In der Christlichen Wissenschaft lernen wir, daß das Universum von dem einen Gemüt, von Gott, regiert wird. Da aber diese Regierung in der menschlichen Erfahrung noch nicht voll zum Ausdruck kommt, kann eine kurze Betrachtung einiger der scheinbaren Hindernisse, die sich ihrer sofortigen Entfaltung entgegenstellen, nur hilfreich sein, d. h. solange man nicht aus dem Auge verliert, daß diese Irrtümer nichts andres sind als Wahnbegriffe, die keine Macht über uns haben, sobald sie von der Wahrheit bloßgestellt und vernichtet worden sind.
Ungeduld, Eigenwille und selbstsüchtiges Streben nehmen unter diesen geheimen Dieben den ersten Platz ein. Das Gefühl der Disharmonie, das sie verursachen, kann nur durch den aufrichtigen Wunsch, den Willen Gottes zu erkennen und zu tun, überwunden werden. In den meisten Fällen entstehen diese widerspenstigen Übel im eignen Bewußtsein, zuweilen aber sind sie Einflüssen von außen zuzuschreiben. Ob nun diese störenden Neigungen des menschlichen Geistes von innen oder von außen stammen, nie dürfen wir ihnen erlauben, uns von der Quelle des Guten und der Weisheit zu trennen, oder die Einigkeit und Liebe unter Gottes Kindern zu stören, die Jesus als das Merkmal echter Jüngerschaft bezeichnete.
Die Gewohnheit, mißmutig über vergangene Erfahrungen zu brüten, ist ein weiterer Friedensstörer. Gewissensbisse wegen begangener Fehler oder Groll wegen ungerechter Behandlung wirft oft einen Schatten auf die Gegenwart und verbittert Herzen, die mit Liebe und Dankbarkeit für empfangenen Segen erfüllt sein sollten. Wenn man einen Fehler begangen hat, muß man sein Bestes tun, ihn wieder gutzumachen, und dann die Sache vergessen; und wer Unrecht erfahren hat, kann sich am besten dadurch vor weiteren derartigen Angriffen schützen, daß er sein Denken mit Liebe erfüllt. Wir sollten uns davor hüten, durch ein beständiges Zurückschauen auf vergangenes Leid uns selber zu quälen.
Auch die Sorge für die Zukunft ist eine dieser törichten und schädlichen Denkgewohnheiten. Sie beweist Mangel an Vertrauen auf Gott. Wenn wir uns ernstlich bemühen, recht zu tun, dann sollte jede Änderung eine Änderung zum Guten sein. Ein jeder hat ein Anrecht auf jenes frohe Vertrauen, das die Jugend beseelt und das Alter seiner Düsterkeit beraubt. Haben Gottes Kinder nicht die Verheißung, daß sie „von einer Klarheit zu der andern” geführt werden sollen? Warum sollten sie sich dann fürchten und verzagt sein?
Ein weiterer Vorbote von Disharmonie ist die Gewohnheit, auf Klatsch zu hören und ihn weiterzutragen. Man sollte Gerüchte über andre nicht leichthin glauben und noch weniger sie verbreiten. In den meisten Fällen handelt es sich nicht einmal um zeitliche Tatsachen, und in der Wahrheit des Seins haben solche Gerüchte jedenfalls keinen Raum. Oft werden kleine Mißverständnisse durch vieles Reden zum ernsten Streit und verursachen Entfremdung zwischen den besten Freunden.
Die eigentümliche Neigung mancher Menschen, sich im schlechtesten Lichte zu zeigen und freundschaftliche Annäherungsversuche abzulehnen, bringt so vielen ganz unnötigerweise Leiden. Duldsame Liebe sieht die guten Eigenschaften an einem solchen Menschen trotz der unangenehmen Außenseite; aber Gleichgültigkeit geht ihm aus dein Wege und eine gereizte Stimmung führt Streit herbei, während ein wenig Selbstverleugnung in den meisten Fällen die Schwierigkeit überwinden würde. Meistens ist unangenehmes Betragen nichts weiter als das Resultat körperlichen Unwohlseins oder eines gespannten Gemütszustandes, so daß der Gutherzige, der dies erkennt, nur Mitleid empfinden kann, statt sich beleidigt zu fühlen. Ja in manchen Fällen wird er den Mut bewundern, mit dem manche Menschen dulden, die noch nicht den höheren Mut erlangt haben, der das Leid überwindet.
Undankbarkeit ist ein sicherer Vorläufer von Disharmonie, Dankbarkeit ist der Sonnenschein des Lebens. Um aber in rechter Weise dankbar sein zu können, muß man den wahren Grund zur Dankbarkeit erkannt haben. Es gibt eine Art Dankbarkeit, die, wenn wir sie näher betrachten, sehr viel Ähnlichkeit hat mit dem Gebet des Pharisäers: „Ich danke dir, Gott, daß ich nicht bin wie die andern Leute.” Sie beruht auf einem falschen Begriff von Gott als einem parteiischen, willkürlichen Richter, der dem einen Gutes gibt und über einen andern Unglück verhängt, statt auf der Erkenntnis des all-liebenden Vaters, der Seine Sonne scheinen läßt über Gerechte und Ungerechte. Sie nährt ein Gefühl der Befriedigung, weil sie sich bevorzugt glaubt, würde aber, falls sich die Umstände zum Schlechten wenden sollten, sich sehr bald in Trotz und Selbstbedauern verwandeln. Außerdem wird unser Leben so lange solchen Veränderungen unterworfen sein, bis wir erkannt haben, daß man Erhöhung nur durch demütigen Dienst erlangen kann.
Es ist klar, daß echte Dankbarkeit nicht von Umständen abhängig gemacht werden darf. Vielmehr muß sie auf einem richtigen Verständnis von Gott beruhen sowie auf der Erkenntnis dessen, was dem Menschen not tut. Der Mensch muß vor allem nach mehr Liebe und Selbstlosigkeit streben, nach einem besseren Verständnis vom Wesen Gottes. Durch das Wachstum an Erkenntnis fangen die Umstände dann an, sich zu bessern. Erfolg und Gesundheit werden zu natürlichen Erfahrungen, Gelegenheiten mehren sich und Glückseligkeit regiert das Leben. Dauernde Dankbarkeit fußt auf dem richtigen Verständnis und der richtigen Wertschätzung geistiger Güter. Sie erkennt das Gute als eine Gabe Gottes, die allen zukommt, sieht ein, daß das Übel zeitlich und vergänglich und das Leben geistig und ewig ist. Wenn wir der Sache auf den Grund gehen, wird es uns offenbar, daß die Vorstellung, als ob der Materie Leben innewohne, die Wurzel des Übels bildet, und daß wir nur durch Wachstum in geistiger Hinsicht zur Harmonie gelangen können.
Um nun geistig zu wachsen, müssen wir unsern geistigen Bedürfnissen mindestens ebensoviel Aufmerksamkeit schenken wie dem, was wir äußerlich benötigen. Die Sterblichen glauben, daß Bewegung im Freien und gesundes Essen in regelmäßigen Zeiträumen zur Erhaltung des Wohlbefindens nötig sei. Sollte es uns nicht ebenso notwendig erscheinen, unser geistiges Wohlbefinden durch Wachstum in der Erkenntnis des Guten und durch systematische und unablässige Betätigung des Guten zu fördern? Es scheint, als müßte jeder denkende Mensch einsehen, daß es von größerem Wert ist, die geistigen Eigenschaften zu pflegen, als den materialistischen Neigungen zu dienen. Der materielle Körper stellt ja nichts Dauerndes dar, das wahre Selbst des Menschen aber, das, was denkt und dem Guten zustrebt, hat ewiges Leben. Wie wichtig ist es im Hinblick auf diese Tatsache, sich im rechten Denken zu üben, das uns in der Richtung der Vollkommenheit forthilft, heraus aus dem Kreise träger Vorstellungen, die den Sterblichen entmutigen, ihn krank und elend machen und schließlich in den Tod führen.
Durch das Streben nach geistigen Gütern verlieren wir nichts, was zu unserm zeitlichen Wohlbefinden nötig ist. Solange Wohnung, Kleidung und Nahrung tägliche Bedürfnisse bilden, werden wir sie haben. Wenn wir unsre Gedanken von Furcht und Selbstsucht gereinigt und alles Gute als den Ausdruck der Güte Gottes erkannt haben, dann werden selbst diese Nachahmungen der geistigen Substanz etwas von der Harmonie der Wirklichkeit erkennen lassen. Verbessertes Denken bringt uns ein Gefühl des Friedens und der Kraft. Mühsame Anstrengungen weichen einer freien, leichten Tätigkeit in der Richtung des Guten. Unsre verehrte Führerin sagt uns: „Gott hat die Materie niemals mit der Macht ausgestattet, das Leben zu Grunde zu richten, oder die Harmonie in einer langen und kalten Nacht der Disharmonie erstarren zu lassen” (Wissenschaft und Gesundheit, S. 378). Mit dem Erscheinen der Wahrheit fliehen die dunkeln Traumschatten des sterblichen Sinnes, und es entfaltet sich uns ein harmonischer Sinn vom Leben, in welchem alles gut und schön ist.
Alles, was bei uns auf Furcht gegründet ist, ist unmenschlich, also auch ungöttlich und muß überwunden werden. Dahin gehört eine Erziehungsart, die die Jugend durch „heilsamen” Schrecken regiert, also durch Furcht. Wo man die Jugend ermutigen sollte, weil sie anders dieses schwere Dasein gar nicht zwingt, hält man sie in Furchtgedanken und gründet darauf ihre Tugend.