Bei den meisten Leuten ruft der Gedanke eines Friedensstifters zunächst die Vorstellung eines Menschen von ungetrübter Gemütsstimmung hervor, eines Menschen, der Disharmonie durch Harmonie ersetzen und zwischen Einzelpersonen oder Völkern freundschaftliche Beziehungen herstellen will. Vielleicht denkt mancher an eine aufopfernde Mutter, die ihr widerspenstiges Kind in Schutz nimmt, damit im Hause nur Friede herrsche, oder an einen Freund, der nie Einwendungen macht, nie andrer Meinung ist, oder an jemand, der im öffentlichen Leben steht, aber nie energisch vorgeht, niemals die Initiative ergreift, niemals Fragen aufwirft, sondern in taktvoller Weise alle Kontroversen vermeidet, indem er die Ansichten und das Urteil andrer annimmt, auch wenn er damit nicht ganz einverstanden ist, und sogar wenn er glaubt, etwas in Vorschlag bringen zu können, was zur Besserung der bisherigen Verfahrungsarten führen würde. Nach einiger Überlegung gelangen wir aber zu der Erkenntnis, daß durch oberflächliches Schlichten von Streitigkeiten nichts ausgerichtet wird. Das sterbliche Gemüt ruft: „‚Friede! Friede!‘ und ist doch nicht Friede,” wodurch es sehr leicht den Fortschritt aufhält und die Demonstrierung des Prinzips verhindert.
Friede wird wie folgt bestimmt: „Ein Zustand der Ruhe oder Stille; Gelassenheit; das Aufhören des Krieges oder das Gegenteil desselben; allgemeine Ordnung; ein Zustand der Versönlichkeit oder Eintracht.” Hieraus folgt, daß der Friedensstifter ein Mensch ist, der Frieden herbeiführt, indem er Furcht, Selbstsucht und Sünde beseitigt, die alle zerstörend auf die Harmonie wirken. Dies kann nicht durch bloßen Takt, durch diplomatische Geschicklichkeit oder durch eine immerwährende zustimmende Haltung der Welt gegenüber erreicht werden, indem man sich dem stärkeren Willen fügt oder sich falschen Zuständen unterwirft, denn hierdurch geht man der Disharmonie nicht auf den Grund. Ein solches Verhalten gleicht bestenfalls einem Linderungsmittel; oft aber wird es dadurch mit dem Menschen „hernach ärger, denn es vorhin war.” Friede kann niemals dadurch hergestellt werden, daß man den Irrtum übersieht, sondern nur dadurch, daß man ihn überwindet, ihn gleichsam mit der Wurzel ausreißt.
Geht man unharmonischen Zuständen auf den Grund, so findet man oft, daß sie der reinen Selbstsucht entspringen. Der wahre Reformator sieht den Irrtum und trachtet danach, ihn den Forderungen der Gerechtigkeit gemäß zu berichtigen. Er beobachtet die Goldene Regel und deckt den Irrtum im Geist der Liebe auf, und zwar einzig und allein, um ihn zu beseitigen, um Falsches richtigzustellen. Er ist somit mit den mächtigsten Waffen gegen die bösen Kräfte versehen — mit Waffen, die nicht „fleischlich, sondern mächtig vor Gott [sind], zu verstören Befestigungen.”
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