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„Da bin ich mitten unter ihnen”

Aus der Dezember 1915-Ausgabe des Herolds der Christlichen Wissenschaft


Beim Durchsehen einiger alter Hefte des „Journal” fand ich einen Aufsatz, in dem der Verfasser auf die Notwendigkeit einer „unbeeinflußten Majorität” in unsern Geschäftsversammlungen hinweist, sowie darauf, daß diese Majorität unsern Schutz und unser Vertrauen genießen solle, weil sie oft ein Mittel zur Kundgebung des göttlichen Willens sei. Der Ausdruck „eine unbeeinflußte Majorität” erregte meine Aufmerksamkeit und führte zu gewissen Fragen, deren Beantwortung mir großen Gewinn brachte. Zunächst die Frage: Warum ist eine solche Majorität nötig? Ferner: Wie sollen wir ihr unsern Schutz angedeihen lassen? Warum können wir darauf vertrauen, daß sie den göttlichen Willen zum Ausdruck bringt? Während ich nach einer Antwort auf diese Fragen suchte, kamen mir die Worte des Meisters in den Sinn: „Denn wo zween oder drei versammelt sind in meinem Namen, da bin ich mitten unter ihnen.” Was ist nun dieses „Ich” in unsrer Mitte? Im Glossarium von Wissenschaft und Gesundheit finden wir folgende Erklärung: „Das göttliche Prinzip; Geist; Seele; unkörperliches, unfehlbares, unsterbliches und ewiges Gemüt” (S. 588). Wenn aber das „Ich” Gemüt ist, und Gemüt allgegenwärtig ist, muß es dann dem einzelnen nicht ebenso nahestehen wie einer Anzahl Menschen? Warum ist die Verheißung den zweien oder dreien gegeben, die beisammen sind?

Hierdurch wird zunächst die Frage angeregt: Warum wird unter uns Menschen dieses allmächtige, unfehlbare Gemüt nicht immer erkannt und zum Ausdruck gebracht. Liegt es nicht daran, daß wir uns manchmal von persönlichen Ansichten dermaßen leiten lassen, daß wir die Wahrheit eine Zeitlang aus dem Auge verlieren? Der persönliche Sinn — die Ansichten, die sich als Ergebnis des Zeugnisses des materiellen Sinnes bei uns geltend machen, verbunden mit Einflüssen der Erblichkeit, der Umgebung, des Temperaments, der Erziehung und andrer ähnlicher menschlicher Faktoren, zu denen persönliche Vorurteile und Neigungen kommen, sowie all das verdunkelnde, trennende Gedankenwesen, dessen Name Legion ist — nur dieser Sinn kann uns daran hindern, einen klareren Begriff von der Wahrheit als einem allgegenwärtigen und untrennbaren Ganzen zu erlangen.

Es folgt hieraus, daß, wenn wir die Wahrheit erkennen wollen, wir uns vom persönlichen Sinn freimachen müssen. Es ist das keine leichte Sache, denn dieser Sinn ist mit dem sterblichen Denken dermaßen verquickt, daß wir oftmals nicht zu erkennen vermögen, wodurch wir beeinflußt werden. Glücklicherweise haben nicht zwei von uns genau dieselben persönlichen Ansichten, und es ist daher leichter, das Unvernünftige an der irrigen Meinung eines andern zu erkennen, wenn wir dieselbe nicht teilen. Wenn also eine Anzahl Menschen beisammen sind, um über eine Frage frei und offen zu diskutieren, und wenn dann weit auseinandergehende Ansichten vorgebracht werden, so erweist sich der persönliche Sinn des einen und sodann der des andern als unzulänglich, unlogisch, durch Vorurteile getrübt oder sonstwie irrig und wird sogar von dem Betreffenden erkannt, falls dieser mit dem Wunsch gekommen ist, den Weg, den er zu gehen hat, zu finden und die erhaltene Weisung sodann willig zu befolgen.

Allgemein gesprochen, wird der persönliche Sinn von einer Anzahl von Menschen, die ihre Meinungen austauschen, gründlicher und vollständiger beseitigt als vom einzelnen, bei dem nur der eigne Gesichtspunkt in Betracht kommt. Die noch vorhandenen Äußerungen des persönlichen Sinnes heben sich dann gegenseitig weiter auf. Da nun das Freisein von persönlichem Sinn die notwendige Bedingung ist, um der Wahrheit zum Werkzeuge dienen zu können, und da dieses Freisein von einer Gruppe von Menschen leichter erreicht wird als von einzelnen, so erklärt es sich, warum die Verheißung den „zween oder dreien” gegeben wurde. Wenn jeder in einer Geschäftsversammlung, wo Kirchenangelegenheiten zur Verhandlung kommen, bereit ist, seinen eignen, bis dahin noch nicht entdeckten persönlichen Sinn aufzugeben, sobald er ihn als solchen erkennt, wenn er froh ist, auf seine verfehlten Anschauungen aufmerksam gemacht zu werden und freudig Besseres annimmt, dann dürfen wir die Verheißung für uns in Anspruch nehmen: „Da bin ich mitten unter ihnen.” Wir müssen den Beweis liefern, daß ein solcher Zustand des Denkens das Licht durchscheinen läßt, und daß wir das Christusartige vertreten können. Solcher Art ist das Werk einer „unbeeinflußten Majorität.”

Daß wir eine solche Majorität brauchen, ist einleuchtend. Kommen wir nun unsrer Verantwortlichkeit nach, wenn jeder von uns sein eignes Denken wie oben beschrieben zu läutern sucht, ehe er zur Versammlung geht? „Wäre es nicht gut,” so könnte jemand fragen, „zu versuchen, auch unsres Mitmenschen Denken zu läutern?” Wir wollen einmal sehen. Angenommen, einige von uns wollten in dieser anscheinend harmlosen und lobenswerten Absicht und in der Überzeugung, daß wir mit unsern Ansichten recht haben, vor der Versammlung unter den Kirchenmitgliedern umhergehen, um ihr Denken in aller Stille richtigzustellen und zu bestimmen. Was täten wir andres, als ihnen unsern eignen persönlichen Sinn in bezug auf Personen und Maßnahmen aufzudrängen? Was berechtigt uns hierzu? Sind wir selber so unfehlbar, daß wir uns dieser Aufgabe für gewachsen halten dürften? Und wozu würde dies führen?

Zunächst würde der mesmerische Einfluß des persönlichen Sinnes über uns selber hierdurch verstärkt, und wir würden schließlich, über das Ziel unsres anfänglichen Vorhabens hinausgetragen, andre auf unsre Seite bringen wollen und vielleicht gar soweit gehen, ihnen bezüglich der Wahl Rat zu erteilen und sie womöglich zu veranlassen, uns Versprechungen betreffs ihrer Stimmabgabe zu machen. Wären wir unter solchen Umständen in der rechten Verfassung zur Versammlung zu gehen? Könnten wir uns der „unbeeinflußten Majorität” sofort anschließen? Und wie stünde es um die andern Mitglieder, auf die wir mit unsern Ansichten eingewirkt haben? Vermöchten sie in Anbetracht ihres unentschiedenen persönlichen Sinnes, zu dem noch die Last unsres persönlichen Sinnes hinzukommt, der „unbeeinflußten Majorität” beizutreten? Bei einem solchen völlig unwissenschaftlichen Zustand wäre es außerordentlich schwer, selbst für diejenigen, die weder selbst einen derartigen Einfluß ausgeübt haben oder bewußt beeinflußt worden sind, sich eine wissenschaftliche Haltung zu wahren, da persönlicher Sinn zu persönlichem Sinn spricht und menschlicher Wille zu menschlichem Willen. Ehe man sich’s versieht, wird man in einen Streit hineingezogen. Unter solchen Umständen wird es fast unmöglich, die Irrtümer des Denkens rechtzeitig zu entdecken und dadurch falsches Handeln zu verhindern; auch wird es außerordentlich schwer, sich über irgendwelchen Gegenstand zu verständigen.

Eine Majorität, wie wir sie uns wünschen, kann demnach nicht dadurch erlangt werden, daß man auf das Denken und Handeln des Mitbruders einzuwirken sucht. Wir müssen unser eignes Denken möglichst berichtigen und andre Mitglieder sich selbst überlassen, damit sie ihre Probleme unter der göttlichen Führung ausarbeiten können. Ist dies geschehen, so haben wir getan, was in unsern Kräften steht, damit alle in Christi Namen zusammenkommen mögen.


Vergiß nicht deines Gottes, o Seele!
Vergiß nicht, was er dir getan!
Verehr’ und halte seine Befehle
Und bet’ ihn durch Gehorsam an!

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