Himmel besteht darin, daß man kein andres Bewußtsein habe, als das Gute. Der kurze Bericht in der Heiligen Schrift über das Leben und die Werke unsres Meisters zeigt, daß er dieses Bewußtsein hatte, und daß seine Macht, Gutes zu tun, das Ergebnis dieser Tatsache war. Hätte er sich mit bösen oder sinnlichen Gedanken beschäftigt, so würde er Gott und Seine Allheit nicht genügend verstanden haben, um die Annahme vom Tode zu vernichten und auf diese Weise der Wegweiser der Menschheit zu werden und sie von der Sterblichkeit und deren Übeln zu befreien. Der einzige Weg, seinem Beispiel zu folgen, ist ohne Zweifel der, daß man sich den gleichen Sinn aneignet, den er hatte, d.h. daß man nach den gleichen Dingen strebt; dann wird man auch anfangen, die gleichen Dinge zu tun.
Das erhabenste Beispiel von dem Einfluß des göttlichen Denkens auf die Menschheit finden wir in der Lebensgeschichte Jesu Christi, so daß die höchste geistige Norm, welche Paulus den Philippern wie überhaupt allen Christen vorhalten konnte, der Sinn war, den unser Meister offenbarte. Es gibt kein materielles Christentum. Die Materie besitzt keine Intelligenz, mit welcher sie Gott anbeten oder Christus verstehen und ihm nachfolgen könnte. Nur im Reiche des geistigen Bewußtseins können wir seine Jünger sein, und dieses Ziel erlangen wir, indem wir anfangen, unwürdige Gedanken auszutreiben, oder indem wir aufhören, solche zu denken. Erst wenn wir einen höheren Standpunkt erreicht haben, wo Gott alle unsre Gedanken beherrscht, können wir die Sünde und ihre Wirkung überwältigen, die Sterblichkeit ablegen und des Menschen geistigen Ursprung voll und ganz erfassen. Solange unsre Jüngerschaft uns nicht zu göttlichem Denken führt, bringt sie uns auch dem Ziele des Christentums, wie es Jesus vorgesteckt hat, nicht näher.
Sogar menschliche Weisheit lehrt, daß, wenn wir einen gegebenen Weg verfolgen wollen, unser Denken denselben erkennen und ihn uns zeigen muß. Um gefährliche Stellen oder einen falschen Kurs zu vermeiden, muß man den richtigen Weg stets in Gedanken behalten, wie ja die Erfahrung jedes Rad- und Motorfahrers bezeugt. In gleicher Weise müssen wir, wenn wir die Schlingen und Fallgruben eines falschen und schlechten Sinnes vermeiden wollen, unser Denken auf Gott und die Wahrheit Seiner Allheit gerichtet halten, d. h. wir müssen uns nur mit dem Guten und Wahren befassen, also gut und wahr gesinnet sein. Wenn wir uns den sterblichen Menschen mit seinen Sünden und Schwächen zum Vorbild nehmen, werden wir den vollkommenen Menschen nie sehen, wie Jesus ihn sah, und werden das geistige Erkennen nie erreichen, vermöge dessen er die Kranken heilte. (Siehe Wissenschaft und Gesundheit, S. 477.) Dies gilt für alle Phasen unsrer Probleme. Nur wenn wir unsre Aufmerksamkeit stets auf die Wahrheit richten, können wir den Irrtum aufdecken und zerstören. Wir sehen stets das, was wir betrachten, und das, was wir am meisten betrachten, wird zu unserm Vorbild. Wir können nicht Überfluß zum Ausdruck bringen, solange unsre Gedanken von Mangel erfüllt sind, noch können wir das Bewußtsein des Friedens erlangen, solange sich unsre Gedanken mit Streit und Feindseligkeit abgeben. Möchten wir reichliche Versorgung haben, so müssen wir uns an deren göttliche Quelle wenden und nicht an die menschliche Nachfrage; denn wenn wir auf Gott schauen, erkennen wir, daß unsre Versorgung unbegrenzt ist, während, wenn wir die Vorstellung des Mangels im Auge haben, wir nichts als Mangel sehen.
Die menschliche Vorstellung, welche von mentaler Ursächlichkeit nichts weiß und welche die menschliche Fähigkeit, das göttliche Gemüt zu verstehen und widerzuspiegeln, nicht erkennt, möchte unsre Bestrebungen mit Zweifel und Entmutigung umgarnen; die Christliche Wissenschaft jedoch, indem sie des Menschen wahre Beziehung zu Gott als Seiner Idee oder Wiederspiegelung offenbart, hat der ganzen Menschheit den Weg zu richtigem Denken und Handeln eröffnet. Wir haben in der Tat Ursache, uns zu freuen, daß wir nicht gezwungen sind, der ausgetretenen Spur des falschen Denkens vergangener Jahrhunderte zu folgen und in den Banden falscher Erziehung zu verweilen, sondern daß wir, von der Christlichen Wissenschaft geleitet, „vollkommene Vorbilder im Gedanken formen und beständig auf sie hinschauen” können (Wissenschaft und Gesundheit, S. 248). Wir wissen (denn wir haben es bewiesen), daß das Resultat stets im Verhältnis zu unserm Ernst und unsrer Treue sein wird.
