Hebt an, einzunehmen und zu besitzen.” Also sprach vor alters der Gott Israels zu seinem Volke und dessen großem Führer. Auch heute noch ist es wahr, daß, wenn wir das uns als Kinder des Allerhöchsten zukommende Erbe besitzen wollen, wir beginnen müssen, auf unsrer gottverliehenen Herrschaft zu bestehen und den Feind, der die verschiedensten und listigsten Mittel anwendet, um in unserm Bewußtsein Fuß zu fassen, zu überwältigen. Dies bedingt Wachsamkeit.
Obschon sich unser Meister seinen Jüngern gegenüber sehr nachsichtig erwies, so machte er ihnen doch einen Vorwurf, als sie den mondsüchtigen Jüngling nicht zu heilen vermochten. Er sagte: „Aber diese Art fähret nicht aus denn durch Beten und Fasten.” Diese Worte lassen erkennen, daß diejenigen, die Jesu Werke tun wollen, von weltlichen Gedanken, Wünschen und Begierden lassen und nach einer beständigen Gemeinschaft mit dem Vater trachten müssen. In dieser stillen Gemeinschaft verstummen alle Mißklänge, Sorgen und Bürden verschwinden, das Dunkel wird licht, das Krumme gerade, und über den gemarterten Körper breiten sich die schützenden Flügel des Heils. So werden wir mit Christus Jesus, mit Johannes. Petrus und Paulus und allem, „was da Kinder heißet im Himmel und auf Erden,” gesegnet „in himmlischen Gütern” Dann können wir sicher sein, daß Harmonie herrscht.
Gott kennt all die Seinen, und nichts vermag den ehrlichen Sucher nach Licht von der Kirche fernzuhalten, die „nicht mit Händen gemacht” sondern „ewig ist, im Himmel.” Wie kann da die Heilung irgendeines unharmonischen Zustandes ausbleiben? Warum sollten wir nicht gerade hier und jetzt die Befreiung von allem Übel erwarten dürfen? Wir wissen ja, daß es nicht Jesu menschliche Persönlichkeit war, die die Kranken heilte, sondern die Christus-Idee, die einem jeden zugänglich ist. Wir können jetzt die göttliche Hilfe mit größerer Bestimmtheit erwarten. Sagte unser Meister doch von dem wahrhaft Gläubigen, er werde „größere [Werke] denn diese tun; denn ich gehe zum Vater.” Durch unsre Gemeinschaft mit Gott erreichen wir somit das gelobte Land.
Der materielle Sinn vom Leben tritt uns jedoch mit allerlei Einflüsterungen entgegen. „Sehet zu, was ihr höret!” lautet des Meisters Ermahnung. Wir haben uns zur Aufgabe gemacht, das Übel nicht nur zu überwinden, sondern es auch fern zu halten. Hier gilt es, zu fasten, d. h. sich des Glaubens an das Böse, wie es in uns oder andern zum Ausdruck zu kommen scheint, zu enthalten. Und indem wir jede Gelegenheit benutzen, mit dem Guten in Gemeinschaft zu treten, können wir beständig unsre geistigen Güter mehren.
Als Schüler der Christlichen Wissenschaft sind wir von manchem Blendwerk erlöst worden. Wenn wir erst den Glauben an persönliche Feinde los sind, dann können wir unsre ganzen Kräfte zur Bekämpfung des allgemeinen Feindes aufwenden, nämlich des Glaubens an die Macht des Bösen. Dadurch helfen wir der Menschheit die Fesseln abstreifen, welche ihnen die Arglist falscher Annahmen angelegt hat. Wie manche Ketten sind schon gesprengt und wie manche Siege schon errungen worden, seitdem unsre tapfere Führerin die Wahrheit verkündet und dadurch viel schlummernde Gläubige zur Erkenntnis der lebenspendenden Macht des Wortes erweckt hat! Seit diesem Erwachen haben wir in der Tat begonnen „zu besitzen,” unser rechtmäßiges Erbe anzutreten.
Die Christliche Wissenschaft zeigt, daß es nicht zwei Probleme gibt, ein materielles und ein geistiges. Unsre Aufgabe ist es, mit Herzenseinfalt nach dem Reich Gottes zu trachten, und dann wird uns „solches alles zufallen.” Es ist klar, daß uns diese Dinge nicht „zufallen” können, solange die sie begleitende Bedingung nicht erfüllt ist. Gott vergißt Seine Verheißungen nicht, und Seine Fähigkeit und Willigkeit, Seine Kinder zu erhalten, kennt keine Grenzen; aber wir müssen Seinen Bedingungen nachkommen, bevor wir anfangen können „zu besitzen.” Kann das Böse einen Menschen beherrschen, der „unter dem Schirm des Höchsten sitzt?” Über den, der sich dieses Schutzes bewußt ist, hat sogar der Tod keine Macht. Wenn wir getreulich jedes Übel überwinden, werden wir endlich auch diesen „letzten Feind” bezwingen. Gibt es etwas, was sich mehr der Mühe lohnt?
Als Anfänger im Studium der Christlichen Wissenschaft erfassen wir vielleicht nur eine der vielen Wahrheiten, welche in unserm Lehrbuch Wissenschaft und Gesundheit mit Schüssel zur Heiligen Schrift enthalten sind, ja vielleicht auch diese nur teilweise. Nichtsdestoweniger können wir ihre Macht beweisen, indem wir sie nach bestem Vermögen auf einen unharmonischen Zustand anwenden. Wir haben begonnen, unser Erbrecht zu verstehen und zu besitzen. Die Verfasserin dieses Aufsatzes erinnert sich, mit welch gemischtem Gefühl der Freude und des Zweifels sie den ersten Satz des Vorworts zu Wissenschaft und Gesundheit las: „Für alle, die sich auf den erhaltenden Unendlichen verlassen, ist das Heute reich an Segnungen.” Sie hielt jedoch an diesem Gedanken fest, und der Sauerteig der Wahrheit begann zu wirken, so daß zuletzt die Verzweiflung der Hoffnung Platz machte. Hierauf folgten manche ähnliche Erfahrungen. Die Bibel wurde wieder vorgenommen, und viele Stellen, die für unverständlich angesehen worden waren, erschienen in einem neuen Lichte. Auf Seite 3 von Wissenschaft und Gesundheit sagt Mrs. Eddy: „Sind wir wirklich dankbar für das schon empfangene Gute? Dann werden wir uns die Segnungen, die wir haben, zunutze machen, und dadurch geschickt werden, mehr zu empfangen.” Sich die Segnungen, die wir schon empfangen haben, zunutze machen, heißt anfangen „zu besitzen.” Lassen wir diese Segnungen unbeachtet, so wird es uns ergehen wie dem Knecht, der seinen Zentner in die Erde vergrub.
Salomo sagt: „Ein Schläfer muß zerrissene Kleider tragen.” Geistige Untätigkeit führt zu einem unfruchtbaren Leben und zu geistigem Verlust. Um vom Bewußtsein alles fernzuhalten, was dem Guten unähnlich ist, muß man Wachsamkeit und Ausdauer beweisen. Wir müssen gleich dem Landmann geduldig sein, wenn wir auch nicht alles ernten können, was wir gesäet haben, denn wir haben ja die Verheißung: „Wir werden zu seiner Zeit ernten, wenn wir nicht ermatten” (Zürcher Bibel).
Gott will nicht, daß der Irrtum Gewalt über uns habe; die Wahrheit wird uns zeigen, wie er zu handhaben ist. Ich stand einst vor einem überaus verwickelten Problem, und wohlgemeinte Bemühungen blieben erfolglos. Da wandte ich mich an die Quelle aller Weisheit; ich dachte an Mose Erfahrung mit der Schlange, wie sich dieser große Mann vor ihrem giftigem Bisse flüchtete. Gott gab ihm die nötigen Weisungen, wie er die Schlange handhaben sollte, und als er dem göttlichen Befehl Folge geleistet hatte, wurde das Unvermögen des Tieres, ihn zu verletzen, überzeugungskräftig veranschaulicht. Ich begann einzusehen, daß Furcht und Unwissenheit mich vielleicht veranlaßt hatten, das Problem an der unrechten Stelle anzugreifen, und daß ich in andrer Weise zuwerke gehen müsse, um die Lösung zu erlangen.
Es wird nicht von uns verlangt, daß wir etwas beweisen sollen, was wir nicht verstehen; aber wenn wir jeden Tag unsre geistigen Güter vermehren und dieselben dazu benützen, immer größere Erfolge zu erzielen, so zeigt uns Gott, wie der Irrtum zu handhaben ist, und wir verlieren dann nach und nach jeden Glauben an seine Wirklichkeit. Dann haben wir den schweren Stein des sterblichen Sinnes weggewälzt und können mit dem Meister in seliger Gemeinschaft wandeln. „Wer aber bis an das Ende beharret, der wird selig.”
