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Die Grundlosigkeit der Furcht

Aus der Januar 1916-Ausgabe des Herolds der Christlichen Wissenschaft


Die Dämmerung war hereingebrochen. Die Sonne, die erst vor kurzem hinter den fernen Hügeln verschwunden war, schien sich zu weigern, jenen kleineren Himmelskörpern, welche einer nach dem andern zum Vorschein kamen, auch nur für ein paar Stunden Platz zu machen. Die Farbenkontraste wurden immer weicher und es herrschte jene Abendstimmung, die den Gedanken so sehr anregt und die Phantasie, wenn man ihr freien Lauf läßt, auf leichten Fittichen ins Traumland trägt. Ich spazierte ruhig durch die Straßen meines Wohnorts, welcher auf einem der Hügel gelegen ist, die die Stadt Sydney und ihren prächtigen Hafen überblicken. Niemand außer mir schien die Schönheit des Orts zu schätzen, denn weit und breit war kein menschliches Wesen zu sehen. Ich mochte etwa eine halbe Stunde gegangen sein, als ich nicht weit von mir ein Kind bemerkte, das, an einen Gartenzaun gelehnt, sein Gesicht in den verschränkten Armen verbarg und heftig schluchzte.

Der freundliche Zuspruch und das sanfte Streicheln seitens eines Erwachsenen, der für das kindliche Gemüt allem Kummer und Ungemach enthoben war, flößten dem Knaben Vertrauen ein, und in weinerlichem Ton erklärte er mir die Ursache seines großen Leides. „Ich fürchte mich vor den Dingern dort am Boden,” sagte er. Ich schaute in der angedeuteten Richtung und sah, daß er mit den „Dingern dort am Boden” eine Anzahl dürrer Blätter meinte, die von einem nahen Baum gefallen waren und sich im sanften Abendwind leicht bewegten. Nun nahm ich den Knaben bei der Hand, und gemeinsam beschauten wir uns die dürren Blätter. Mein kleiner Freund sah ein, wie töricht er gewesen war zu glauben, daß Blätter jemandem ein Leid zufügen könnten. Auf dem Weg nach seinem nahen Elternhause plauderten wir über den Vorfall, und wir konnten jetzt über das „Abenteuer” herzlich lachen. Bevor wir uns trennten, versprach er mir, sich nie wieder vor dürren Blättern zu fürchten.

Indem ich über das kleine Erlebnis nachdachte, setzte ich meinen Spaziergang fort. Wie unbegründet war doch des Knaben Furcht gewesen! Etwas Lebloseres oder Harmloseres als jene armseligen Überbleibsel des Sommers kann man sich kaum vorstellen. Es war klar, daß nicht sie die Ursache der Furcht waren, wohl aber die Bilder, welche durch das Rascheln des Laubes in der Einbildung des Kindes hervorgerufen worden waren. Aber auch die Erwachsenen sind nicht frei von solcher Einfältigkeit, denn gerade damals war ich voller Angst wegen eines schwierigen Problems, dem ich seit einigen Wochen gegenüberstand. Und wie ich so nachdachte, wurde mir klar, daß die meisten unsrer Freunde, die meisten Leute, denen wir begegnen, ebenso voller Furcht sind wie der kleine Junge, den ich eben verlassen hatte. Die Furcht regiert den sterblichen Gedanken. Die Menschen fürchten sich voreinander, fürchten sich vor Krankheit, vor Armut, vor Unglück, vor dem Tod. Mit abgewandtem Gesicht und geschlossenen Augen zittern sie vor tausend Dingen, die sie vorauszusehen glauben und die, wie sie meinen, ihnen irgendein Leid zufügen werden. Und all dies trotz der beständigen Ermahnung des großen Lehrers, dessen Nachfolger wir uns nennen: „Fürchtet euch nicht!”

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