As ich vor kurzem bezüglich der Errichtung einer Kirche mentale Arbeit tat, kam mir die Frage: Wo beginnt eigentlich der Kirchenbau? Beginnt er mit dem ersten Schaufelstich an der Stelle, wo eine christlich-wissenschaftliche Kirche errichtet werden soll? Beginnt er Sonntag morgens in der Kirche, nachdem man Platz genommen hat? Begann der Kirchenbau mit der Grundsteinlegung Der Mutter-Kirche? Oder begann er, als der Meister, der selber die Kranken heilte, zu Petrus sagte: „Auf diesen Felsen will ich bauen meine Gemeine”?
Mrs. Eddy schreibt in Wissenschaft und Gesundheit: „Jesus gründete seine Kirche und behauptete seine Mission auf der geistigen Grundlage des Christus-Heilens;” ferner: „Reinheit ist der Eckstein allen geistigen Bauens” (SS. 136 und 241). Grimms deutsches Wörterbuch definiert Reinheit unter anderm wie folgt: „Das Freisein von ... fremdartiger, verschlechternder Beimischung.” Sind wir auf Grund obiger Zitate nicht zu der Erklärung berechtigt, daß der Kirchenbau in einem Bewußtsein beginnt, welches in solchem Grade von der Nähe, von der Allheit des Geistes erfüllt ist, daß keine Suggestion, die der Materie Vorhandensein und Macht zuerkennt, es zu beeinflussen vermag? Auf einer solchen Grundlage können wir getrost unsern Oberbau errichten.
„Ein jeglicher aber sehe zu, wie er darauf baue,” schreibt Paulus; „so aber jemand auf diesen Grund bauet Gold, Silber, edle Steine, Holz, Heu, Stoppeln, so wird eines jeglichen Werk offenbar werden.” Sehen wir zu, daß unser Oberbau der Grundlage entspricht, daß er die Gegenwart Gottes zum Ausdruck bringt, die bereits besteht. Unser Oberbau muß das Werk unsrer eignen Demonstration sein, sonst hat die Grundlage geringen Wert für die Menschheit. Nur durch tägliche gute Werke, durch stündliche Gemeinschaft mit Gott kann jeder für sich die Christus-Kirche erblicken, die schon gegründet ist.
Beim Errichten eines Gebäudes muß man sehr vorsichtig sein, damit nicht fehlerhaftes Material verwendet werde. Ein Oberbau, der schlecht zusammengefügt ist und aus schlechtem Material besteht, vermag dem Sturm nicht zu widerstehen und ist daher nicht nur von geringem Wert für den Besitzer, sondern sein Einsturz würde auch für eine Anzahl Menschen verhängnisvoll sein, ja andre würden sich dadurch abhalten lassen, selber zu bauen. Wenn der Baumeister nicht auf der Hut ist, wird ihn das sterbliche Gemüt bestehlen; Unehrlichkeit wird versuchen, unter dem Schutz einer guten Marke defektes Material zu liefern, und Habgier wird bei Nacht das Material stehlen, das noch nicht verwendet worden ist. Für denjenigen, der im Bewußtsein die Kirche bauen hilft, ist es von großer Wichtigkeit, daß er vor den mentalen Suggestionen, die in sein Bewußtsein eindringen wollen, auf der Hut sei. Er muß sich weigern, in seinem mentalen Bau auch nur einen einzigen unehrlichen Beweggrund anzuwenden, denn wenn die Zeit kommt, wo die widrigen Winde des Irrtums versuchen, seinen ganzen Kirchenbau umzuwerfen, mag sich gerade dieser Beweggrund als ein schwacher Balken erweisen. Ein guter Baumeister wird alle ihm zur Verfügung stehenden Hilfsmittel verwenden, damit sie ihm nicht genommen werden.
Das Hauptmerkmal der Christlichen Wissenschaft ist wohl ihre praktische Anwendbarkeit — die Möglichkeit, sie zu demonstrieren. Es handelt sich hier aber nicht um etwas Willkürliches. Der Christliche Wissenschafter muß im täglichen Leben anwenden, was er bekennt. Es ist dies mehr als ein Vorrecht, von dem er nach Gutdünken Gebrauch machen kann. Es ist mehr als ein Gesuch, es ist eine geistige Forderung. Jeden Augenblick reißen wir unsre Kirche nieder oder wir bauen sie auf. Jeden Augenblick denken wir Irrtum oder Wahrheit. Jeden Augenblick hassen wir oder lieben wir unsern Bruder. Jeden Augenblick sind wir im Geschäft ehrlich oder unehrlich. Es gibt keinen Mittelweg. Können wir behaupten, die einzige Kirche sei die, die unsre Führerin als einen geistigen Bau bezeichnet hat, und zugleich glauben, die Kirche sei ein materielles Gebäude?
Die Dinge, die wir sehen, sind unsre Vorstellung von diesen Dingen. Ist unsre Vorstellung von Kirche materiell oder endlich, so werden wir den Ausdruck dieser Vorstellung samt all ihren Begleiterscheinungen sehen — Schulden, Beschränkung, Armut, u. a. m. Und sehen wir eine verschuldete, beschränkte oder verarmte Kirche, so beweist dies, daß wir in unserm Bewußtsein eine materielle Vorstellung von der Kirche hegen. Aber gab es in Wirklichkeit je eine falsche Vorstellung von der Kirche im Bewußtsein? Wo ist diese falsche Vorstellung, und wo ist ihr Ausdruck?
Hier mag nun jemand einwenden: Das ist alles sehr schön, aber wie kann bloßes Denken eine Kirchenschuld tilgen? Darauf können wir nur antworten: Wenn wir auch jetzt noch nicht einsehen, wie ein im Bewußtsein gehegter richtiger Begriff von Kirche den äußerlichen Ausdruck einer schuldfreien Kirche bewirken kann, so steht doch fest, daß dieses Resultat eintritt, wenn man beharrlich an dem richtigen Begriff festhält! Wer sich über den Begriff von Kirche im weitesten Sinn des Wortes im klaren ist, wird zum mindesten von der Vorstellung des Mangels befreit und dadurch befähigt werden, mehr zu geben.
Welcher Praktiker würde bei einem Patienten die augenscheinlichen physischen Symptome von Krankheit als wahr und wirklich betrachten? Er schließt das falsche Zeugnis aus und sieht und kennt nur den vollkommenen Menschen, den einzigen Menschen, der zu kennen ist, und diese Treue gegen die Wahrheit kommt in der Heilung des Patienten zum Ausdruck. Unsre verehrte Führerin schreibt auf Seite 418 von Wissenschaft und Gesundheit: „Wenn ... deine Treue nur halbwegs der Wahrheit deiner Verteidigung gleichkommt, wirst du die Kranken heilen.” Niemand wird leugnen, daß wir als Einzelwesen nur so viel vom wahren Menschen sehen wie wir erkennen und beweisen; und warum sollte dies nicht auch in bezug auf die Kirche wahr sein?
Besteht unsre ganze Pflicht gegenüber der Kirche darin, daß wir ihre Schulden bezahlen? Angenommen, es stellt jemand einen Scheck aus, um die Kirchenschuld zu tilgen: würde das die falsche Vorstellung berichtigen, die der einzelne von der Kirche hegt? Wenn unsre Kirchenschuld in diesem Moment getilgt würde, würde das die richtige Vorstellung von der Kirche im Bewußtsein zur Folge habe? Eine Kirchenschuld muß bezahlt werden; aber die Versuchung ist immer da, die Bezahlung der Geldschuld als das zu betrachten, was in erster Linie Not tut.
Nur durch tägliche Reinigung des Denkens und Handelns kann unser Kirchenbau im Einzelbewußtsein ununterbrochen vor sich gehen. Und wenn jedes Einzelbewußtsein als Idee Gottes erkannt wird, dann tritt klar zu Tage, daß alle Ideen Gottes beim Erbauen der Kirche ihren Platz haben. Auf diese Weise wird unsre Kirche „ineinandergefüget” und wird wachsen „zu einem heiligen Tempel in dem Herrn.”