Kommt her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid; Ich will euch erquicken.” Also sprach er, der wie kein andrer verstand, die Menschheit von ihrer Last zu befreien. Christus Jesus sah ihr mühsames Arbeiten, für welches der Glaube an die Materialität allein die Schuld trägt; er sah, wie die Sünde, der Kummer und die Furcht vor dem Tode den Menschen am Herzen nagten, und voller Liebe und Mitleid sprach er: „Nehmet auf euch mein Joch und lernet von mir; denn ich bin sanftmütig und von Herzen demütig; so werdet ihr Ruhe finden für eure Seelen.” Sein Joch ist Gehorsam. Er gehorchte Gott selbst in den geringsten Angelegenheiten des täglichen Lebens, und dadurch eignete er sich allmählich die Kraft an, die es ihm ermöglichte, in Gethsemane und auf Golgatha als Sieger hervorzugehen.
Dank seines Gehorsams fand er den Weg zum Auferstehungsmorgen und zu der geistigen Erhebung des Denkens über den sterblichen Gesichtskreis. Indem er Versuchung, Armut, Furcht, Verfolgung und jede andre Art des Irrtums überwand, erreichte er die Höhe, wo er über all die scheinbaren Wirrnisse der menschlichen Erfahrung erhaben war. Auf diesem erhabenen Standpunkt tat er seine wunderbaren Werke; von hier aus erklangen seine sanften Worte des Trostes und der Kraft, seine liebevolle Einladung, das Tal der Materialität zu verlassen und ihm zu den Höhen des Verständnisses von Gott, unserm Vater, zu folgen. Aber selbst er, den Mrs. Eddy den wissenschaftlichsten Menschen nannte, der je auf Erden gewandelt ist (siehe Wissenschaft und Gesundheit, S. 313), empfand offenbar etwas von dem Grauen vor körperlichen Qualen, das den Menschen innewohnt. Daraus können wir lernen, daß wir uns nicht der Mutlosigkeit oder Selbstanklage hingeben dürfen, wenn wir nicht imstande sind, den Becher, welchen er bis auf die Neige leerte, sofort willig anzunehmen.
Jesu Joch des Gehorsams auf sich nehmen heißt, Stolz, Groll und Auflehnung gegen Gottes Willen zu bändigen und „sanftmütig und von Herzen demütig” zu werden. Erst wenn dies erreicht ist, werden wir die verheißene Ruhe finden. Es ist nicht des Vaters Wille, daß Seine Kinder leiden sollen. Was würden wir von einem menschlichen Vater halten, der sein Kind nur straft, um seinen Willen geltend zu machen. Der Gott, den die Christliche Wissenschaft offenbart, ist barmherzig, liebevoll, gütig und sanftmütig. Wir bestrafen uns selbst durch unsern Eigensinn und unsre Selbstsucht. Die Erfahrung lehrt uns, daß, wenn wir einen Fehler begangen haben, wir uns auf die göttliche Weisheit stützen müssen, ohne zu befürchten, daß uns das sterbliche Gemüt etwas antun könne. Dadurch wird Unwissenheit beseitigt und es erwacht in uns ein besseres Verständnis des Gesetzes der Liebe. Der einzige Zweck der Strafe ist, daß die mesmerische Macht der materiellen Annahme gebrochen werde, damit der Gedanke sich von der Persönlichkeit abwenden und dem geistigen Gesetz zuwenden könne.
Gott quält uns nicht, um uns zum Gehorsam zu zwingen, noch gibt Er zu, daß wir gequält werden. Der sogenannte fleischliche oder sterbliche Sinn ist es, der uns durch sein Bestreben, sich zu rechtfertigen, Leiden verursacht. Wenn wir aber trotzdem fortfahren, das Gute zu lieben, so werden diese Leiden uns dem Himmel, d. h. einem harmonischen Zustand des Bewußtseins zuführen. Man denke an den Fall des Stephanus, wie er im sechsten und siebenten Kapitel der Apostelgeschichte aufgezeichnet ist. Wegen seiner sanften und doch kühnen Verkündigung der Wahrheit des Christentums und seines offenen Tadels der materialistischen Gesinnung seiner Landsleute steinigten ihn diese zu Tode. Treu und liebevoll bis ans Ende kniete er nieder „und schrie laut: Herr, behalte ihnen diese Sünde nicht!” Und dann „entschlief er.” Was möchten wir lieber sein, der Verfolgte oder die Verfolger?
Von allen Verfassern des Neuen Testaments scheint Paulus jenen Gehorsam, der so notwendig ist, um von der Annahme erlöst zu werden, daß es ein von Gott getrenntes Gemüt gebe, am besten verstanden und gepredigt zu haben. Von Christus Jesus sagte er: „Und wiewohl er Gottes Sohn war, hat er doch an dem, das er litt, Gehorsam gelernet.” Jesus ging den Dornenpfad, und auf diesem Pfad erreichen auch wir jenen Zustand des Bewußtseins, in welchem wir die Reinheit, die Demut und den Gehorsam unsres Meisters erkennen und uns zum Vorbild nehmen. Es gibt keinen andern Weg zur Überwindung der materiellen Hindernisse. Im zweiten Kapitel des Philipperbriefes gibt uns Paulus eine kurze Zusammenfassung der Eigenschaften unsres Meisters, und ermahnt uns, gleichgesinnt zu sein. Wenn die Ermahnungen dieses einen Kapitels befolgt würden, so würde das den Weltfrieden herbeiführen, und zwar ohne große Aufregung und ohne den Umsturz bestehender Einrichtungen, denn das, was nicht im Einklang mit dem Prinzip steht, würde mangels einer richtigen Grundlage von selber wegfallen und durch richtige Ideen ersetzt werden.
Gehorsam sein heißt, sich der Führung des Christus anzuvertrauen, und nicht, sich persönlichen Willensäußerungen zu unterwerfen. Mrs. Eddy sagt: „Das göttliche Gemüt verlangt mit Recht des Menschen ganzen Gehorsam, seine ganze Neigung und Stärke. Kein Vorbehalt wird für irgendeine geringere Pflichttreue gemacht” (Wissenschaft und Gesundheit, S. 183). Wenn jemand weiß, daß er Recht tut, so erhält und unterstützt ihn das eine Gemüt, obgleich ihn die Menge verspottet oder ihn bestürmt, falsch zu denken oder zu handeln. Eines Tages werden seine Gegner einsehen, daß sie allen Grund haben, ihn wegen seiner Treue gegen die Wahrheit und Liebe zu segnen. Gehorsam bringt dem müden und schmachtenden Herzen Frieden, gebietet dein Persönlichkeitsgefühl Schweigen und kettet den Gedanken fest an den Felsen, den Christus, die Wahrheit.