Schon so mancher, der eine Kenntnis von der Lehre der Christlichen Wissenschaft zu erlangen suchte, um die Segnungen zu empfangen, die für alle Gotteskinder vorhanden sind, hat sich gewundert über die ruhige und doch bestimmte Versicherung seiner Freunde, die sich zur Christlichen Wissenschaft bekennen, daß das sich ihm bietende Problem, gleichviel welcher Art, bereits gelöst und die Antwort bereits vorhanden sei, da ja Gott Sein Werk vollbracht habe und es daher in Wirklichkeit keine der Lösung harrende Aufgabe gebe. Solche Erklärungen klingen ihm fast wie ein Hohn angesichts der Zustände, die dem sterblichen Gemüt überwältigend erscheinen. Gerade in dieser Beziehung hat aber Mrs. Eddy der Menschheit den größten Dienst geleistet. Je tiefer wir in ihre Lehren eindringen, desto klarer erfassen wir die Wissenschaft, die sie offenbaren.
Die Behauptung, unsre Schwierigkeiten seien bereits gelöst und die Antwort harre unsrer, sollte nicht überraschen, selbst wenn die materiellen Sinne scheinbar überzeugende Beweise für das Gegenteil bieten; denn diese Behauptung gilt z. B. auch hinsichtlich eines der verbreitetsten Wissenszweige, einer Wissenschaft, mit der jeder Mensch fast stündlich in Berührung kommt, nämlich der Mathematik. Wir erkennen ohne weiteres an, daß es in dieser Wissenschaft keine Aufgabe geben kann, für die nicht auch zugleich die Lösung vorhanden wäre.
Wie ein jeder einsieht, gilt dies sowohl von einfacheren Berechnungen wie von den höheren Problemen der Mathematik. Falls aber die Aufgabe derart ist, daß unser Verständnis auf eine scharfe Probe gestellt wird, so können Stunden, ja vielleicht Tage und Wochen vergehen, ehe wir die Lösung finden. Diese Lösung schafft aber nicht die Antwort. Sie bedeutet nur das Finden dessen, was bereits bestand, als uns die Aufgabe gestellt wurde, ja, was schon immer bestanden hat. Und da die Mathematik auf Vollkommenheit beruht, so folgt, daß in der Wissenschaft der Mathematik für jede Aufgabe die Lösung bereits vorhanden ist.
Mrs. Eddy hat uns vermöge der wunderbaren geistigen Erkenntnis, die sie befähigte, die Heilige Schrift richtig auszulegen, in Liebe und Geduld gezeigt, daß man eine wissenschaftliche Kenntnis von Gott erlangen kann, und daß es eine Wissenschaft des Seins gibt, in der dieselbe Genauigkeit herrscht, wie in der Mathematik. Statt sich aber, wie die Mathematik, nur mit Problemen zu befassen, die sich auf einem Gebiet menschlichen Denkens und Wirkens bieten, befaßt sich die Wissenschaft des Seins mit Problemen, die durch all die verschiedenen Tätigkeiten, Beziehungen und Zustände in dem menschlichen Erfahrungskreis entstehen, und ihre Lösung ist in der Wissenschaft des Seins für uns ebenso gewiß vorhanden wie in der Mathematik.
Durch solche Betrachtungen erlangen wir einen Lichtblick der wunderbaren metaphysischen Bedeutung der göttlichen Verheißung im Propheten Jesaja: „Und soll geschehen, ehe sie rufen, will Ich antworten; wenn sie noch reden, will Ich hören.” Und warum? Weil die Lösung der Aufgabe bereits unsrer wartet. Ein wunderschönes Beispiel hierfür bietet Jesus am Grabe des Lazarus. „Jesus hub seine Augen empor und sprach: Vater, ich danke dir, daß du mich erhöret hast. Doch ich weiß, daß du mich allezeit hörest.” Hierauf gebot er dem Lazarus herauszukommen, und Lazarus kam heraus. Das Gebet Jesu war erhört, noch ehe er es gesprochen hatte. Gottes Werk ist vollbracht, und unsre Aufgabe besteht darin, dies erkennen zu lernen.
Diese wissenschaftliche Kenntnis war es, die Jesu Bewußtsein freimachte von der Schlaffheit des materiellen Denkens, und er vermochte somit Gottes Idee zu erkennen, wo sich den Blicken der Umstehenden ein materieller, lebloser Mensch bot. Diese geistige Idee Gottes oder des Prinzips des wahren Seins hatte schon immer bestanden; nur verursachte die geistige Erkenntnis Jesu das sinnlich wahrnehmbare Erscheinen der Wahrheit in Gestalt eines lebenden Lazarus, was für die Anwesenden nötig war. Es sollte ihnen dadurch die Lösung des Problems veranschaulicht werden, die Demonstrierung der Wissenschaft, von der die Worte zeugten: „Ich weiß, daß du mich allezeit hörest.”
Jesu Kenntnis vom Wesen Gottes befähigte ihn, jede Krankheit zu heilen und Beschränkungen aller Art zu überwinden. In derselben Weise müssen wir heute als Christliche Wissenschafter wirken, nicht nur in Dingen, die uns selber angehen, sondern auch in Fällen, wo wir andern helfen wollen. Welche besondere Art der Disharmonie sich uns auch bieten mag, wir wissen, daß wir in einer Wissenschaft arbeiten, die jedem Bedürfnis abhilft, und daß über den Gott, der Leben, Wahrheit und Liebe ist, keine Ungewißheit herrscht. Die Wissenschaft des Seins, die auf Grund ihrer Vollkommenheit jederzeit antwortet, ehedenn wir rufen, und die uns stets erhört, besteht in der exakten Kenntnis eines solchen Gottes und Seiner Schöpfung. Auf Seite 149 von The First Church of Christ, Scientist, and Miscellany sagt Mrs. Eddy: „Bedenke, daß du in keine Lage kommen kannst, sei sie auch noch so schwierig, wo die Liebe nicht schon vor dir gewesen ist und wo dich ihre freundliche Belehrung nicht schon erwartet.”
Obige Worte helfen uns besser verstehen, warum wir scheinbar Probleme zu lösen haben. Jedes Problem bringt eine Lehre mit sich, und wenn man sich die Lehre zueigen gemacht hat, ist man um so viel in der Kenntnis der Wissenschaft des Seins weitergekommen. Setzen wir diese Kenntnis in die Tat um, so wachsen wir geistig und sehen dann ein, daß Erlösung Sache des einzelnen ist, daß sie durch die geistige Erkenntnis des einzelnen bedingt wird, und die Worte Jesu werden uns verständlich: „Das Reich Gottes ist inwendig in euch.” Sodann lesen wir auf Seite 560 von Wissenschaft und Gesundheit: „Die große Notwendigkeit des Daseins ist, die wahre Idee von dem zu gewinnen, was das Himmelreich im Menschen ausmacht.” All dies erfordert eine Neuanordnung mentaler Werte, eine Entscheidung der Frage, wem wir dienen wollen: dem Christus, der Wahrheit, oder dem Irrtum; geistigen Dingen oder materiellen Dingen; ob wir, wie Jesus, zum Vater gehen wollen mit einer wissenschaftlichen Bekräftigung der Wahrheit, oder ob wir uns nach Ägypten zurücksehnen. Wenn sich uns zahlreiche schwierige Probleme bieten, so sollten wir uns freuen, denn wir wissen, daß sie nur die äußeren Zeichen der Chemikalisation sind, die in unserm Bewußtsein stattfindet. Wir erkennen dann, daß unsre Erfahrung mit der Erfahrung derer übereinstimmt, an welche Paulus schrieb: „Gedenket aber an die vorigen Tage, in welchen ihr, nachdem ihr erleuchtet waret, erduldet habt einen großen Kampf des Leidens.”
Im Wesen der Wahrheit an sich liegt es nicht, Disharmonie oder Störungen zu verursachen. Das natürliche Wirken der Wahrheit verscheucht Irrtum und erzeugt Harmonie. Der Aufruhr, der in einem sterblichen Bewußtsein, wo die Wahrheit eingedrungen ist, oft stattfindet, wird durch den Widerstand erzeugt, den die Materialität stets der Macht des Geistes entgegensetzt, denn in dieser Macht sieht die Materialität ihr Ende. Die Propheten sahen diesen Widerstand gegen den Messias voraus, und ihre Prophezeiungen gingen in Erfüllung, als das traurigste Ereignis der Geschichte, die Kreuzigung, stattfand. Doch haftet die Schmach der Kreuzigung nicht einem einzelnen Volke oder den Menschen eines bestimmten Zeitalters an. Wenn wir als Christliche Wissenschafter die Lösung unsrer Schwierigkeiten in einer andern Richtung suchen als in der Wissenschaft, die unsre Beziehung zum Vater regiert, oder wenn wir eine geistige Idee zurückweisen und den Verlockungen des materiellen Wohlergehens nachgeben, oder wenn wir auf die Stimme der Leidenschaft oder des Ehrgeizes horchen, so findet eine abermalige Kreuzigung statt.
Salomo bat um ein verständig Herz, und sein Gebet ward erhört. Als Sucher nach der Wahrheit bitten auch wir um einen erkennenden Sinn, damit wir im Einklang mit der Wahrheit leben und die Wissenschaft verstehen können, die ihr zugrunde liegt — die Wissenschaft des Seins. Die Christliche Wissenschaft lehrt uns mit ihrer Vollkommenheit die Unvollkommenheit der Menschheit überwinden. Tausenden von Menschen wird nun die wissenschaftliche Bedeutung der Worte Mrs. Eddys über Gott klarer: „Seine Arbeit ist getan, und wir brauchen uns die Regel Gottes nur zunutze zu machen, um Seinen Segen zu empfangen, der uns dazu befähigt, zu schaffen, daß wir selig werden” (Wissenschaft und Gesundheit, S. 3). Und in dem Maße wie wir diese absolute Wissenschaft verstehen, deren Wesen und Wirken Jesus am Grabe des Lazarus mit wenigen Worten so eindrucksvoll beschrieb, empfinden auch wir das Dankgefühl, von dem er erfüllt war.