Es war an einem prächtigen Julimorgen. Ich hatte mir vorgenommen, in der fünf Kilometer entfernten Stadt einige Geschäfte zu erledigen und verließ daher früh am Morgen den kleinen Flecken, wo ich in der Sommerfrische war. Erst mußte ich mich über einen herrlichen See rudern lassen, dessen gekräuselte Fläche in der Morgensonne glitzerte. Am gegenüberliegenden Ufer angelangt, führte mich mein Weg erst durch ein hübsches Wäldchen. Farnkräuter und Moose säumten den Pfad, während erfrischender Waldgeruch und der vielstimmige Gesang der Vögel die Luft erfüllte. In der Tat, eine herrliche Ode an den allmächtigen Schöpfer! Die Worte des Psalmisten kamen mir in den Sinn: „Jauchzet dem Herrn, alle Welt; singet, rühmet und lobet! Lobet den Herrn mit Harfen, mit Harfen und Psalmen!” Mrs. Eddy schreibt auf Seite 240 von Wissenschaft und Gesundheit: „Die Natur verkündet das natürliche geistige Gesetz und die göttliche Liebe.” Für mich war dies ein erhabener Augenblick, ein Augenblick, wo die Herrlichkeit, Gegenwart und Macht Gottes so offenbar war, daß all die scheinbaren menschlichen Schwierigkeiten und Beschwerden in ihr Nichts verschwanden. Es war ein Moment wachsender Anerkennung des Vorrechts und der Freude zu leben, mit dem Ergebnis, daß ich mir höhere Ziele setzte und festere Entschlüsse faßte.
Aber bald lag diese herrliche Umgebung hinter mir, und ich befand mich am Fuße eines steilen Hügels, auf der staubigen, steinigen, baumlosen Landstraße. Die Sonne war höher gestiegen und schien brennend heiß. Ich kam nur langsam vorwärts; aber die Erwartung, auf dem Hügel das Städtchen zu finden, wohin ich wollte, spornte mich an. Endlich war ich oben. Zu meiner großen Enttäuschung aber waren keine Häuser zu sehen, sondern die gleiche staubige, steinige, blendende Landstraße lag scheinbar endlos vor mir. Das Vorwärtskommen wurde mit jedem Schritt schwieriger, bis ich mich plötzlich der Lehre erinnerte, die ich soeben in dem Wäldchen erhalten hatte. Ich schaute auf von der Landstraße, der ich ihrer Rauheit wegen glaubte meine ganze Aufmerksamkeit schenken zu müssen, und zu meinem Erstaunen bot sich mir ein herrlicher Anblick dar. Hügel, grüne Täler und Haine, wallende Kornfelder begegneten dem Auge in jeder Richtung. Und ich konnte meine Augen aufheben „zu den Bergen, von welchen mir Hilfe kommt”— ich dachte nicht mehr an die Landstraße.
Nach einer unerwarteten Biegung in der Straße kam ich in das Städtchen, und zwar nicht ermüdet, sondern erfrischt von der Reise. Man empfing mich mit ängstlicher Miene, und ich bekam allerlei über angebliche Fälle von Sonnenstich zu hören; aber die Sorge verwandelte sich in Verwunderung und Erstaunen, als ich sogleich mit meiner Arbeit begann. Es schien meinen Freunden unglaublich, daß jemand nach einem solch anstrengenden Marsch so frisch sein und gar keine Müdigkeit verspüren sollte. Ich hatte einsehen gelernt, wenigstens in gewissem Grade, daß alles davon abhängt, wie man sich zu einer Arbeit, Aufgabe oder Erfahrung stellt. Unsre Führerin schreibt auf Seite 246 von Wissenschaft und Gesundheit: „Wir müssen zuerst unsern Blick nach der rechten Richtung lenken und dann in dieser Richtung gehen.”
Wer zum erstenmal den göttlichen Einfluß der Christlichen Wissenschaft verspürt und an ihrem frischen Wasser wandelt; wer sich auf die klaren, einladenden Fluten ihrer erleuchteten Lebensauffassung begibt und auf dem kühlen, schattigen Pfad ihrer beschützenden Wirklichkeit dahinschreitet, der freut sich ihrer erhabenen Auslegung des Seins und steht in Ehrfurcht vor der Offenbarung ihrer unendlichen Beweise von Gottes Allheit. Früher oder später aber wird er durch die sogenannten „Umstände” auf die staubige Landstraße der menschlichen Erfahrung geführt, ja sehr oft findet er sich am Fuße eines hohen, steilen Berges. Er kann den schweren Aufstieg nicht vermeiden. Es gibt auf dem Wege viele Steine falscher Bildung und Erziehung, die scharf und tief einschneiden, viel Staub des Aberglaubens, des Kirchentums, der Physiologie und Arzneimittellehre. Dem Wanderer geht oft fast der Atem aus, seine Schritte sind langsam und sein neuerlangter Begriff von Gesundheit, Glück und Freiheit wird sehr erschüttert.
Zu solchen Zeiten lernt der Schüler der Christlichen Wissenschaft erkennen, daß sein Wohlergehen nicht von dem vor ihm liegenden Augenschein oder von den Ansichten, Handlungen oder Gedanken andrer abhängt, sondern allein von dem Wesen und der Art seines Denkens und seines mentalen Ausblicks. Er wendet daher das Auge ab von der Straße allgemein anerkannter Ansichten und Theorien, ändert seine Denkweise und dadurch zuletzt auch seine Umgebung. Er läßt sich nicht von den althergebrachten Begriffen und Vorstellungen beeinflussen; nur das ewige Jetzt richtigen Denkens gilt für ihn.
Der wahre Christliche Wissenschafter geht keinen Umständen aus dem Wege, um zeitweilig Frieden zu erlangen. Er hemmt und überwindet die althergebrachte Gewohnheit, die Offenbarung von Gottes Allgegenwart einzuschränken und gering zu achten. Er empfindet kein Gefühl der Selbstgerechtigkeit wegen des von ihm vollbrachten Guten, sondern geht fröhlich, glücklich, vertrauensvoll und mit Anerkennung und Dank für die so lange verborgen gewesenen Segnungen seines Wegs. Er freut sich der Früchte, die das Überwinden der Sünde hervorbringt, und erreicht sein Ziel erfrischt und gestärkt; ja sein Zustand ist solcher Art, daß andre erkennen müssen, wie angenehm und erträglich die Reise war, und sich bewogen fühlen, den gleichen Weg zu gehen.
Auf diese Weise klärt sich das Denken. Es wird empfänglich für die Erkenntnis, wie wir Gott, die göttliche Liebe, in der wir „leben, weben und sind,” zu unserm Begleiter haben können. Mrs. Eddy hat durch ihr selbstloses Leben die Nichtigkeit des Weges bewiesen, den Jesus zeigte und den er selber ging, so daß ihn heute Tausende sicher und vertrauensvoll gehen können. Auf Seite 214 von Wissenschaft und Gesundheit schreibt sie: „Wenn Henochs Wahrnehmung auf den Augenschein seiner materiellen Sinne beschränkt gewesen wäre, hätte er niemals ‚mit Gott wandeln,‘ noch in die Demonstration des ewigen Lebens geführt werden können.”