Ein Ausspruch Jesu, den er dem Evangelisten Matthäus zufolge tat, als er zu Johannes kam, um sich von ihm taufen zu lassen, hat in Anbetracht der damals obwaltenden Umstände eine tiefe Bedeutung, ist aber leider oft angeführt worden, um ein tadelnswertes Verfahren zu bemänteln oder zu entschuldigen. Als Johannes in seiner Demut das Ersuchen Jesu, von ihm getauft zu werden, in Anstand zog, sagte der Meister: „Laß es jetzt also sein! also gebührt es uns, alle Gerechtigkeit zu erfüllen.”
Der Sohn Gottes hatte keine Wassertaufe zur Buße nötig, sondern dieses Zeremoniell war bloß eine Vorbereitung auf die Taufe des Geistes, die dann das Zeugnis und Siegel seiner göttlichen Sendung sein sollte. Johannes hatte das Kommen dessen prophezeit, der „mit dem heiligen Geist und mit Feuer taufen” würde, und das „Herabfahren” des Geistes auf Jesus sollte ihn erkennen lassen, daß der Messias nun vor ihm stand. Mag auch Jesu Gesuch um die Taufe als eine Bestätigung der Tätigkeit des Johannes ausgelegt werden, so war doch ihre Vollziehung vor allem deshalb nötig, weil dadurch die höhere Bedeutung der Taufe, die Vernichtung der Sünde durch die Macht des Geistes, kundwerden sollte.
Auf diese Begebenheit Bezug nehmend, sagt Mrs. Eddy: „Jesu Zugeständnisse an materielle Methoden (in gewissen Fällen) dienten zur Förderung des geistig Guten” (Wissenschaft und Gesundheit, S. 56). Diese Worte werden ferner durch den Fall bestätigt, wo der Meister die Augen des Blinden mit Kot bestrich und ihm gebot, sich am Teich Siloah zu waschen, wenn auch dieses Ereignis oft als eine Rechtfertigung der Anwendung von Arzneimitteln angesehen wird. Es ist undenkbar, daß Jesus diesen Menschen nicht hätte an Ort und Stelle heilen können. Die Anwendung des Kotes und das Waschen bildeten bloß die Probe, welche dem Blinden Gelegenheit geben sollte, sein Verlangen nach Heilung durch Gehorsam zu bekräftigen, wie ja auch Naeman im Gehorsam gegen das Gebot Elisas sich siebenmal im Jordan waschen mußte, ehe er vom Aussatz geheilt werden konnte. Weder der Kot noch das Wasser hatten an sich irgendwelche Heilkraft. Diese Dinge bildeten nicht die Hauptsache, sondern es handelte sich darum, daß der Geist des Gehorsams gegen das göttliche Gesetz eingeflößt werde —„zur Förderung des geistig Guten,” wie Mrs. Eddy sagt.
Wohl kann man verstehen, wie die Verehrer der medizinischen Wissenschaft durch diese Begebenheit zu beweisen suchen, daß Jesus zuweilen von materiellen Mitteln Gebrauch machte (obschon es einleuchtend ist, daß er dadurch das geistige Element gänzlich ausgeschlossen und ein Pflaster aus träger, lebloser Materie mit Heilkraft ausgerüstet hätte). Unbegreiflich ist aber, wie jemand, der die Allmacht der Wahrheit auch nur einigermaßen erkannt hat und sich für einen Christlichen Wissenschafter ausgibt, von dieser Einflüsterung sich so irreführen lassen kann, daß er den Genuß gewisser Speisen oder den Gebrauch materieller Mittel anrät, um körperliche Wirkungen zu erzielen. Ein solcher sucht dann wohl diese Abweichung von der exakten Wissenschaft leichthin mit der Erklärung zu entschuldigen: „Laß es jetzt also sein,” d. h. bis der Patient genügend in der Erkenntnis vorgeschritten ist, um solcher Hilfsmittel entbehren zu können. Warum ihn nicht lieber ermutigen, sein Vertrauen sofort voll und ganz auf Gott zu setzen?
Auf Seite 380 von Miscellaneous Writings schreibt Mrs. Eddy, als die Christliche Wissenschaft zuerst ausgeübt wurde und Furcht und Unglauben einen materiellen Beweis, daß etwas für den Kranken geschehe, nötig zu machen schienen, habe sie es erlaubt, daß dieser Beweis gegeben werde; durch Erfahrung aber habe sie gelernt, daß es unmöglich ist, „die Wissenschaft des metaphysischen Heilens durch irgendwelche äußere Verfahrungsart zu demonstrieren.” Und zu dieser Einsicht muß jeder Christliche Wissenschafter früher oder später kommen. Seit jenen Anfängen sind viele Jahre verflossen. Damals gab es bloß eine Handvoll Menschen, die auch nur in geringem Grade die Macht der Wahrheit erkannt hatten, und Zugeständnisse an solche, die ein Zeichen verlangten, waren damals nötig. Heute aber ist die Kenntnis der Christlichen Wissenschaft über die ganze Erde verbreitet, und Tausende und aber Tausende haben bewiesen, daß man allein durch die Ausübung dieser Lehre, also durch das absolute Sichverlassen auf die göttliche Liebe und Güte, die Kranken heilen und die Sünder zur Buße führen kann.
Ein weiteres Verfahren, das man durch die oben angeführten Worte des Meisters zu rechtfertigen sucht, besteht darin, daß man einen Arzt ruft, um die Diagnose zu stellen, ehe man den Fall übernimmt. Wenn ein Praktiker der Christlichen Wissenschaft Grund hat zu glauben, der Patient habe eine ansteckende Krankheit, so muß er aus Gehorsam gegen das Gesetz einen Arzt kommen lassen — nicht etwa, um sich von ihm die Symptome beschreiben zu lassen und die christlich-wissenschaftliche Behandlung demgemäß zu erteilen, sondern als ein Zugeständnis an die dem sterblichen Gemüt innewohnende Furcht. Er läßt es „jetzt also sein,” bis die Wahrheit, daß es keine ansteckenden Krankheiten gibt, in genügendem Maße demonstriert und so alle Furcht überwunden ist. Abschnitt 23 von Artikel VIII des Handbuchs wird nicht richtig ausgelegt, wenn man ihn zitiert, um das Verlangen nach einer Diagnose zu rechtfertigen. Obschon dem Patienten eine solche frei steht, so sollte doch der Praktiker erst dann „wegen der in Betracht kommenden Anatomie einen Doktor der Medizin zurate ziehen,” wenn er sieht, daß er in dem betreffenden Fall keine Besserung herbeiführt. Bis die ärztliche Diagnose größere Zuverlässigkeit aufzuweisen hat, als selbst ihre eignen Befürworter ihr zugestehen, wäre es offenbar töricht, sich bei der Behandlung nach ihr zu richten. Mrs. Eddy hat diese Streitfrage ein für allemal durch ihre Erklärung auf Seite 357 von The First Church of Christ, Scientist, and Miscellany entschieden: „Der Geist ist unendlich. Somit ist der Geist alles. Die Worte, ‚Es gibt keine Materie,‘ bringen nicht nur den Grundsatz der wahren Christlichen Wissenschaft zum Ausdruck, sondern sie bilden auch die einzige Grundlage, auf welcher diese Wissenschaft demonstriert werden kann.”
Mrs. Eddy erreichte in ihrer Erfahrung den Punkt, wo es ihr ratsam schien, die Kirche aufzulösen und die Lehranstalt zu schließen. In Demut beugte sie sich unter diese Notwendigkeit und war dankbar, daß sie mit dem Meister sagen konnte: „Laß es jetzt also sein.” Sie glaubte bestimmt an den endlichen Sieg der Wahrheit und wußte daher, daß diese Kanäle des Guten wieder geöffnet werden würden. Und so kam es auch. Für einen jeden von uns mögen Zeiten der Prüfung unsres Glaubens an die Güte Gottes kommen, Zeiten, da das scheinbare Böse den Thron einnimmt und wir zur Zeit nichts tun können als stillstehen und warten. Wenn aber unser Vertrauen nicht wankt, so werden auch wir „ein Heil des Herrn” sehen.
