Der Umstand, daß Mrs. Eddy die Wesensgleichheit des beweisbaren Glaubens und der Wissenschaft so sehr hervorhob, erregte allgemeines Interesse, denn die Idee war neu, und in den theologischen Schriften waren diese beiden Begriffe vordem nicht miteinander in Verbindung gebracht worden. Man war der Ansicht gewesen, daß die Wissenschaft, wenn sie der Religionslehre auch nicht gerade entgegengesetzt sei, doch keinen wesentlichen Teil derselben bilde. Daß diese Ansicht immer noch vorherrschend ist, wird denen, die sich zu Mrs. Eddys Lehre bekennen, oft sehr augenscheinlich gemacht. Denkt man sich diese Lehre in ihrer Beziehung zu den vorherrschenden Anschauungen unsrer Zeit, so sieht man ein, wie sehr richtig Mrs. Eddy den Namen Christliche Wissenschaft gewählt hat, findet es aber begreiflich, daß die Behauptung, Wissenschaft und Erlösung seien untrennbare Begriffe, in den Augen vieler Menschen alles bisher Dagewesene auf den Kopf stellt.
Indem nun der Christliche Wissenschafter danach strebt, diese Behauptung im täglichen Leben werktätig zu beweisen, trägt er in Wirklichkeit sehr zum allgemeinen Fortschritt bei, denn er Paßt sich ganz und gar der Grundlage und den Erfordernissen des Fortschritts an. Daß der Versuch, sich einen Glauben zu wahren, der nicht im Einklang mit der Wissenschaft steht, immer von Mißerfolg begleitet ist, geht aus der Religionsgeschichte klar hervor. So zahlreich sind die Beispiele, daß man kaum ein Kapitel aufschlagen kann, wo nicht von einem Menschen die Rede wäre, der, wenn er auch unter die Edelsten und Heldenhaftesten seiner Zeit gezählt wird, in seiner Lebensführung große Widersprüche bekundete.
Wer eine beweisbare Kenntnis von dem einen allgemeinen Gesetz erlangt hat, streift die Fesseln engherziger Lehrmeinungen ab. Behauptungen, die er beweisen kann, vertritt er mit Entschiedenheit, ist aber bescheiden und zurückhaltend, wenn es sich um etwas handelt, was sein Wissen übersteigt. Hat er sich von der Wahrheit einer Theorie überzeugt, so ist er dennoch gegen die, welche entgegengesetzter Meinung sind, nicht unhöflich oder unfreundlich, sondern gesteht ihnen dieselbe Freiheit im Denken und Handeln zu, die er für sich beansprucht.
Solcher Art ist das Verhalten aller Forscher auf dem Gebiete der sogenannten Naturwissenschaft, und es sollte gewiß auch das Verhalten derer sein, die einen Lichtblick von Gottes Gesetz und Ordnung erhalten haben, wie es in des Meisters Worten und Werken geoffenbart wurde. Einer der Hauptgrundsätze des Evangeliums ist der, daß ein jeder göttlich erleuchtet werden kann; daß die Offenbarungen der Wahrheit nicht für einige wenige aufgespart werden, sondern daß sie das Erbe eines jeden sind, der in geistiger Richtung strebsam ist. Wie allgemein zugegeben wird, muß ein jeder seinem höchsten Begriff von Gerechtigkeit und Pflicht treu bleiben, wenn er sich seine Unbescholtenheit wahren und des öffentlichen Vertrauens würdig sein will. Menschenfreundlichkeit, Wohlwollen, Erbarmen, die Bereitwilligkeit, andre ihr Problem ihrer eignen Überzeugung gemäß ausarbeiten zu lassen — diese Haltung ist wissenschaftlich. Nur eine solche Haltung kann ein edelgesinnter und weitblickender Christ denen gegenüber einnehmen, die eine Bewegung oder eine Lehre vertreten, welche für gute und heilsame Dinge eintritt, ohne die persönliche Freiheit und das Wohl andrer zu beeinträchtigen.
Die Physiker haben stets so gehandelt und dadurch ihrem Beruf Ehre gemacht. Dies erklärt den ununterbrochenen Frieden und den großen Fortschritt im Reich der Naturforschung seit der Renaissance. Wer einen Mangel an Rücksicht und Gleichgewicht an den Tag legt, sei es in seiner Rede oder in seinem Benehmen andern gegenüber, verrät dadurch, daß er noch nicht die beweisbare Kenntnis dessen erlangt hat, was Mrs. Eddy „die Wissenschaft des Geistes” nennt (Wissenschaft und Gesundheit, S. 270). Er ist noch immer eins mit der „Agar” des materiellen Sinnes, welche, wie Paulus sagt, „dienstbar” ist „mit ihren Kindern.”
Es hat sich in dem Leben so mancher Menschen von sonst gutem Charakter bewiesen, daß es keine Harmonie, keine wahre Bruderliebe, keine wahre Selbstbeherrschung, keine Erlösung gibt außer durch die wissenschaftliche und daher beweisbare Erkenntnis des göttlichen Prinzips und seiner Herrschaft — durch das Öffnen der Augen, die es uns ermöglichen, die Wunder an Gottes Gesetz zu erkennen. Auf Grund dieser Tatsache steht die Christliche Wissenschaft in solch bedeutungsvoller Beziehung zur Erlösung der Welt.
