Im fünften Rapitel des Johannes-Evangeliums lesen wir: „Suchet in der Schrift; denn ihr meinet, ihr habt das ewige Leben drinnen; und sie ist’s, die von mir zeuget; und ihr wollt nicht zu mir kommen, daß ihr das Leben haben möchtet.” Es ist sehr bedeutungsvoll, daß Jesu Zeitgenossen und Landsleute in der Schrift Leben suchten. Nun entsteht die Frage: Wie viele Menschen tun dies in unsern Tagen außerhalb der Reihen der Christlichen Wissenschafter. Gewiß gibt es zahllose Christen, die sich über ein nach dem Tode zu beginnendes ewiges Leben Gewißheit zu verschaffen suchen. Die Christliche Wissenschaft jedoch lehrt, daß Leben, geistig erfaßt, weder Anfang noch Ende hat, denn „Ewigkeit, nicht Zeit drückt den Gedanken des Lebens aus, und Zeit ist kein Teil der Ewigkeit”, wie Mrs. Eddy in Wissenschaft und Gesundheit sagt (S. 468).
Im Alten Testament ist viel die Rede von den endlosen Jahren des Allmächtigen; aber wir finden da sehr wenig, aus dem hervorgeht, daß ewiges Leben des Menschen göttliches Erbe ist. Es blieb Christus Jesus vorbehalten, solches durch seine geistigere Auslegung darzutun, und durch das Heilen der Kranken und das Erwecken der Toten zu beweisen, daß diese seine Auslegung auf göttlicher Wahrheit beruhte. Der Meister drang tief in den Sinn der Heiligen Schrift ein, was daraus zu ersehen ist, daß er oft Bibelstellen anführte und sie als Waffen gegen die Angriffe des Übels gebrauchte. Man denke an seine Worte aus dem fünften Buch Mose und dem einundneunzigsten Psalm gelegentlich der Versuchung in der Wüste. In dem Grade, in dem die Schüler der Christlichen Wissenschaft die Macht des Wortes verstehen lernen, wenden sie die Mittel an, die Jesus anwandte. Sie erkennen dann immer mehr, daß, wie Paulus sagt, diese geistigen Waffen „mächtig” sind „vor Gott, zu zerstören Befestigungen.”
Wenn auch Außenstehende, und unter denselben viele erklärte Christen, die Anwendbarkeit des Wortes zur Vernichtung von Krankheit sowohl wie von Sünde bezweifeln, und wenn sie auch unser Bestreben, diese Anwendbarkeit zu beweisen, verspotten und verhöhnen, so ändert dies doch nichts an der Tatsache, daß solche Beweise in Hülle und Fülle vorhanden sind. Wir brauchen nur das neunzehnte Kapitel der Offenbarung zu lesen, um zu erkennen, daß die Erlösung der Welt durch „das Wort Gottes”, durch das Bekräftigen der Wahrheit gegenüber jeder Kundwerdung des Übels kommen muß; auch darf es uns nicht wunder nehmen, wenn uns in diesem Kapitel gesagt wird, daß der Vertreter der Wahrheit ein Kleid anhatte, „das mit Blut besprenget war”; denn heftig ist der Kampf, aber glorreich der Sieg.
Christliche Wissenschafter können nicht zu eifrig in der Heiligen Schrift forschen, vorausgesetzt, daß sie die wissenschaftlich-geistige Bedeutung derselben zu ergründen suchen. Als die Schriftgelehrten und Pharisäer den großen Lehrer mit einer Frage über menschliche Verwandtschaft und deren Fortdauer nach dem Tode zu fangen suchten, gab er sofort zur Antwort: „Ihr irret und wisset die Schrift nicht noch die Kraft Gottes.” Nun gibt es in der Bibel keine Stelle, die diese Frage in materieller oder persönlicher Weise behandelt. Jesus ging der Sache direkt auf den Grund und tat mit unwiderstehlicher Logik dar, daß für Gott niemand tot ist, „denn sie leben ihm alle”. Seine Gegner behaupteten, in der Heiligen Schrift ewiges Leben zu suchen, wollten es aber nur unter der Bedingung annehmen, daß es ihren materialistischen Anschauungen angemessen sei. Und in diesem Punkt unterscheiden sie sich nicht von der Menge in unsern Tagen. „Der Buchstabe und der Geist” müssen „Zeugnis ablegen”; dies ist es, was uns vor allem not tut.
Eine Mutter, die angefangen hatte, die Wahrheit zu erforschen, wie dieselbe in der Christlichen Wissenschaft gelehrt wird, saß einst während der Nacht neben ihrem Kinde, das dem Zeugnis der Sinne gemäß sehr krank war. Mit schwerem Herzen nahm sie die Bibel zur Hand und schlug die Stelle auf, wo von dem Zug der Kinder Israel durch das Rote Meer erzählt wird. Sie las weiter, Seite für Seite, bis ihr das Gemach hell erleuchtet schien. Die Nacht verging wie eine Stunde, und als der Morgen anbrach, war die Wolke verschwunden. Keine Vermittlung hatte stattgefunden — nichts weiter als das belebende Erkennen, welches die Kinder Israel durch die ihnen drohenden Gefahren hindurchführte und welches, wie Jesaja sagt, „über alle Wohnung des Berges Zion” kommen soll. So laßt uns denn fleißig in der Schrift suchen, damit wir „das Leben und volle Genüge” erlangen mögen.
