Nichts ist imstande, das harmonische Zusammenwirken der Christlichen Wissenschafter zu vereiteln, solange sie sich fest und unentwegt an die absolute Wahrheit halten, wiewohl das Ausarbeiten eines Ideals seitens einer Gruppe von Leuten länger dauern mag als bei dem einzelnen. Aus diesem Grunde bietet eine Vereinigung dem einzelnen unzählige Gelegenheiten, sich ein größeres Maß von Selbstlosigkeit, Nachsicht, Geduld und Liebe anzueignen. Um harmonisch zusammenzuwirken, ist es notwendig, daß wir stets über den nächsten ordnungsmäßigen Schritt in unserm Streben nach Vollkommenheit völlig im Klaren seien — in unserm Streben nach der Erkenntnis, daß das Absolute hier und jetzt besteht, daß dieses Absolute Gott und Seine Schöpfung ist, vollkommen und ewig, und daß allein die Wahrheit uns vereinigt. Auf einer solchen Grundlage bleibt kein Raum übrig für Ungewißheit, Streitigkeiten oder ungerechte Kritik.
Meinungsverschiedenheiten in Kirchen, Sonntagsschulen oder Komitees entstehen manchmal über die Frage, welches der nächste Schritt sei, der die Mitglieder der Kirche oder der Sonntagsschule ihrem Erbrecht, der geistigen Wirklichkeit, näher bringt, und es kommt hin und wieder vor, daß sogar ernste und wohlmeinende Arbeiter in dieser Hinsicht irre gehen. Wenn man mit andern arbeitet, so wird der Ausblick zuweilen getrübt, und dies zeigt uns, wie wichtig es ist, vor den vielen Verfahrungsarten des sterblichen Gemüts, mit denen dieses Gemüt uns zu überlisten sucht, zu jeder Zeit auf der Hut zu sein.
Schreiberin dieses hat sich in letzter Zeit des näheren mit der Frage befaßt: Was ist es, das unsern Ausblick trübt? und „in dem stillen Heiligtum ernsten Sehnens” (Wissenschaft und Gesundheit, S. 15) ist ihr reicher Trost und viel Hilfe zuteil geworden. Vor allem müssen wir einsehen, daß wir der Führung bedürfen. Wir müssen bereit sein zuzugeben, daß, wie ehrlich unsre Beweggründe auch sein mögen, wir uns in unsern Anschauungen und Handlungen täuschen können. Die Wirkung eines solchen Zugeständnisses ist überaus läuternd. Es klärt die Atmosphäre und öffnet den Weg zum Fortschritt. Wie wir bei unsrer Arbeit an individuellen Problemen erst lernen mußten, daß wir Vertrauen haben müssen auf die geistige Verfahrungsart, um der Früchte des christlichen Heilens teilhaftig zu werden, ebenso müssen wir in bezug auf Kirchenarbeit auf die geistige Verfahrungsart vertrauen lernen, und zwar dürfen wir dabei nie aus den Augen verlieren, daß äußere Organisation nichts als ein Mittel zum Zweck ist. Wenn wir es als unsre Pflicht erachten, wie Usa „die Lade zu halten,” so brauchen wir uns nicht zu verwundern, wenn wir in unserm Eifer das Gedeihen der Kirche nur aufhalten und das, was ununterbrochener Fortschritt sein könnte, durch das Einschalten persönlicher Ansichten zum langwierigen Ringen machen.
Ein andrer Umstand, der oft dazu beiträgt, unsern Ausblick zu trüben, ist der: wir mißachten liebevolle Dienstleistungen, oder wir geraten in das andre Extrem, indem Mir uns zu viel auf unsre Freunde verlassen. Vielleicht sind wir nicht immer der Tatsache eingedenk gewesen, daß Christus, die Wahrheit, stets für uns erreichbar ist, mögen wir uns noch so sehr haben irreführen lassen; denn die Macht der Liebe ist unwiderstehlich. Zahlreich und mannigfaltig sind die Versuchungen des sterblichen Gemüts. Sollten wir nicht auf der Hut sein vor allzu entschiedenem Wünschen und Streben, das so leicht in Eigenwillen ausartet?
Beim Zusammenarbeiten ist es gewöhnlich der Wunsch aller, daß Einigkeit herrsche, und bei dem Bestreben, diesen Zustand herbeizuführen, werden oft Fehler begangen. Das bloße Zusammenkommen von Leuten hat noch lange nicht jene Einigkeit zur Folge, die da herrscht, „wo zween oder drei versammelt sind” im Namen Christi, der Wahrheit. Einigkeit unter Brüdern ist das herrliche Resultat der Erkenntnis, daß nicht von uns verlangt wird, uns aneinander anzupassen, sondern uns unsres rechtmäßigen Platzes bewußt zu werden und unsern Nebenmenschen ihren rechtmäßigen Platz im Reiche des unendlichen Gemüts zuzugestehen. Wie wir in unsrer individuellen Arbeit Wachstum erwarten, so müssen wir auch als Gesamtheit auf Fortschritt hinarbeiten. In dem Maße, wie ein jeder von uns Willens ist, sein Teil zu tun, wird auch die Sache des Ganzen gefördert; aber die Schritte, die zu tun sind, werden kaum bei zwei Menschen die gleichen sein.
Von dem einen wird vielleicht verlangt, daß er eine gewisse Arbeit, die er zu lieben gelernt hat, freudig aufgebe, während ein andrer eine Aufgabe übernehmen muß, die ihm nicht besonders zusagt. Ein Gefühl der Furcht zu überwinden und das heilende und erneuernde Wort der Wahrheit furchtlos zu sprechen, mag der nächste Schritt des einen sein, während sein Nachbar lernen muß, daß Schweigen Gold ist. Wir werden nie liebevolle Brüderschaft herbeiführen helfen, solange wir uns in eine einsame Ecke zurückziehen und warten, bis die andern nach unsrer Meinung es wert sind, mit uns zusammenzuarbeiten. Und wenn wir scheinbar nicht mit ihnen arbeiten können, so tun wir gut, erst zu prüfen, ob der Fehler nicht an uns liegt, bevor wir unserm Bruder die ganze Schuld zuschreiben.
Die Erfahrung hat so manchen von uns gelehrt, daß das Kirchenhandbuch genau den Weg weist, den wir einzuschlagen haben, um die Lehren der Bibel und des Lehrbuchs der Christlichen Wissenschaft in unserm Leben und in unsern Beziehungen zu den Mitmenschen zum Ausdruck zu bringen. Sollten wir die Satzungen dieses Kirchenhandbuchs nicht ernstlich studieren und seinen auf Liebe gegründeten Regeln gegenüber größeren Gehorsam beweisen? Auch in ihren Briefen und Botschaften an die Zweig-Kirchen gibt uns Mrs. Eddy manch liebevollen Rat in bezug auf harmonisches Zusammenarbeiten. Wer sich dieser Hilfsmittel fleißig bedient, kann auch das schwierigste Problem lösen.
Der Welt tut es heute ganz besonders not, die Freuden kennen zu lernen, welche die Brüderschaft der Menschen mit sich bringt. Hierin müssen die Christlichen Wissenschafter ein leuchtendes Beispiel sein. Sie dürfen nie vergessen, daß, wem viel gegeben ist, von dem wird man viel fordern. Diejenigen, denen es vergönnt gewesen ist, einen Blick in Gottes Reich zu tun, in jenes Reich, wo das Böse machtlos ist, sollten die ersten sein, liebevoll und freudig zusammenzuarbeiten. Mrs. Eddys Worte an die National Christian Science Association gelten auch uns. Sie schreibt („Miscellaneous Writings,“ S. 135): „Unsre Losungsworte sind Wahrheit und Liebe. Wenn wir in ihnen verharren, werden sie uns erfüllen und wir werden eines Herzens sein — einig in unsern Beweggründen, Absichten und Bestrebungen. Keiner, der in der Liebe verharrt, kann von mir getrennt werden, und das beglückende Gefühl, daß wir gemeinsam vorwärts schreiten, indem wir gegen andre so handeln, wie wir wünschen, daß sie gegen uns handeln möchten, überwältigt allen Widerstand, überwindet alle Hindernisse und sichert Erfolg.”
