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Der göttliche Wille

Aus der September 1915-Ausgabe des Herolds der Christlichen Wissenschaft


Ganz abgesehen von der biblischen Geschichte finden wir, daß es zu allen Zeiten Männer gegeben hat, die einen Schimmer des aller menschlichen Weisheit, Kraft und Erkenntnis weit überlegenen Gemüts erblickten. So haben wir z. B. die Aufzeichnungen des Stoikers Epictetus, der im ersten Jahrhundert lebte. Einer seiner Aussprüche lautet: „Alles, was geschieht, ist gerade das, was ich wünsche, denn was Gott will, steht mir höher als was ich will. Ich folge Ihm als Sein Diener und Knecht; Seine Impulse sind auch meine Impulse, Sein Ziel ist auch mein Ziel — kurz, Sein Wille ist auch mein Wille.” Es ist dies nichts andres als so gesinnet sein, „wie Jesus Christus auch war;” es ist das Einssein mit dem Vater, das den Meister befähigte, sein Messiasamt zu erfüllen, bezüglich dessen er an jenem Sabbattage in der Schule zu Nazareth gelesen hatte: „Der Geist des Herrn ist bei mir, darum daß er mich gesalbet hat; er hat mich gesandt, zu verkündigen das Evangelium den Armen, zu heilen die zerstoßenen Herzen, zu predigen den Gefangenen, daß sie los sein sollen, und den Blinden das Gesicht und den Zerschlagenen, daß sie frei und ledig sein sollen, und zu verkündigen das angenehme Jahr des Herrn.” Der Umstand, daß die Nachfolger Jesu seine Gesinnung hatten, befähigte sie, beinahe dreihundert Jahre lang die Werke zu tun, die den Beweis des Christentums darbringen. Gegen Ende des dritten Jahrhunderts jedoch fing man an, dem menschlichen Gemüt oder Willen immer mehr Macht einzuräumen, bis im neunzehnten Jahrhundert die Erkenntnis der Allmacht, Allwissenheit und Allgegenwart des göttlichen Gemüts oder Gottes der Menschheit beinahe ganz abhanden gekommen war.

Mediziner und sogar Geistliche haben die Kraft der göttlichen Liebe so weit vergessen, daß sie oft von einem Menschen, der irgendeiner falschen Begierde oder einem sündhaften Verlangen zum Opfer gefallen ist, sagen: „Solange er sich nicht aufrafft und ein wenig Willenskraft anwendet, kann ihm nicht geholfen werden.” Wie oft hat uns Jesus belehrt, daß Gottes Wille der einzige Wille ist. Er sagte: „Der Sohn kann nichts von ihm selber tun, sondern was er siehet den Vater tun; und was derselbige tut, das tut gleich auch der Sohn;” ferner: „Ich kann nichts von mir selber tun. Wie ich höre, so richte ich, und mein Gericht ist recht; denn ich suche nicht meinen Willen, sondern des Vaters Willen, der mich gesandt hat.” Aus diesen sowohl wie aus zahlreichen andern Aussprüchen unsres Meisters ist ersichtlich, daß er in allen Dingen seinen Willen dem Willen Gottes unterordnete und den Forderungen des sterblichen Gemüts kein Gehör schenkte. Dank der Christlichen Wissenschaft ist die Macht des göttlichen Gemüts, des Lebens, der Wahrheit und der Liebe wieder offenbart worden, und zwar nicht nur als eine größere Macht als das menschliche Gemüt, wie Epictetus und andre Philosophen wohl geahnt hatten, sondern als die einzige Macht — die Allmacht. Ob man nun vor ein Problem der Sünde oder des Leidens gestellt sei, tut nichts zur Sache; das Verständnis von Gottes Willen als der einzigen Macht wird Harmonie herstellen.

Mrs. Eddy, die durch göttliche Inspiration befähigt wurde, die Bibel auf eine solche Weise auszulegen, daß das Lesen ihrer Auslegung wiederum andre inspiriert, sagt in Wissenschaft und Gesundheit: „Der Wille als eine Eigenschaft des sogenannten sterblichen Gemüts ist ein Übeltäter” (S. 597); ferner: „Menschliche Willenskraft ist nicht Wissenschaft. Der menschliche Wille gehört den sogenannten materiellen Sinnen an, und sein Gebrauch ist zu verurteilen. ... Menschliche Willenskraft kann die Rechte der Menschen verletzen. Sie bringt dauernd Böses hervor, sie ist kein Faktor in der Wirklichkeit des Seins. Wahrheit und nicht der körperliche Wille ist die göttliche Kraft, die zur Krankheit sagt: ‚Schweig und verstumme‘” (S. 144).

Von frühester Kindheit an wurden wir gelehrt, zu sagen: „Dein Wille geschehe wie im Himmel, also auch auf Erden.” Ehe wir der Christlichen Wissenschaft näher getreten waren, hatten wir obige Stelle so verstanden, als ob wir in stiller Ergebenheit Mißgeschick, Krankheit und Disharmonie aller Art ertragen müßten, weil Gott uns diese Heimsuchungen zu unserm Heil gesandt habe. Welch ungleich höhere Bedeutung haben doch diese Worte durch Mrs. Eddys geistige Auslegung gewonnen. Wir werden von den früheren, Verzweiflung erzeugenden Annahmen erlöst, und die große Wahrheit, daß alles „unendliches Gemüt und seine unendliche Offenbarwerdung” ist (Wissenschaft und Gesundheit, S. 468), fängt an, unser Bewußtsein zu erfüllen.

Es ist ja klar, daß, wenn Gott allmächtig ist, der menschliche Wille keine Macht besitzen kann. Gott ist die einzige Macht, daher der einzige Schöpfer. Da „alles, was er gemacht hatte, ... sehr gut” ist, kann Er nicht der Urheber des Bösen sein; und was nicht von Ihm stammt, ist machtlos. Das sterbliche Gemüt an und für sich hat keine Macht, folglich kann es auch dem Bösen keine solche mitteilen. Die Macht, die das Böse zu besitzen scheint, stammt von dem irrtümlichen Glauben an ein von Gott getrenntes Wesen. Niemand, auch nicht derjenige, der an die Ausübung der Willenskraft glaubt, kann leugnen, daß sie aus falschen Beweggründen oder in einer falschen Richtung angewendet werden kann und oft so angewendet wird. Ist es demnach klug gehandelt, wenn man ihr Vertrauen schenkt?

Wenn die menschliche Willenskraft sowohl des Bösen als des Guten fähig ist, so ruht sie auf keiner richtigen Grundlage, und unser Zutrauen zu ihr kann ebensogut mit Leiden wie mit Wohltaten belohnt werden. Wohl darf man fragen, ob uns durch ein solches Zutrauen je eine Wohltat oder irgendwelche Hilfe zuteil werden kann. „Quillet auch ein Brunnen aus einem Loch süß und bitter?” Ein bekannter Schriftsteller sagt sehr treffend: „Je mehr ein Mensch den Anregungen des fleischlichen oder materiellen Sinnes willfährt, desto mehr Elend wird er erleben. Je mehr er auf seinen eignen Willen baut und seinen eignen persönlichen Neigungen frönt, desto sicherer wird er das Ziel, nach welchem er strebt, verfehlen.”

Wenn wir bestrebt sind, recht zu tun, wenn wir aufrichtig wünschen, unsre Fesseln loszuwerden, frei und wahrhaftig glücklich zu sein, dann müssen wir lernen, uns auf etwas Stärkeres und Dauernderes zu verlassen als unsern eignen Willen, der doch nichts weiter ist als ein Schilfrohr, vom Winde bald auf diese Seite bald auf jene gebogen, ein Spielzeug des Zufalls. Wir müssen unsern Willen gänzlich dem Willen Gottes unterordnen. Inden, wir täglich besser lernen, uns ganz auf Gott zu verlassen und Seinen Willen zu tun, werden wir nicht nur glücklicher, sondern erlangen auch den Frieden, welchen die Materialität nicht kennt und „welcher höher ist denn alle Vernunft.”

Dank der wundervollen Bibelauslegung, die Mrs. Eddy der Welt in dem Lehrbuch der Christlichen Wissenschaft, Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift, gegeben hat, eignen sich die Christlichen Wissenschafter ein immer höheres Verständnis von Gott und dem zu Seinem Bild und Gleichnis geschaffenen Menschen an. Sie beweisen, daß, was vor neunzehnhundert Jahren dem Gesetz der Wahrheit entsprach, demselben auch heute noch entspricht. Solange sie sich gänzlich Gott anvertrauen und Seine beschützende und heilende Macht nicht in Frage stellen, sind sie gegen alles Übel gefeit. Versuchungen können ihnen nichts anhaben, und wenn Kummer und Not sie zu bedrücken scheinen, ist die göttliche Liebe bereit, ihnen zu helfen und sie zu erlösen. In dem Maße, wie sie diese schützende Macht erkennen, hören sie auf, auf ihren eignen Willen und ihr eignes Kraftgefühl zu vertrauen, denn sie fangen an einzusehen, daß Gott allein imstande ist, alle ihre Gebrechen zu heilen.

Man kann die Fähigkeit der göttlichen Liebe, auch in unserm Zeitalter zu heilen, sowie die Machtlosigkeit des sterblichen Sinnes nicht genug hervorheben, besonders weil die medizinische Fakultät, seitdem sie angefangen hat, die Nutzlosigkeit ihrer Arzneimittel und die Beschränktheit ihrer Heilmethoden einzusehen, öffentlich den Hypnotismus als ein Mittel zur Erlangung der Gesundheit empfiehlt. Jesus heilte die Kranken nicht durch Hypnotismus, sondern durch das Gesetz Gottes, und seine Heilungen waren dauernd. Die einzig richtige Art, mental zu heilen, ist die Ausübung des Verständnisses der göttlichen Liebe. Die Hoffnung, die sich auf dieses Verständnis gründet, ist unerschütterlich, mag auch der Weg lang und dunkel und mögen auch die materiellen Umstände unüberwindbar erscheinen. Gott kann und wird alle erlösen, die sich mit verständnisvollem Vertrauen an Ihn wenden.


Die böse Neigung ist zuerst ein Gast; gewährst du ihr Gastrecht, so macht sie sich bald zum Hausherrn. —

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