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Vergebung

Aus der April 1915-Ausgabe des Herolds der Christlichen Wissenschaft


Die Mission Jesu Christi war eine Mission des Heilens. Er kam, um die Welt von Krankheit, Sünde und Tod zu heilen und um uns zu zeigen, wie wir dem Bösen entrinnen können. Er vollbrachte sein Werk, indem er jeden Begriff der Sterblichkeit in sich selbst überwand, und als er sich vollständig über das Bewußtsein der Sterblichen erhoben hatte, übertrug er die Arbeit seinen Jüngern. An eben diesem Werk sind auch wir heute tätig. Die Christliche Wissenschaft ist gekommen, um uns zu zeigen, wie wir dieses Werk des Heilens vollbringen, echte Christen werden und uns selbst und andre von jeder falschen Annahme, jeder Phase des Übels heilen können.

Wir haben uns der Christlichen Wissenschaft zugewandt, weil wir vor allem selbst Heilung suchten und sodann andre heilen wollten. Dies ist der Zweck jeder Tätigkeit innerhalb der Christlichen Wissenschaft. Alle Werke Mrs. Eddys sowie die Schriften der Verlagsgesellschaft der Christlichen Wissenschaft wurden und werden für die Heilung der Menschheit geschrieben und veröffentlicht. Die Gottesdienste in jeder Kirche der Christlichen Wissenschaft sind heilende Gottesdienste; alle Arbeit in der Sonntagsschule, im Lesezimmer, im Literaturverteilungskomitee, im Komitee für Veröffentlichungen ist Heilarbeit; und ein jeder, der in irgendeinem Zweig der Kirchenarbeit der Christlichen Wissenschaft tätig ist, wirkt in etwas an dieser Mission des Heilens mit.

Jesus Christus hinterließ uns ein kurzes Gebet, das für jedes menschliche Bedürfnis hinreichend ist. Mit einer einzigen Ausnahme handelt jede Bitte in diesem Gebet von des Menschen Beziehung zu Gott; diese eine Bitte betrifft seine Beziehung zu seinen Mitmenschen. „Vergib uns unsre Schuld, wie wir vergeben unsern Schuldigern.” Diese Worte sind sicherlich das Ergebnis von unsres Meisters reichen Erfahrungen im Umgang mit den Sterblichen. Er muß gesehen haben, daß die Menschen im täglichen Verkehr miteinander um nichts mehr beten müssen als um Vergebung. Die Christliche Wissenschaft nun will uns die Worte und Werke Jesu erklären, damit wir in Wahrheit seine Jünger sein können; damit wir imstande sein mögen, seine Gebote zu halten und verständnisvoll zu beten. Solches Beten wird, der Verheißung gemäß, von Gott erhört.

Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift, das Lehrbuch der Christlichen Wissenschaft, erklärt uns, was wahre Vergebung ist, und wie wir sie erlangen. Das Kapitel mit der Überschrift „Betätigung der Christlichen Wissenschaft”, in dem das Heilen erklärt wird, fängt mit der Geschichte des Weibes an, die dem Meister die Füße wusch. Mrs. Eddy weist darauf hin, wie Jesus bei dieser Begebenheit die Kritik der anwesenden Gäste durch ein schlagendes Gleichnis zum Schweigen brachte und sich dann zum Schluß zu dem Weibe wandte mit den Worten: „Deine Sünden sind dir vergeben.” Dann erklärt Mrs. Eddy mit folgenden Worten den Grund, weshalb diese Erzählung einen so hervorragenden Platz im Lehrbuch einnimmt: „Besitzt der Wissenschafter christliche Liebe genug, um seine eigne Vergebung und solches Lob zu gewinnen, wie der Magdalena von Jesus zuteil wurde, dann ist er Christ genug, um sich wissenschaftlich zu betätigen und mit seinen Patienten erbarmungsvoll zu verfahren, und das Ergebnis wird mit dem geistigen Vorhaben übereinstimmen” (S. 365). Wir sehen daraus, daß wir unsern Patienten vergeben müssen, um sie zu heilen, und daß wir zuerst unsre eigne Vergebung erlangen müssen, ehe wir andern vergeben können.

Der Vergebung muß die Reue vorangehen, und die Reue kann nicht eher kommen, als bis das Bewußtsein genügend erweckt ist, so daß es sich von dem Gefühl der Sünde bedrückt fühlt und ihr entrinnen möchte. Der bloße Wunsch jedoch, den Folgen der Sünde zu entrinnen, ist an sich noch nicht wahre Reue, wie dies in sehr bemerkenswerter Weise in Wissenschaft und Gesundheit auseinandergesetzt wird, wo es auf Seite 19 heißt: „Wenn der Sünder fortfährt zu beten und zu bereuen, zu sündigen und betrübt zu sein, dann hat er geringen Anteil an der Versöhnung, ... denn ihm mangelt die praktische Reue, die das Herz umwandelt und den Menschen befähigt, den Willen der Weisheit zu tun.” Was ist denn diese „praktische Reue, die das Herz umwandelt” ? Die Christliche Wissenschaft zeigt uns, daß es eine tatsächliche Umwandlung im Bewußtsein ist.

Der Gemütszustand, in dem der Mensch „fortfährt zu beten und zu bereuen, zu sündigen und betrübt zu sein”, ist noch nicht von dem Licht des geistigen Verständnisses erleuchtet worden; er läßt erkennen, daß das Gute noch nicht erfaßt worden ist. Das Verlangen nach dem Guten ist zwar erwacht, aber das Gute hat noch nicht Raum gefunden. Wohl besteht der Wunsch, der Sünde ledig zu werden, doch der Glaube an die Wirklichkeit der Sünde ist noch lebendig. Dies ist ein Anfangsstadium, das viele Schüler der Christlichen Wissenschaft durchmachen. Ist nun das ehrliche Verlangen nach dem Guten und das Streben nach demselben vorhanden, so wird der Augenblick kommen, da die Annahme von der Wirklichkeit des Bösen, die dessen ganze Dunkelheit und Hartnäckigkeit ausmacht, plötzlich vor dem Verständnis des Guten verschwindet, und der göttliche Friede, den die Gewißheit der Vergebung mit sich bringt, zieht in das Herz ein. Der neubelebte Sinn nimmt dann die Nichtsheit des Irrtums wahr, und der Irrtum verschwindet. Nur so kann die Vergebung erlangt werden.

Vergebung umfaßt die Demonstration jenes herrlichen Wortes, das wir auf Seite 17 von Wissenschaft und Gesundheit in der geistigen Auslegung des Vaterunsers finden: „Liebe spiegelt sich in Liebe wieder.” Solange wir an die Wirklichkeit des Übels glauben, vermögen wir unsre eigne Vergebung nicht zu erlangen und können somit auch nicht unsern Mitmenschen vergeben. Umgekehrt können wir durch das Bestreben, unserm Nächsten zu vergeben, unsre eigne Vergebung bewirken. Im Verkehr mit andern werden wir manches versteckten Irrtums gewahr, der sonst vielleicht unsern Fortschritt unbemerkt gehindert hätte. Er kommt an die Oberfläche und es entstehen Reibungen, Disharmonien, sowie die Versuchung, andre zu verdammen und zu tadeln, bis wir schließlich alle gezwungen werden, in den Armen der göttlichen Liebe Zuflucht zu suchen und unsern Frieden in dem Verständnis und in dem Bewußtsein der geistigen und vollkommenen Natur alles Bestehenden zu finden.

Wir wenden uns Gott, dem göttlichen Gemüt, der einzigen Quelle alles Wissens zu, um das, was wirklich und wahr ist, verstehen zu lernen, und Er offenbart Sein Wesen und damit des Menschen Wesen, das Wesen des Sohnes Gottes, des wahren Menschen; das Wesen des Weltalls und des Reichs Gottes in uns. So wird der Begriff vom Übel durch die Tatsache von der Gegenwart des Guten ausgelöscht, und Tadeln, Verurteilen und Selbstrechtfertigung verschwinden, denn wir haben aufgehört, nach einer Ursache oder einer Erklärung von dem zu suchen, was in unserm Bewußtsein keine Stätte mehr hat. Wir haben unsre eigne Vergebung erlangt und werden gewahr, daß wir auch im Nächsten nichts mehr finden, was der Vergebung bedürfte.

So lernen wir verstehen, daß allein Gott die Sünde zu vergeben vermag. Er ist der einzige Heiler, der einzige Erlöser. Nur das Verständnis von der Unendlichkeit des Guten kann den Begriff vom Bösen vertreiben. Dieses geistige Verständnis ist der Christus, durch den uns unsre Heilung kommt. David sagt: „An dir allein hab ich gesündigt und Übel vor dir getan.” Alle Sünde ist Sünde gegen Gott, denn sie ist eine Verneinung der Allheit Gottes, des Guten. So hat, wissenschaftlich gesagt, jeder seine Vergebung von Gott zu erlangen. Und doch müssen auch wir in gewissem Sinne stets Vergebung üben, und unsre Bereitwilligkeit, andern zu vergeben, ist der sicherste Beweis, daß auch wir unsre Vergebung erlangt haben.

Kurz vor der Himmelfahrt sagte Jesus zu seinen Jüngern: „Welchen ihr die Sünden erlasset, denen sind sie erlassen; und welchen ihr sie behaltet, denen sind sie behalten.” In unserm täglichen Verkehr mit andern ist es von äußerster Wichtigkeit, daß wir uns darüber klar seien, ob wir den Begriff vom Übel, der sich uns beständig aufdrängt, festhalten oder abweisen. Im Maße unsres Fortschrittes in dieser Richtung wird es uns leicht werden, einen andern um Vergebung zu bitten. Dies erscheint vielen eine schwerere Aufgabe als dem andern zu vergeben, und doch ist beides in Wirklichkeit dasselbe. Wer selber von Gott Vergebung erlangt hat, für den ist es ebenso leicht, um Vergebung zu bitten, als sie zu gewähren. Ist es nicht sonderbar, daß selbst unter Wissenschaftern so oft ein Mangel an Bereitwilligkeit besteht, einen Fehler zuzugeben? Es löst nichts eine Spannung oder eine Reibung schneller, als wenn einer der Beteiligten frank und frei sein Bedauern darüber ausspricht, daß er Unrecht gehandelt hat.

Das Gleichnis von den zwei Schuldnern, das im achtzehnten Kapitel des Matthäus-Evangeliums erzählt wird, macht die Sache sehr klar. Der Herr war gewillt, dem Knecht die Schuld zu erlassen, und er verzieh ihm alles. Nun dachte der Knecht, er brauche nichts weiter zu tun als um Verzeihung zu bitten, und sowie er diese erlangt habe, werde er frei sein. Sein weiteres Benehmen jedoch zeigt, daß er nicht für die Vergebung bereit war. Da er nicht wahrhaft bereut hatte, hatte er auch seine Vorstellung von Übel, seine Vorstellung von Schuld nicht verloren. Sie beherrschte noch seine Gedanken, weshalb er außer stande war, seinem Mitknecht zu vergeben. Dieses Unvermögen, dem andern zu vergeben, offenbarte, daß er seine eigne Vergebung noch nicht erlangt hatte; folglich dauerte seine Sünde fort, bis das Leiden, das sie nach sich zog, ihn dazu trieb, die Sünde aufzugeben. Wir sehen daraus, daß Vergebung nicht sowohl etwas ist, was wir für unsern Nächsten zu tun haben, als etwas, was unser eigner Fortschritt fordert. In unserm eignen Denken erlassen wir die Sünde oder behalten wir sie.

Es wird uns allen verhältnismäßig leicht, zu vergeben, wenn wir um Vergebung gebeten werden. Schwieriger ist es, wenn die Vergebung nicht begehrt wird, ganz besonders, wenn das Unrecht gegen uns nicht einmal erkannt worden ist. Heuchelei, Eigensucht, Stolz, Anmaßung — das sind Irrtümer, die zu vergeben uns oft schwer wird. Doch das Verständnis jener wundervollen, bereits angeführten Stelle aus unserm Lehrbuch: „Liebe spiegelt sich in Liebe wieder”, schließt die Vergebung jedweder Sünde in sich. Sie offenbart des Menschen Einssein mit Gott, seine völlige Abhängigkeit von Gott. Sie macht uns fähig, für Gott allein zu arbeiten und nicht für Menschen. „Wer unter dem Schirm des Höchsten sitzt” kann weder verletzt, beleidigt noch übersehen werden.

Die Dankbarkeit gegen Gott für Seine kostbare Gabe, die Wissenschaft der Wahrheit oder den Tröster, durch den wir im täglichen Leben das göttliche Prinzip demonstrieren können, wird die Möglichkeit, durch die Undankbarkeit andrer zu leiden, zunichte machen. Wenn wir uns vergegenwärtigen, daß alles, was wir sind und haben, allein von Gott herrührt, werden wir nicht mehr glauben, daß ein andrer uns im Wege stehen oder uns irgend etwas Gutes vorenthalten kann. Wie werden nicht länger glauben, daß der Gedanke eines andern uns schaden kann, wenn wir wahrhaft verstehen, daß der Mensch Gottes Widerspiegelung ist. Wollen wir uns über den Glauben an mentale Malpraxis und die Furcht vor derselben erheben, so müssen wir vergeben lernen. Wer Unrecht denkt, bedarf der Vergebung, um seinen Glauben an die Macht des Bösen zu verlieren. Solange wir jemand fürchten, erlassen wir ihm die Sünde nicht, sondern behalten sie ihm. Wo wahre Vergebung ist, verschwindet die Furcht.

Wenn uns das Gedeihen unsrer großen Sache, das innere und äußere Wachstum unsrer Kirchen, das Wohl unsrer Patienten am Herzen liegt, müssen wir die göttliche Liebe wiederspiegeln lernen, die da vergeben kann. Hierin lag Mrs. Eddys Schutz vor dem Übel; im Geist dieser Gesinnung gründete sie ihre Kirche. Und derselbe Geist muß auch uns in unserm täglichen Verkehr miteinander und in all unsrer Arbeit beseelen, wenn wir echte Christliche Wissenschafter sein wollen und unsre Kirche ein fruchtbarer Zweig des lebendigen Weinstocks sein soll.

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