Eine der Auffälligkeiten des irdischen Daseins besteht darin, daß die Menschen sehr dazu geneigt sind, an andern Besserungsversuche zu machen, ehe sie sich selbst gebessert haben. Des Nächsten Fehler kommen einem gewöhnlich viel größer und wirklicher vor als die eignen, und man macht sich gern an die Berichtigung derselben, ohne die Anforderungen der göttlichen Weisheit und Gerechtigkeit zu berücksichtigen. So bewahrheitet sich oft bei unwissenden oder übereifrigen Leuten das Sprichwort, daß Narren mehr wagen als Helden. Sie verursachen denen, die sich ernstlich bemühen, ihre Probleme auf ihre eigne Art zu lösen, große Schwierigkeiten.
Jesus wendet das treffende Bild vom Splitter und Balken an, um diese unverzeihliche Schwäche der Sterblichen zu tadeln. Er sagt: „Was siehst du aber den Splitter in deines Bruders Auge, und wirst nicht gewahr des Balkens in deinem Auge? Du Heuchler, zeuch am ersten den Balken aus deinem Auge; darnach besiehe, wie du den Splitter aus deines Bruders Auge ziehest!” Für den, der ein Nachfolger Christi, der Wahrheit, sein will, gibt es wohl keine wichtigere Lehre. Man kann die Neigung, Fehler in andern zu suchen, nicht scharf genug verurteilen. Sie ist dem Menschengeschlecht ein Fluch, ja ihr Vorhandensein und ihre Befriedigung ist ein Beweis, daß die Sterblichen nicht Gottes Kinder sind, denn „wer von Gott geboren ist, der sündiget nicht.”
Der Meister sagt uns, wie man diese widerwärtige Gewohnheit überwinden kann, und die Christliche Wissenschaft besteht darauf, daß es geschehe. Die Vorschrift lautet: „Zeuch am ersten den Balken aus deinem Auge.” Ein Balken ist ein gar gewichtig Ding im Vergleich zu einem Splitter. Dies deutet an, daß wir sehr dazu geneigt sind, die Fehler unsres Nächsten in vergrößerter Form zu sehen. Haben wir diese Fehler erst aus unserm eignen Bewußtsein verbannt oder auf ihre ursprüngliche Nichtsheit zurückgeführt, so erscheinen sie im Mitbruder als eine kleine Sache. Dies ist somit die einzig richtige Art und Weise, den Irrtum auszurotten.
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