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Nur ein Sperling

Aus der April 1918-Ausgabe des Herolds der Christlichen Wissenschaft


Die Christliche Wissenschaft macht eine Morgenlandschaft aus unserer herrlichen Welt, wenn wir sie im hellen Licht der Wahrheit sehen, und die Leser von „Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift,“ von Mrs. Eddy, der geliebten Führerin unserer Bewegung, sammeln unaufhörlich geistige Lehren, wohin sich ihr Pfad auch wendet, Stunde für Stunde, Jahr für Jahr. Eines Morgens kam ich etwas früher als gewöhnlich ins Büro, wo ich arbeitete. Es war ein herrlicher Sommermorgen. Im Freien schien mir alles zuzulächeln, von dem gleichen Dankgefühl erglühend, das mich erfüllte. Indem ich mich dann der Ermahnung unserer Führerin erinnerte: „Taten drücken mehr Dankbarkeit aus als Worte“ (Wissenschaft und Gesundheit, S. 3), sprach ich in meinem Herzen: „Lieber Vater, kann ich Dir in diesen paar Augenblicken, ehe ich mich an die Tagesarbeit mache, auf irgendeine Weise dienen, wie würde ich mich freuen — welcher Art solcher Dienst auch sei.“

Gleich darauf durchquerte ich ganz unwillkürlich und ohne einen bestimmten Zweck im Auge zu haben den Gang und betrat einige unvermietete Büros. In einem der Zimmer waren zwei Fenster nebeneinander, beide durch ein breites Steingesims verbunden. Das Fenster zur Rechten war offen, dasjenige zur Linken geschlossen. Ein Sperling war in das leere Zimmer geflogen und hatte da für die Nacht Obdach gefunden. Wohl seit Tagesanbruch war er herumgeflattert und hatte mit der ganzen Kraft seiner Flügel verzweifelte Anstrengungen gemacht, durch das geschlossene Fenster ins Freie zu gelangen. Als ich eintrat und mich näherte, machte er einen letzten kläglichen Versuch, und dann hörte der Kampf auf. Er saß auf der Fensterschwelle, gänzlich erschöpft von seiner Anstrengung, sich frei zu machen, schaute aber mit hellen Augen zu mir empor; er war ganz ruhig und regte sicht nicht, als ich meine Hand nach ihm ausstreckte.

Und so hob ich denn das kleine, müde, zerzauste Ding auf — langsam, damit es keinen neuen Furchtanfall bekomme, sorgfältig und behutsam, um ihm nicht weh zu tun — nahm es von dem Hemmnis weg und setzte es sanft auf das Steingesims des offenen Fensters, wo es in der erfrischenden Luft seine Freiheit verspüren konnte. Wir schauten einander noch ein Weilchen an, der Sperling und ich; dann rief das Leben von draußen, er flog übers Dach an seinen Ort, und ich kehrte zurück an den meinen.

O dieser Sperling! Seit dem ersten Lichtschimmer hatte er versucht, an dem Hindernis, das er nicht verstehen konnte, vorbeizukommen. Die Welt, die er kannte und liebte — Himmel, Baum und Hausdach — war deutlich sichtbar, und doch hielt ihn ein grausames, unbarmherziges Hindernis zurück, beraubte ihn der Freiheit und der Nahrung, des Gesanges und der Freude — alles dessen, was vor seinen Augen lag. Andere Sperlinge flogen umher, hoch und tief, sich des Lebens erfreuend, und doch — das Hindernis. Und die ganze Zeit war der Weg zu Freiheit und Glück so nahe, so unverkennbar. Unser kleiner Freund brauchte jedoch nur seine verzweifelten, erschöpfenden Versuche einzustellen, seine Flügel auszubreiten, die rechte Richtung einzuschlagen — und der Weg zur Freiheit war offen. Er saß auf dem gleichen Steingesimse hoch über der Straße, er hatte die gleiche herrliche Welt vor diesem anderen Fenster — und kein Hindernis war im Wege.

Als ihn dann eine liebe Hand aufhob, nachdem er sein möglichstes versucht und nichts erreicht hatte, wer weiß, welches Gefühl der Angst und Verzweiflung ihn erfüllte?. Konnte ihn diese Hand nicht erdrücken, ihm sein Ende bereiten? Wenn schon der Schatten, den sie warf, Furcht einflößte, so konnte das Dunkel der geschlossenen Hand doch nur Tod bedeuten. War für den Sperling eine größere Freude möglich als zu sehen, wie sich die Hand öffnete, nicht mehr verwirrt und erschöpft zu sein, sondern die warme Sonne, den frischen Wind zu verspüren, sich glücklich und frei zu fühlen? Ein von Liebe getragener Gedanke war im rechten Augenblick erschienen, wie stets in Augenblicken, wo keine Kraft mehr übrig war zu wildem, verzweifeltem Hin- und Herfliegen, zu betäubenden Anläufen gegen Decke und Wände — alles nutzlose Verzögerung. Die Liebe half der Notdurft ab; nicht zu früh und nicht zu spät. Sagte nicht Jesus: „Derselbigen [fällt] keiner auf die Erde ohne euren Vater“? Der Vater-Mutter Gott, die unendliche Intelligenz, die unendliche Liebe, kommt nie zu spät.

Wollen wir das nicht erkennen? Wollen wir nicht unser ohnmächtiges Ringen aufgeben und uns beruhigen? Was der Sterbliche fürchtet ist vielleicht bloß die sich nähernde Hand der Liebe. Und was dann folgt, welcher Art auch der Schein sei, ist nie das grausame Ersticken des aufwärts gerichteten Trachtens und kann es nie sein. Es ist nie eine zerstörte Hoffnung, nie ein krankes Herz, nie die Finsternis des Todes. Die Hand der Liebe schließt sich über uns, dann öffnet sie sich und gibt uns ewige Freiheit. Und so finden wir uns selber. Laßt uns daher innehalten, damit wir die Freiheit um so eher erlangen mögen, damit wir um so stärker seien, wenn wir, vom Winde der weisen Absichten Gottes getragen, uns in das Sonnenlicht der Seele emporschwingen.

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