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„Verdammt nicht”

Aus der Oktober 1915-Ausgabe des Herolds der Christlichen Wissenschaft


In einer Mittwochabend-Versammlung in Der Mutter-Kirche wurden kürzlich zwei Gebote Jesu verlesen: „Richtet nicht, so werdet ihr auch nicht gerichtet. Verdammt nicht, so werdet ihr nicht verdammt,” und: „Richtet ein recht Gericht.” Die darauffolgenden Stellen aus Wissenschaft und Gesundheit waren zum Teil aus dem Anfang des Kapitels „Betätigung der Christlichen Wissenschaft,” wo Mrs. Eddy davon spricht, wie Jesus die große Sünderin (Maria Magdalena, wie man annimmt) auf seine göttliche Art behandelte. Ist nun das Kritisieren und Verdammen andrer dem eignen Fortschritt in der Erlangung von Gesundheit und Harmonie hinderlich? Ja, ohne allen Zweifel. Nichts bringt das Unheil, das uns und andern durch falsche Kritik erwächst, kürzer und treffender zum Ausdruck, als des Meisters Ausspruch: „Verdammt nicht, so werdet ihr nicht verdammt.”

Vielleicht kann die Wichtigkeit dieser Worte durch ein Beispiel erklärt und nutzbar gemacht werden. Wenn man eine meilenweit geradeauslaufende Eisenbahnlinie auf einer unabsehbaren Ebene mit dem Blick verfolgt, so scheint es, als träfen die beiden Schienen schließlich zusammen. Wollte man nun die Eisenbahnverwaltung verdammen, weil sie solche Zustände gestatte, so würde man sich nur selbst verdammen, denn das eigne falsche Urteil würde einem aus Angst vor dem scheinbar unausbleiblichen Unfall nie erlauben, einen Zug zu besteigen. Auf diese Weise leidet man an ungerechtem Urteil, bis man „ein recht Gericht” richtet. Dies aber kann nur dadurch geschehen, daß man das falsche Zeugnis der Sinne durch die Wahrheit berichtigt. Und so ist es auf allen Lebensgebieten. Sobald man lieblos kritisiert und verdammt, urteilt man nicht „recht” sondern schließt sich von den heilenden Wirkungen der göttlichen Liebe aus. Das gerechte Urteil erkennt alle Menschen als Brüder und (ihrem wahren Wesen nach) als Kinder Gottes. Die Fehler, die die Sterblichen begehen, dürfen ihnen nicht unbarmherzig zur Last gelegt werden. Wir alle brauchen Nachsicht, und wer sich das klar macht, wird nicht mehr über andre aburteilen, sondern geduldig bessere Zustände abwarten.

Das Gebot „Richtet nicht” soll keineswegs heißen, daß man im täglichen Leben Klugheit und Vorsicht beiseite setzen darf. Man muß sich diese Vorschrift stets zusammendenken mit dem andern bereits angeführten Wort Jesu: „Richtet ein recht Gericht.” Damit soll gesagt sein, daß man im Verkehr mit dem Mitmenschen stets „vernünftiglich” handeln soll. Jesus gab es einmal deutlich zu erkennen, was er mit seinem Geheiß „Richtet nicht” meinte. Es sprach einer aus dem Volk zu ihm: „Meister, sage meinem Bruder, daß er mit mir das Erbe teile.” Jesus aber antwortete: „Mensch, wer hat mich zum Richter oder Erbschichter über euch gesetzt?” Er weigerte sich also, als Richter zu fungieren oder einen andern des Vorrechts der Selbstentscheidung zu berauben. Auch sprach er kein Verdammungsurteil über die Sünderin aus, als Simon, der Pharisäer, es von ihm erwartete. Dennoch aber richtete er „ein recht Gericht,” und die Folge war die Aufrichtung und Erhebung dieser Ausgestoßenen. Wenn Maria Magdalena und diese Sünderin ein und dieselbe Person waren, so wurde sie eine treue Anhängerin Jesu, und zwar war sie die Letzte am Kreuz und die Erste am Grabe.

Gewiß wäre niemand mehr berechtigt gewesen, die Handlungsweise eines andern zu verurteilen, als der Vater des verlorenen Sohnes. Und doch äußerte er kein hartes Wort. In diesem Gleichnis war die Liebe des Vaters eine Wiederspiegelung der göttlichen Liebe, und das brachte den Verlorenen wieder heim. Wenn die Menschen nur vom unfreundlichen Kritisieren ablassen und liebevolle Gedanken über ihre Nächsten hegen wollten, so würden sie nicht nur selbst Heilung erlangen und selbst empfänglich sein für Gottes Segnungen, sondern sie würden auch andern zahllose Wohltaten bringen.

Die Christliche Wissenschaft spricht sich sehr deutlich über die Gewohnheit des Verdammens aus. In der „Richtschnur für Beweggründe und Handlungen,” die an jedem ersten Sonntag im Monat in allen Kirchen der Christlichen Wissenschaft verlesen werden, ist der liebevolle Rat enthalten: „Die Mitglieder dieser Kirche sollen täglich wachen und beten, daß sie von allem Bösen erlöst werden, vom Prophezeien, Richten, Verurteilen, Ratgeben, irrigen Beeinflussen oder Beeinflußtwerden” (Kirchenhandbuch, S. 40). Wenn wir uns selbst und andre befreien wollen, dürfen wir niemals Böses prophezeien, niemals vom Standpunkte des Irrtums aus urteilen, uns selbst und andre niemals verdammen, sondern müssen unermüdlich acht geben, daß wir nur durch die göttliche Liebe und Wahrheit beeinflußt werden.

Die Christlichen Wissenschafter werden gelehrt, daß der Mensch das Bild, die Idee oder die Widerspiegelung des unendlichen Gemüts ist. In dem Maße, wie der Mensch Gott wahrhaft wiederspiegelt, ist er ein Bild von Rechtlichkeit, Gesundheit und Lebensfülle. In dem Maße aber, wie er abgelenkt wird und den Neigungen der Sinne folgt, wird er Mißhelligkeiten, Krieg, Knechtschaft und Krankheit erleiden. Die erste Vorschrift in der Richtschnur, von der soeben die Rede war, lautet: „Weder Feindseligkeit noch rein persönliche Zuneigung sollte der Antrieb zu den Beweggründen oder Handlungen der Mitglieder Der Mutter-Kirche sein.” Sicher ist all unser Handeln eine Widerspiegelung des göttlichen Geistes, wenn wir uns natürlich leiten lassen. Lassen wir dagegen unsre Gedanken durch persönliche Neigungen von der göttlichen Liebe ablenken, so regiert uns nicht der Wille Gottes, sondern der sterbliche Wille. Wer dem Haß und Widerwillen Macht über sich einräumt, entfernt sich vom göttlichen Gemüt und sät und erntet nichts als Disharmonie. Es ist außerordentlich wichtig, daß jeder Beweggrund und jede Handlung genau geprüft werde, damit es sich zeige, ob wir uns auch völlig vom göttlichen Prinzip leiten lassen. Wir tun gut, dem Rat des Apostels Paulus zu folgen: „Schaffet, daß ihr selig werdet,” und uns gewiß zu sein, daß es Gott ist, „der in [uns] wirket.” Wir müssen erkennen, daß Gott allein unser Helfer ist.

Nichts trägt mehr zu unsrer Befreiung von Mißständen bei als klar zu erkennen, daß jeder Anhänger der Christlichen Wissenschaft stets Gedanken der Liebe hegen muß. Dadurch gehorchen wir der weiteren Mahnung der erwähnten Richtschnur: „In der Wissenschaft regiert allein die göttliche Liebe den Menschen. Ein Christlicher Wissenschafter spiegelt die holde Anmut der Liebe wieder in der Zurechtweisung der Sünde, in wahrer Brüderlichkeit, in Wohltätigkeit und Versöhnlichkeit.” Jeder Christliche Wissenschafter hat die Sünde zu bekämpfen; aber es gehört Schlangenklugheit und Taubenunschuld dazu, andern ihre Sünden vorzuhalten. Wir tun das am besten dadurch, daß wir selber in der Wahrheit leben, und zwar so getreulich, daß in andern der Wunsch geweckt wird, auch ihre Fehler loszuwerden. Auf diese Weise spiegeln wir die göttliche Wahrheit und Liebe wieder, die Frieden und Freude ausstrahlt. Uns selber können wir die Sünde ohne Furcht verweisen. Jedes widerspenstige Gefühl, alles falsche Denken, alles, was der Furcht und dem Eigenwillen ähnlich sieht, sollten wir sofort erkennen. Daß irgendeine falsche Regung von Gott sei, darf bei uns keinen Glauben finden. Nichts fördert die Gesundheit mehr als Friede der Seele; und wer der göttlichen Liebe gehorcht, drückt unbewußt und naturgemäß wahre „Brüderlichkeit,” „Wohltätigkeit” und „Versöhnlichkeit” aus.

Über dem Torbogen eines amerikanischen Gerichtsgebäudes steht folgender bedeutsamer Satz: „Gehorsam gegen das Gesetz ist Freiheit.” Wenn diese „Richtschnur für Beweggründe und Handlungen” treulich befolgt würde, gäbe es kein abfälliges Kritisieren, und die Liebe zum Guten würde zur Regel werden. Wo der Geist der Tadelsucht herrscht, findet die Liebe keinen rechten Widerhall; hingegen macht uns bereitwillige Anerkennung zu freudigen Botschaftern des göttlichen Gemüts. Wie dankbar sollten wir Gott, wie dankbar unsrer verehrten Führerin sein für diese Richtschnur, diese Zusammenfassung der göttlichen Gesetze, deren Befolgung Liebe statt Verdammung bewirkt und uns in Wahrheit die „Freiheit der Kinder Gottes” bringt!


Arbeit macht des Lebens Lauf
Noch einmal so munter,
Froher geht die Sonne auf,
Froher geht sie unter.

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