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Das allmächtige Gute

Aus der August 1914-Ausgabe des Herolds der Christlichen Wissenschaft


Als einst eine Mutter zu ihrem Kinde sagte, es sei Gottes Wille, daß sie leide, erhielt sie die Antwort: „Ich kann nicht verstehen, wie du Gott lieben kannst, wenn du denkst, daß Er dich gerne leiden lasse.” Das einfältige Gemüt dieses Kindes war bereit, die Liebe wiederzuspiegeln, die es aus seiner Umgebung jederzeit in sich aufnahm, und es lehnte sich unwillkürlich auf gegen die von der Mutter ohne Murren und als etwas Selbstverständliches hingenommene Anschauung, daß Gott, den sich die Kleine als Liebe vorstellte, lieblos handeln könne. Ihr widerstrebte natürlich ein solcher Gedanke; die Mutter aber, die ihr lebelang auf materiellem Standpunkt gestanden hatte, hegte und pflegte diesen Gedanken. Tapfer und schweigend trug sie ihr Leiden, in dem Glauben, daß es so Gottes Wille sei.

Dieser bedauerlichen Anschauung begegnet man leider sehr häufig, und verhältnismäßig wenige Christen erkennen bis jetzt, wie irrig und vernunftwidrig sie ist. Die falschen Begriffe von der Gottheit schwinden jedoch immer mehr. Nachdem die obenerwähnte Kleine herangewachsen war, bemächtigte sich ihrer vor einigen Jahren ein sehnendes Verlangen nach Erkenntnis, und ihre dürstende Seele suchte Erquickung. Deshalb hieß sie dankbaren Herzens die Wahrheitslehre willkommen, derzufolge Sünde und Leiden, unrechtes Wollen und dessen Bestrafung nicht von Gott kommen und daher in Gottes vollkommener Schöpfung keinen Platz haben, weil daselbst weder Leid noch Geschrei, Schmerz noch Seufzen ist. Sie atmete erleichtert auf, als sie Gott von aller Unvollkommenheit freisprechen konnte, und es stieg in ihr ein starkes Verlangen auf, dem himmlischen Vater einen Beweis der Liebe und Dankbarkeit zu geben, die Ihm entgegenzubringen sie sich wegen ihrer auf Unkenntnis und irriger Belehrung beruhenden Anschauung so lange hatte abhalten lassen.

Obwohl von den vielen Bürden, die die Christliche Wissssenschaft ihren Schülern abnimmt, die irrige Annahme, daß Gott unser Leiden wolle, geringer sein mag als die Bürde des Lasters, so ist sie dennoch ein sehr schwerwiegender Faktor in der Irrtumsmasse gewesen, die uns bei unserm Emporsteigen zur geistigen Wahrheit hindernd im Wege lag. Der Wunsch, sich der Bürde des Leidens zu entledigen, ist immer vorhanden, und jede diesem Zweck dienende Methode wird mit Eifer angewandt. Sind wir aber ebenso geneigt, unserm Mitmenschen in bezug auf seine Schwächen oder sein tadelnswertes Verhalten unsre Hilfe zukommen zu lassen? Leider nein. Fast unvermerkt stellt sich bei uns der listige Gedanke ein, daß diese Übel nicht so schlimm oder verderblich seien, als daß wir in helfender Weise eingreifen müßten. Dasselbe listige Element ist auch am Werk hinsichtlich unsrer Haltung Gott gegenüber. Wir sagen, wir seien von Liebe gegen Gott und gegen unsern Mitbruder erfüllt; und doch haben wir keinen von beiden genügend geliebt, um sie völlig von jeder Annahme des Übels zu trennen.

Die obenerwähnte Kleine hatte wirkliche Liebe zu Gott. War Gott gut, so konnte Er ihrer Ansicht nach keinen Schmerz, keine Krankheit, keine Sünde, kein Elend senden. Daher hielt sie fest an Seiner Güte und weigerte sich, etwas Geringeres von Ihm zu erwarten. Das gleichzeitige Bestehen des Guten und des Bösen war selbst ihrer kindlichen Logik nach unmöglich. Als sie dann im Verlauf der Jahre diese Tatsache mehr oder weniger unberücksichtigt ließ und infolge täglicher Erfahrungen und irriger Umgebung das Trugbild in sich aufzunehmen begann, entstand eine solche mentale Disharmonie, daß sie aus reiner Selbstsucht und Gleichgültigkeit der Frage lieber ganz aus dem Wege ging und sich gleich einem Pendel zwischen Wahrheit und Irrtum hin und her bewegte. Solange das Leben ruhig dahinfließt, pendeln wir ruhig weiter und verfallen wohl schließlich in einen so tiefen Schlaf, daß wir durch ein gewöhnliches Geräusch nicht mehr aufgeweckt werden, bis zuletzt ein innerer oder äußerer Schmerzenssturm uns zur Tätigkeit aufrüttelt. Dann kommen wir allgemach zu der Erkenntnis, daß es sich doch der Mühe verlohnen könnte, der Ermahnung zu folgen: „Prüfet aber alles, und das Gute behaltet.”

Es wäre außerordentlich schwierig und mühsam für uns gewesen, das wahrhaft Gute zu prüfen und zu erkennen, hätte uns nicht Mrs. Eddy die Mittel hierzu an die Hand gegeben. Sie hat den Weg für die Trägen geöffnet, die ihren aus der Kindheit herübergebrachten und bisweilen als kindisch bezeichneten Glauben haben fahren lassen, und die den steilen Abhang hinabgeglitten sind und sich am Fuß desselben in scheinbarer Ruhe der Gleichgültigkeit und dem Unglauben hingegeben haben. Einige von uns wurden plötzlich durch einen Sturm der Disharmonie geweckt; ein Donnerschlag ließ die zu Staub und Asche gewordenen Schätze vieler Jahre auf unser Haupt sinken, ein Wolkenbruch des Kummers schwemmte alle Hoffnungen einer materiellen Zukunft hinweg, und wir erwachten in der schweren Luft des Zweifels, der Bestürzung und Furcht. Daun erhoben wir uns mit herben Worten und grollendem Herzen gegen Gott, sanken aber schließlich auf die Knie, um auf das „still sanfte Säuseln”, auf die Stimme des Trostes und der Erquickung zu horchen und unsre Augen emporzuheben zu dem, der da ist „eine Hilfe in den großen Nöten”. Und weit über dem Traum des Chaos, der Unzufriedenheit und des Kummers sahen wir die Hand der Liebe, die alles regiert, was da ist, was je sein kann und was in Wirklichkeit gewesen ist.


Die Philosophie, welche sich der Betrachtung des Todes widmet, ist eine falsche; die wahre Philosophie ist eine Weisheit des Lebens; für sie gibt es keinen Tod.—

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