Jeder ehrliche Sucher nach Wahrheit hat an der Bibel, wie sie durch unser Lehrbuch, Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift von Mrs. Eddy, ausgelegt wird, einen unfehlbaren Führer und Ratgeber, ein sicheres Mittel gegen jeden unharmonischen Zustand, sei er nun physischer, mentaler oder moralischer Art. Solange der aufrichtige Wunsch besteht, die göttliche Wahrheit unter allen Umständen und in jeder schwierigen Lage zu erkennen und ihr zu gehorchen, kann jeder Irrtum aufgedeckt und seine scheinbare Macht unwirksam gemacht werden, und zwar dadurch, daß man sich vertrauensvoll an das inspirierte Wort der Bibel hält und die metaphysische Verfahrungsart, wie sie die Christliche Wissenschaft offenbart, getreulich anwendet.
Als ich einst nach mühevoller Tagesarbeit die Ursache eines Gefühls geistiger Stumpfheit und unterbrochener geistiger Tätigkeit zu ergründen suchte und zu diesem Zweck die Bibel zur Hand nahm, schlug ich unwillkürlich das sechste Kapitel des Johannes-Evangeliums auf. Mein Blick blieb am fünfzehnten Vers haften, wo es heißt: „Da Jesus nun merkte, daß sie kommen würden und ihn haschen, daß sie ihn zum Könige machten, entwich er abermal auf den Berg, er selbst allein.” Sofort waren die Wolken vom Lichte der Wahrheit durchbrochen, und der störende Einfluß, der so listig war, daß er selbst der geistigen Wachsamkeit, die ich auszuüben vermeinte, zu entgehen vermochte, war aufgedeckt. Es wurde mir klar, daß, wiewohl wir bestrebt sind, den Christusgeist in uns aufzunehmen und das göttliche Wesen widerzuspiegeln, wiewohl wir bei uns und andern ein gewisses Maß von Erfolg im Beweisen der Heilkraft der Wahrheit gehabt haben, wir doch vor der Einflüsterung, daß uns selber geistige Tüchtigkeit oder Überlegenheit innewohne, ganz besonders auf der Hut sein müssen.
Wer in der Christlichen Wissenschaft Heilung gefunden hat, läßt sich leicht durch seine Dankbarkeit dazu verleiten, denjenigen, der ihm die Hilfe gebracht hat, gleichsam auf einen Sockel zu stellen und von ihm zu reden als ob er unerreicht und unerreichbar sei. Kommt der Helfer in Versuchung, solche Huldigungen stillschweigend anzunehmen, so tut er wohl, innezuhalten und die Folgen des mesmerischen Einflusses zu bedenken, den eine solche Haltung auf ihn ausüben muß. Sie trübt seinen Ausblick und läßt den Schatten der Persönlichkeit zwischen den Patienten und Christus, die Wahrheit, treten.
In solchen wie überhaupt in allen andern Fällen tut man gut, sich dem großen Wegweiser zuzuwenden und seine Haltung in ähnlichen Lagen sowie auch seine Vorschriften zu betrachten. Als das Volk seine mächtigen Werke sah, wollten sie seine Persönlichkeit verherrlichen, wollten ihn zum König machen und ihm Ehre und hohe Stellung aufdrängen. Aber mit der wahren Demut und Selbstverleugnung, die er stets an den Tag legte, „entwich” er, machte sich los sogar von der Dankbarkeit, welche ihm dem sterblichen Sinn zufolge gerechterweise zukam. Er entwich „abermal auf den Berg,” d. h. er erhob sich gedanklich auf eine höhere Stufe, erreichte jenen Bewußtseinszustand, wo er für den sterblichen Sinn „allein” war. Das Wort „abermal” weist darauf hin, daß es Jesu Gewohnheit war, allein „auf den Berg” zu entweichen; und zweifellos war es gerade diese Gewohnheit, vermöge deren er sich seine geistige Macht, zu heilen und zu erlösen, bewahrte. Auf jenen Höhen war er in geistiger Gemeinschaft mit dem Vater, dort bewahrheitete sich sein eigner Ausspruch: „Ich bin nicht allein; denn der Vater ist bei mir.”
Jesus erkannte, und wir alle müssen früher oder später zu der gleichen Erkenntnis kommen, daß, solange wir auf der Stufe einer sterblichen Denkweise verharren und den Schmeicheleien Gehör schenken, mit denen das sterbliche Gemüt wegen seines falschen Eifers und seines Mangels an geistiger Einsicht den Zeugen der Wahrheit überhäufen möchte, wir der weit größeren Belohnung, nämlich des Lobes unsres Vaters, „der in das Verborgene siehet,” verlustig gehen. Wenn sogar der Meister, der doch das denkbar höchste Maß geistiger Erkenntnis besaß, sagte: „Was heißest du mich gut? Niemand ist gut denn der einige Gott,” und: „Ich kann nichts von mir selber tun,” wieviel mehr sollten wir, die wir nicht würdig sind, seine Schuhriemen zu lösen, bescheiden und demütig sein!
Obschon uns die Erkenntnis unsres Unvermögens, schon jetzt die vollkommene Norm zu erlangen oder unser höchstes Ideal zu verwirklichen, ein Grund zur Demut sein sollte, so braucht sie uns doch nicht zu entmutigen, denn wir haben ja die Verheißung des Meisters: „Wer an mich glaubet, der wird die Werke auch tun, die Ich tue.” Es fördert gewiß unser geistiges Wachstum, wenn wir stets auf der Hut sind vor dem Stolz auf persönliche Leistungen, von dem auch die aufrichtigsten Schüler der Christlichen Wissenschaft nicht immer frei bleiben. Nehmen wir uns stets die Verfahrungsart des Meistermetaphysikers zum Vorbild; dann werden wir dem ersten Glaubenssatz auf Seite 497 unsres Lehrbuchs getreu sein: „Als Anhänger der Wahrheit haben wir das inspirierte Wort der Bibel zu unserm geeigneten Führer zum ewigen Leben erwählt.”