Das Christentum ist nicht etwas Unbestimmtes und Historisches, es ist keine Überlieferung aus der Vergangenheit. Die Bekundungen des Christentums sind keine Argumente, die etwa ein Professor der Apologetik ersonnen hätte. Vielmehr ist das Christentum seiner Bekundung nach ein klarer Ausdruck mentaler Tätigkeit. Kurz gesagt, wenn Menschen von der göttlichen Liebe zum Denken und Demonstrieren angetrieben werden, wenn sie gesinnet sind, „wie Jesus Christus auch war,“ dann bringen sie Christentum zum Ausdruck. Nun lautet das neue Gebot Jesu, das er seinen Jüngern gab und das er ihnen durch sein Beispiel klar machte, wie folgt: „Ein neu Gebot gebe ich euch, daß ihr euch untereinander liebet, wie ich euch geliebet habe, auf daß auch ihr einander liebhabet.“ Gehorsam gegen dieses Gebot bedeutet Freiheit, weil durch Gehorsam Einschränkung und Zwang beseitigt wird, Bande gesprengt werden und der Sklave die Freiheit erlangt.
Nichts anderes als das Christentum hat in der Welt die Freiheit aufrechterhalten. Die Menschen haben um politische Freiheit gekämpft, haben das Joch vieler Herren abzuschütteln gesucht, sind aber im Inneren nur noch schlimmer von ihren eigenen Leidenschaften, von dem unvernichteten Bösen geknechtet worden. Mrs. Eddy legt dies mit folgenden Worten deutlich dar (Wissenschaft und Gesundheit, S. 225): „Die tyrannischen Neigungen, welche dem sterblichen Gemüt innewohnen und in immer neuen Formen der Tyrannei keimen, müssen durch das Wirken des göttlichen Gemüts ausgerottet werden.“
In vergangenen Zeiten haben Menschen da und dort in ihrem Verstandesstolz behauptet, das Christentum eigne sich nur für Sklaven. Nun sei aber allen Ernstes die Frage gestellt, ob in diesem oder jenem Haushalt des ersten Jahrhunderts der christliche Sklave nicht der Freie war, und ob sein kriegerischer Herr, der stolze Verächter des Christentums, trotz seiner vielen Sklaven nicht in Banden lag. Zum ersten war der Heide Sklave des Aberglaubens, und das ist ein gar grausam Ding. Sodann war er sinnlosen Bräuchen unterworfen, die ihn nicht weniger drangsalierten. Endlich wurde er von Stolz, Zorn, Hochmut und Rachsucht, von Leidenschaften, Gewohnheiten und Gelüsten beherrscht — alles Dinge, die Schmach und Tod herbeiführen. Den Kaiser in seinem Purpurmantel unterwarfen seine bösen Gedanken, ja er und seine übelgesinnten Genossen hatten ein und dasselbe Joch auf dem Nacken. Bei dem Christen jedoch wurden Unschuld und Bruderliebe sozusagen zu Schwingen, vermöge deren er sich in den Frieden und die Freiheit des geistigen Denkens erheben konnte.
Wer war der Freie in Rom? War es Nero der Kaiser, welcher meinte, er habe das Recht, seine Mutter Agrippina hinrichten zu lassen, oder war es Paulus der Apostel, der da sagte: „Um der Hoffnung willen Israels bin ich mit dieser Kette umgeben,“ und der da „predigte das Reich Gottes und lehrete von dem Herrn Jesu mit aller Freudigkeit unverboten“?
Das Christentum hat den Menschen von jeher Freiheit gebracht. Diejenigen, die die Unterweisung Christi Jesu über Gott, Geist annehmen, wenn er sagt: „Die ihn anbeten, die müssen ihn im Geist und in der Wahrheit anbeten,“ haben erkannt, wie wahr auch die Erklärung des Paulus ist: „Geistlich gesinnet sein ist Leben und Frieden.“
Selbst als das unechte Christentum in der Form eines äußerlichen Systems diejenigen zu beherrschen suchte, die wahre Christen waren, selbst als die Religion mit ihren Zeremonien, ihrem Gepränge und ihrem strengen Dogmentum eines Cäsars Macht über die Gedanken und die Person der Menschen beanspruchte, gab es solche, die sich an das Prinzip zu wenden wußten. Wenn man sich zum Prinzip bekennt, so bedeutet das jedesmal Befreiung. Mrs. Eddy erklärt uns in ihrer Predigt über das christliche Heilen (S. 3), wie es kam, daß die Menschen die Fähigkeit des christlichen Heilens oder des durch das Gemüt bewirkten Befreiens von Krankheit verlor, und zwar war es deshalb, weil ihnen ihre Erkenntnis von Gott als Prinzip abhanden kam. Sie schreibt: „In dem Verhältnis, wie das persönliche und materielle Element sich in die Religion einschlich, verlor diese das Christentum und die Kraft des Heilens; und die Eigenschaften eines als Person gedachten Gottes anstatt das göttliche Prinzip, das göttliche Eigenschaften erzeugt, nahm die Aufmerksamkeit des Zeitalters in Anspruch.“
Jesus sah voraus, daß sich die Welt der Wahrheit, die sie freimachen sollte, widersetzen würde. Er ermahnte seine Jünger, angesichts dieses Anspruchs des Hasses gegen die Wahrheit einander zu lieben, und ermutigte sie mit den Worten: „So euch die Welt hasset, so wisset, daß sie mich vor euch gehasset hat.“ Er gab ihnen weise Ratschläge, damit sie nicht an kommenden Prüfungen Anstoß nehmen sollten. „Es kommt aber die Zeit,“ sagte er, „daß, wer euch tötet, wird meinen, er tue Gott einen Dienst dran.“ Dabei ist aber sein ruhiges Vertrauen und seine bestimmte Erwartung des verheißenen Sieges unverkennbar. Mrs. Eddy sagt (Miscellaneous Writings, S. 163): „In keinem anderen Punkte schien er weniger menschlich und mehr göttlich als in seinem unerschütterlichen Vertrauen auf die Unvergänglichkeit der Wahrheit. In bezug hierauf erklärt er: ‚Himmel und Erde werden vergehen; aber meine Worte werden nicht vergehen!‘ und sie sind nicht vergangen; sie leben immer noch und bilden die Grundlage der göttlichen Freiheit, das Zwischenmittel des Gemüts, die Hoffnung der Menschheit.“
Da nun die Christliche Wissenschaft sowohl echtes wie praktisches Christentum ist, so übt sie in der Welt den größten befreienden Einfluß aus. Irgend jemand, der einen Einblick tut in ihr bisheriges Werk der Befreiung, kann verstehen, was in unseren Tagen die Welt aus der Sklaverei befreit. Ein Sklave ist einer, dessen Person als Eigentum angesehen wird. Der Besitzer nimmt dem Sklaven alles, was er hat, seine Leistungen, seinen Verdienst, ja sogar seine Kinder. Wenn gesagt wird, ein Mensch sei der Sklave einer üblen Gewohnheit, so heißt das, daß die Gewohnheit ihn besitzt, ihm seinen ganzen Verdienst abnimmt, selbst seine Gedanken beherrscht. Es ist nicht nötig, an dieser Stelle die verschiedenen Arten aufzuzählen, auf welche die Menschen von ihren falschen Vorstellungen in die Sklaverei gelockt und ihren Lüsten unterworfen werden. Die Erklärung genügt, daß das praktische und wissenschaftliche Christentum, mit anderen Worten die Christliche Wissenschaft, nicht nur den Knecht der herrschenden Sitten, der Furcht und des Stolzes befreit, sondern auch den Sklaven böser Angewohnheiten, ja selbst den, der von einem ererbten Übel in Banden gehalten wird.
Dem Fortschritt des Menschen steht somit nichts im Wege, denn Freiheit bedeutet stets Fortschritt. Wenn der freigelassene Sklave sich über seinen Pileus, seine Freiheitsmütze, freute, weil sie ein Zeichen seiner Erlösung war, ist es dann zu verwundern, daß die wahren Christlichen Wissenschafter in allen Weltgegenden ihre Freiheit durch ein Zeichen kundtun? Es ist das gleiche Zeichen, das die ersten Christen als solche charakterisierte, so daß von ihnen gesagt wurde: „Seht doch, wie diese Christen einander lieben.“ Man stelle sich bloß die neue, die kommende Welt vor, in welcher das Prinzip regiert und jeder Gedanke von Gottes Christus gefangen gehalten wird! Mrs. Eddy fragt hinsichtlich des neuen Himmels und der neuen Erde, in denen Gerechtigkeit wohnet (Wissenschaft und Gesundheit, S. 91): „Hast du dir jemals diesen Himmel und diese Erde ausgemalt, von Wesen bewohnt, die unter der Herrschaft der höchsten Weisheit stehen?“
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