Jedem Herzen tief eingepflanzt ist der Wunsch nach Fortschritt, sei es, daß dieser Wunsch schlafe, oder daß er in ernstem Eifer glühe. Ein solches Sehnen wird zuweilen so stark, daß gerade aus seinem Übermaß die Furcht vor einem Rückschritt entspringt. Es ist klar, daß richtiges Streben erstickt und das ersehnte Vorrücken gehindert wird, wenn man sich der Furcht hingibt, denn Furcht raubt einem das Vertrauen, das notwendig ist, um die Sprossen auf der Leiter des Fortschritts zu ersteigen. Mrs. Eddy sagt uns: „Fortschritt ist das Gesetz Gottes, dessen Gesetz nur das von uns fordert, was wir gewißlich erfüllen können” (Wissenschaft und Gesundheit, S. 233). Die Wahrheit dieses Satzes wird täglich von den Tausenden bewiesen, die sich zur Christlichen Wissenschaft bekennen.
Rückschritt entspringt aus dem Glauben an die Wirklichkeit des Guten wie auch des Bösen. Der entmutigenden Wirkung dieses Glaubens kann man einzig durch die Kenntnis der Christlichen Wissenschaft entrinnen, die erklärt, daß Vollkommenheit das A und das O der Schöpfung ist. Folglich bedeutet Fortschritt für den übersinnlichen Gedanken die im Bewußtsein stattfindende ununterbrochene Entfaltung der einen vollkommenen Schöpfung. Jedoch vom menschlichen Gesichtspunkt aus betrachtet erscheint Fortschritt als die durch göttlichen Einfluß bewirkte Besserung der Vorstellungen im menschlichen Bewußtsein. Dieser Einfluß macht die Erfüllung jenes göttlichen Gebotes möglich: „Darum sollt ihr vollkommen sein, gleichwie euer Vater im Himmel vollkommen ist;” denn er scheidet aus dem menschlichen Bewußtsein die entstellten Bilder der Sinnlichkeit aus und füllt es mit wahren, metaphysischen Begriffen.
Da Gott nicht zwei Arten von Gesetzen geschaffen hat, von denen die eine der andern entgegengesetzt ist und ihr entgegenwirkt, so gibt es, genau genommen, keine Macht, die Gottes Gebot des Fortschritts entgegenarbeiten könnte. Daher gibt es selbst im relativen Sinn kein Gesetz des Rückschritts, sondern nur eine vernunftwidrige Vorstellung, daß der menschliche Sinn fortwährend zwischen dem Guten und dem Bösen hin und her schwanke, nie ganz vom Guten abfalle und auch nie ganz über das Böse hinauskomme. Diese Vorstellung vom Rückschritt ist für den menschlichen Sinn das, was die negativen Größen für den Schüler der Rechenkunst sind. Sie kann unsern geistigen Fortschritt zum Guten nicht aufhalten, wenn das Denken unentwegt auf die Wirklichkeiten des Guten gerichtet ist. In der Sterblichkeit ist ebensowenig ein Fortschritt zu finden wie in einer Anhäufung von Falschheiten.
Vom Standpunkte des Absoluten aus gibt es unendlichen Fortschritt, weil sich Gottes Ideen unaufhörlich entfalten. So ist denn der Wunsch, im Guten vorwärts zu kommen, schon gewährt, und um die Kundgebung des Guten in unsrer eignen Erfahrung zu erreichen, haben wir uns nur der Lauterkeit unsrer Beweggründe und Ziele zu vergewissern. Wenn die Wünsche rein sind und aufwärts streben, wenn die Beweggründe selbstlos sind und der Liebe zu Gott entspringen, dann kann uns nichts aufhalten, und der Fortschritt ist ein unausbleibliches Ergebnis; denn unter solchen Bedingungen ist der unmittelbare Beistand der göttlichen Macht sicher. Wenn hingegen unsre Wünsche erdwärts nach dem Selbst, nach persönlicher Stellung und Macht gerichtet sind — wenn unsre Beweggründe Stolz, Habsucht, Ehrgeiz, Mißgunst oder Rachsucht in sich schließen, dann erscheint der menschlichen Annahme der Rückschritt als eine Wirkung innerhalb der Erfahrung des einzelnen. Mrs. Eddy erklärt dies, wenn sie schreibt: „Solange wir wie ein Pendel zwischen Sünde und der Hoffnung auf Vergebung hin und her schwingen — und Selbstsucht und Sinnlichkeit dauernd Rückschritte verursachen — solange wird unser sittlicher Fortschritt nur langsam sein” (Wissenschaft und Gesundheit, S. 22).
Das ungestillte Sehnen nach Unsterblichkeit beunruhigt einen jeden, bis er einigermaßen eine Einsicht in die geistige Wirklichkeit gewonnen hat. Diese Sehnsucht entspringt dem bewußten oder unbewußten Wunsche, als Gottes Bild und Gleichnis erkannt zu werden, und zwar, weil dies des Menschen natürlicher Stand ist. Infolge ihrer falschen Begriffe vom Sein stürmen die Sterblichen gleich eingesperrten Löwen hinter dem Gitter ihrer selbstgemachten Annahmen von Körperlichkeit hin und her, gehetzt von wilden Trieben, bis sie über einander herfallen in dem vergeblichen Versuch, ihres Herzens Sehnsucht zu befriedigen. Doch diese Wirkungen gehen so gewiß fehl, wie die Versuche, eine Rechnungsaufgabe von der Grundlage aus zu lösen, daß zweimal zwei gleich fünf sei. Die Sterblichen wenden den Blick nach der falschen Richtung; sie möchten Feigen von den Dornbüschen lesen, Frieden erwarten, während sie von Beweggründen getrieben werden, die unausweichlich zu Bedrängnissen führen. So erzeugen sie Annahmen des Rückschritts, welche fortschreiten, rückwärts gehen und dann zum Stillstand kommen. Die Christliche Wissenschaft ermöglicht jedem einzelnen das Entrinnen aus solchen Erfahrungen, indem sie den menschlichen Gedanken aus der Annahme von Materialität in das Verständnis der geistigen Verursachung und des geistigen Gesetzes leitet, das in solch wesentlicher Beziehung zum menschlichen Fortschritt steht.
Unter den hellen Strahlen des Lichtes der Wahrheit wird der bis dahin schlummernde Gedanke zu der Erkenntnis erweckt, daß des Menschen Friede und Vollkommenheit nicht in der Sterblichkeit zu finden ist. Dann wird das Verlangen umgestaltet, es richtet sich auf die Dinge, die „kein Auge gesehen hat und kein Ohr gehöret hat.” Sogleich oder allmählich, je nach dem Fall, verdrängt dieses neubelebte Verlangen jedes andre Verlangen, bis das Wachstum in der Erkenntnis Gottes zum Grundton jedes Strebens wird, wobei der Beweggrund nicht nur der ist, das individuelle Gute zu vermehren, sondern auch, allgemeine Liebe und Harmonie herbeizuführen. Der aufrichtige Nachfolger der Wahrheit sucht nicht länger menschliche Hilfe, noch verläßt er sich auf dieselbe, wie bis dahin, sondern er legt seine Hand in Gottes Hand und beginnt unter Seiner Leitung die eigne Erlösung auszuarbeiten. Er baut auf eine sichere Grundlage und erzielt sichere Ergebnisse. Bei seiner Arbeit, „den alten Menschen” abzulegen und „den neuen Menschen” anzuziehen, findet er, daß keine vernünftige Anstrengung zur allgemeinen Besserung je fruchtlos bleibt, keine Hoffnung auf endlichen Sieg des Guten je vereitelt wird; auch fehlt ihm nicht der tägliche Fortschritt, solange er verständnisvoll arbeitet, wissenschaftlich betet, und dabei erwartet, daß ihm nicht menschlicher Wille oder menschliche Tatkraft, sondern der Vater den Weg öffnen wird.
So werden auch Furcht, Zweifel, Entmutigung und Ungeduld über ein langsames Wachstum allmählich durch Hoffnung, Ausdauer, Langmut und Zuversicht ersetzt, bis der Mensch zum Kampf gegen den Irrtum mit rechten Wünschen, Beweggründen und Verfahrungsarten wohl ausgerüstet ist. Die scheinbaren Hindernisse, über die er sich einst bitter beklagte, betrachtet er nun als Vorteile, denn er hat gelernt, daß, wenn er richtig lebt, er auf Schritt und Tritt unter Gottes Schutz steht, und daß ihm gezeigt wird, wie jede sich bietende Schwierigkeit überwunden werden kann. Sonnt hat ein Christlicher Wissenschafter auf seinem aufwärtsführenden Wege nichts weiter zu bekämpfen als die allgemeine und individuelle Vorstellung von einer Macht außer Gott, dem Guten — eine Vorstellung, die tief im menschlichen Bewußtsein eingewurzelt ist. Das ist sein einziges Hindernis, und dieses Hindernis besteht nur als eine Vorstellung.
Es wird uns erzählt, daß Jesus, als er sah, wie sich der Himmel auftat und der Geist gleich als eine Taube herabfuhr und über ihn kam, alsbald vom Geist in die Wüste geführt wurde. In ähnlicher Weise, wenn auch nicht in gleichem Maße, macht jeder einzelne diese Erfahrung durch, wenn er zum erstenmal in das beweisbare Verständnis der göttlichen Liebe eingeführt wird. Auch er wird in die Wüste der Versuchung getrieben, wo er erfährt, daß jeder Schritt, der zu der geoffenbarten Bergeshöhe der geistigen Erkenntnis führt, durch individuelle Beweise der Richtigkeit desselben getan werden muß. Bis er diese Schritte tut, besteht die neugefundene Wahrheit für ihn nur als eine verbesserte Annahme oder ein Ideal, das für ihn nicht mehr praktischen Wert hat, als der Satz, daß zweimal zwei vier ist, für den hat, der ihn für eine Tatsache hält, ohne ihn aber beweisen zu können. In dieser geistigen Wüste nehmen die Versuchungen das Wesen schlauer Einflüsterungen an, die das Bewußtsein des Anfängers im Studium der Christlichen Wissenschaft mit vielen Gründen bestürmen, warum es unmöglich sei, den Schimmer himmlischer Wahrheit hier und jetzt zu erblicken, oder warum dies auf eine passendere Zeit verschoben werden sollte.
Diese Beweisgründe möchten den Schüler, der auf sie horcht, verwirren und aufhalten, und gerade in diesem Punkte muß der ernste Sucher ganz besonders dem großen Wegweiser folgen, der jeder bösen Einflüsterung mit dem bestimmten Befehl entgegentrat: „Hebe dich weg von mir, Satan.” Auf diese Art wird der Glaube und der sittliche Mut eines Menschen geprüft. Es ist eine göttliche Gelegenheit, und wenn der Sucher nicht wankt, sondern furchtlos seinen Standpunkt behauptet, eingedenk der Ermahnung, ohne Unterlaß zu wachen, zu arbeiten und zu beten, so wird er dem ersehnten Ziel mit großen Schritten näher kommen. Er wird den Weg aus der Wüste finden, und Engel werden ihm dienen. Von dem Annehmen oder dem Zurückweisen dieser listigen Einflüsterungen hängt es ab, ob die menschliche Erfahrung fortschreitend oder rückschreitend ist. Es kann daher keine Person, kein Ding, kein Umstand, keine Erfahrung uns unsrer göttlichen Gelegenheiten berauben oder unser Wachstum himmelwärts aufhalten.
Wenn das der eifrige Neuling und der säumige Halbwisser gründlich verständen, würden sie ihren langsamen Fortschritt nicht länger mit der Haltung, der Meinung oder dem Einflusse eines andern entschuldigen, noch würden sie, wie die Israeliten vor alters, sich beklagen und über die Mühseligkeiten des Weges murren. Es würde ihnen viel herber Tadel, viel Mißverständnis und Widerstand erspart bleiben, und sie würden denen gegenüber, die Augen haben aber nicht sehen, und Ohren haben aber nicht hören, mehr Mitgefühl und christliche Geduld beweisen. Mögen diejenigen, die klagend fragen, warum ihr Fortschritt so langsam sei, den Scheinwerfer der Selbstprüfung nach innen wenden. Mögen sie darauf achten, ob sie damit beschäftigt sind, den steinigen Boden der Selbstsucht zu lockern und ihn für die zarte, junge Saat der Wahrheit bereit zu machen, damit diese nicht verdorre unter dem Glanz der Lockungen der Welt. Mögen sie Sorge tragen, daß sie aus ihren Gedanken jene Dornbüsche der Selbstsucht, der Selbstgerechtigkeit und der materiellen Sorgen ausreuten, damit diese nicht das neue Wachstum der zarten Pflanze überwuchern und ersticken. Mögen sie sorgfältig jeden neuen Keim des wahren Denkens hüten, damit die Vögel der Eigenliebe, der Genußsucht, des Ehrgeizes und des Hasses nicht die Früchte verzehren. Tun sie dies, dann wird „das dürre Land ... fröhlich stehen und ... blühen wie die Lilien,” und nichts wird dem geistigen Fortschritt im Wege stehen.
Wir sind alle Bebauer unsrer eignen Gedankengärten, und es kommt bei uns nur auf „das Wollen und das Vollbringen” an. Unsre Sache ist es, zu entscheiden, ob der Garten voller Blumen oder voller Unkraut sein soll. Wollen wir die Einladung zum Hochzeitsfeste der Wahrheit und Liebe freudig annehmen, oder wollen wir uns zu Dienern der unrechten Gedanken ergeben und diesen erlauben, die Boten der Wahrheit zu erschlagen und die wahren Gedanken hinauszustoßen? Wer die Einladung ausschlagen will, findet allerhand Entschuldigungen. Eigenliebe und Nachsicht gegen sich selbst, in der Maske der ersten Person und mit Gleichgültigkeit und Trägheit bekleidet, lehnen mit der Begründung ab: „Ich liebe die Christliche Wissenschaft, denn sie heilt meine Schmerzen; aber ich kann ihre Lehren nicht selbst beweisen. Ich bin für andre so unentbehrlich, und es wird so viel von mir verlangt, daß ich geistiger Arbeit selbstverständlich nicht viel Zeit widmen kann. Deshalb wende ich mich, wenn ich in Not bin, an einen ausübenden Vertreter, damit er für mich arbeite.” Dann wundert sich ein solcher über seinen langsamen Fortschritt. Hierauf erscheinen Selbstgerechtigkeit und Selbstentschuldigung und sagen: „Ich sehe nicht ein, warum mir die Christliche Wissenschaft nicht mehr Nutzen bringt. Ich habe alles getan, was man mir zu tun anbefohlen hat, und dennoch bin ich nicht geheilt.” Eigenliebe und Selbstbedauern treten dann wohl vor und erinnern ihr Opfer an Verwandte oder liebe Freunde, die sich der Christlichen Wissenschaft widersetzen, was dann oft zur Folge hat, daß Gottesdienste, Vorträge, ruhiges Forschen und Betrachten auf eine passendere Zeit warten müssen.
Solche Ausflüchte sind nur nichtige Erzeugnisse des fleischlichen Sinnes. Wir werden auf jede irrige Einflüsterung die richtige Antwort haben, wenn wir ihren wahren Charakter erkennen. Trotz dem Geflüster der Genußsucht und Selbstsucht vermögen wir die stille, sanfte Stimme der Wahrheit zu hören: Wacht auf! Regt euch! „Schaffet, daß ihr selig werdet, mit Furcht und Zittern.” Obwohl ihr aus eurem eignen menschlichen Selbst heraus nichts tun könnt, so sind doch Gott alle Dinge möglich und daher auch dem Menschen als Seiner Wiederspiegelung. Für alles, was der Mensch nötig hat, sorgt die unendliche Liebe und Weisheit. Jedem Mangel hilft sie ab — selbst dem Mangel an Zeit.
O wir Kleingläubigen, warum demonstrieren wir nicht selbst die Wahrheit? Sind wir nicht gelehrt worden, daß Gott die Person nicht ansiehet? Der Wahrheit gegenüber sind Ausflüchte der Selbstrechtfertigung und Selbstgerechtigkeit falsch und haltlos; sie sind „von der Erde und irdisch.” Vom Verständnis der Wahrheit, nicht von einem materiellen Geldstück ist das Leben abhängig. Es ist nicht Gottes Weise, die Menschen an materielle Mühen und Sorgen zu fesseln, so daß sie keine Zeit haben, das Verständnis dessen zu gewinnen, wodurch sie leben. Solange die Sterblichen glauben, daß das Leben einzig von ihrer täglichen Befriedigung körperlicher Bedürfnisse abhängig sei, wird sogar derjenige, der sich für erwerbsunfähig gehalten hat und dann in eine Notlage kommt, alles aufbieten, um Erfolg zu erringen. Wenn einer entdeckt, daß das Leben nicht von materiellen Umständen, sondern vom Verständnis des Guten abhängt, so sollte er zur Erlangung geistiger Erkenntnis wenigstens ebenso große Anstrengungen machen, wie er für das materielle Geldstück gemacht hat. Sollte Gott dem Menschen nicht Zeit geben, zu lernen, wie er leben soll?
Auf Eigenliebe und Selbstbedauern kann man mit den Worten der Heiligen Schrift antworten: „So lasset nun ab von dem Menschen, der Odem in der Nase hat.” In der Liebe zu Gott und dem Menschen sollten wir das eigne Selbst vergessen. „Wo bleibt nun der Grimm des Wüterichs?” „Ich, Ich bin euer Tröster.” Gab uns Gott diese kostbare Perle nur, um sie uns wieder zu nehmen oder um einem Sterblichen zu erlauben, uns ihrer Segnungen zu berauben? Das, was uns wahrhaft angehört, hat niemand das Recht uns zu entwenden. Sagt nicht die Wahrheit, der Herr fordere von uns, daß wir „Gottes Wort halten und Liebe üben und demütig sein” sollen vor unserm Gott? Das Reich Gottes ist weder hier noch dort, es ist inwendig. Es gibt nur eine Atmosphäre, und die ist überall — die Atmosphäre der göttlichen Liebe. Widerstand ist nur eine Gelegenheit, mehr zu lieben und die Segnungen zu beweisen, die durch das Verständnis bewirkt werden, daß Gott allgegenwärtig ist — eine Gelegenheit, die Tatsache darzutun, daß der Mensch durch das Verständnis der göttlichen Wissenschaft Gewalt über jeden widerwärtigen Zustand und Umstand hat.
Fortschritte machen im geistigen Verständnis bedeutet nicht, daß man untätig alles Gott überläßt, sondern vielmehr, daß man sorgfältig die Talente vermehrt, wie sie eins nach dem andern empfangen werden, indem man sorgfältig jeden neuen Gedanken der Wahrheit nährt und jeden unrichtigen Gedanken austilgt, damit das wachsende Talent Platz habe. Solcher Art ist der wahre Fortschritt in der Christlichen Wissenschaft. Rein menschlicher Verstand, sei er auch noch so glänzend, rein menschlicher Wille, sei er auch noch so zäh, verfehlt den Weg und kann auf Abwege und zum Rückschritt führen. In der Selbstsucht des fleischlichen Sinnes versunken, glauben die Sterblichen, sie müßten aus eignem Vermögen den Weg in das Himmelreich finden oder blindlings dem Zufall vertrauen, während sie materielle Mittel und Wege suchen. Ihre Besorgnis über das, was sie essen und was sie anziehen sollen, nimmt sie so sehr in Anspruch, daß die leise Stimme der Wahrheit unbeachtet bleibt und die göttliche Hilfe, die immer zur Erhebung beiträgt, nicht erkannt und nicht angenommen wird. Früher oder später jedoch werden menschliche Fähigkeiten und Anlagen durch die Wahrheit umgebildet, und mit der Erleuchtung, die die Wissenschaft bewirkt, wenden sich die Sterblichen Gott zu und finden, daß, wo die Not am größten, Seine Hilfe am nächsten ist.
Die Menschheit muß lernen loszulassen und unter das Gesetz der unendlichen Entfaltung zu kommen, damit ihre Erfahrungen von demselben gestaltet und sie siegreich über die Strudel des sinnlosen Treibens dieser Welt getragen und immer weiter und höher geführt werden mögen. Wie die Lilienknospe in Übereinstimmung mit dem Naturgesetz leise die ihr innewohnende Schönheit entfaltet und dadurch auf die über ihr stehende Macht hinweist und sie verherrlicht, so wird die göttliche Individualität, vom Druck menschlicher Sorgen befreit, dem geistigen Gesetze gemäß ihre wiedergespiegelte Schönheit ohne Kampf und Aufruhr entfalten und dadurch die Güte des einen Schöpfers verherrlichen. Solchem Fortschritt treten keine Hindernisse entgegen.
So laßt uns denn vorwärts gehen und getreulich alles tun, was wir zu tun verstehen. Möge unser Streben stets darauf gerichtet sein, eine klare Erkenntnis der geistigen Wahrheit zu erlangen. Dann werden wir erfahren, wie beweisbar wahr die folgenden Worte unsrer lieben Führerin sind: „Du hast mit dem Einmaleins der Christlichen Wissenschaft begonnen, und nichts als unrechte Absicht kann deinen Fortschritt hindern. Wenn du aus wahren Beweggründen arbeitest und betest, wird dein Vater dir den Weg auftun. ‚Wer hat euch aufgehalten, der Wahrheit nicht zu gehorchen?‘” (Wissenschaft und Gesundheit, S. 326).
