Was ist die größte Wahrheit, die ein jeder von uns lernen muß? Sie lautet, daß uns nichts von Gott zu trennen vermag, daß nichts zwischen uns und Geist treten oder uns verhindern kann, den Vater zu finden, wenn wir uns ihm zuwenden. Man hat dem Leben Jesu gar vielerlei Deutungen gegeben, die mehr oder weniger für die Menschheit von Wert sind; aber eine Deutung, die so wichtig ist, daß das Evangelium sozusagen davon überfließt, lautet dahin, daß Gott und der wahre Mensch ewig zugleichbestehend sind, daß nie etwas zwischen Gott und den Menschen getreten ist, und daß Gott den Menschen nie verborgen war, wenn sie sich ehrlich und aufrichtig an Ihn wandten. Da aber die Menschen das sogenannte menschliche Gemüt für eine abgesonderte Wesenheit halten, so bringen sie auf vielerlei Art die Meinung zum Ausdruck, daß zwischen Gott und dem Menschen eine Trennung bestehe und daß die Menschen aus einem unerklärlichen Grund sich nicht zu Gott, der göttlichen Liebe, nahen könnten, sondern einen Mittler brauchten, der für sie handeln müsse. Man vergißt also, daß „kein Ansehen der Person vor Gott“ ist, und daß die Bibel, von dem Gesetz Mose an bis zu den Lehren unseres Meisters, das Ansehen der Person verwirft.
Die wichtige Wahrheit, der hilfreiche Sonnenstrahl, an den ein jeder denken sollte, ist der, daß die geistige Größe der herrlichen biblischen Gestalten, seien es Könige, Propheten oder Apostel, genau dem Verhältnis entsprach, in welchem sie bewiesen, daß sie unmittelbar mit Gott im Umgang standen oder von Angesicht zu Angesicht mit ihm verkehrten, ohne irgendeine Persönlichkeit zwischen sich und dem Geist zu haben. „Die seeleninspirierten Patriarchen vernahmen die Stimme der Wahrheit und redeten so bewußt mit Gott, wie der Mensch mit dem Menschen redet,“ sagt Mrs. Eddy in Wissenschaft und Gesundheit auf Seite 308. Hatte z. B. Abraham jemand nötig, um ihm seine Seligkeit zu schaffen oder persönlich zwischen ihm und Gott zu vermitteln? Bewies et nicht dadurch seine Treue, daß er kein Element der Persönlichkeit, ja nicht einmal menschliche Liebe zwischen sich und Gott treten ließ? Es ist weder Zufall noch ein Zeichen besonderer Gunst, daß alle Christen zum Samen Abrahams gerechnet werden, denn der wahre Nachfolger Christi zeichnet sich dadurch aus, daß er durch Christus, die Wahrheit, den Weg direkt zu Gott findet. Er hat keinen anderen Mittler nötig als diesen Christus oder diese Wahrheit, welche Jesus, der Wegweiser, lehrte und demonstrierte. Wenn also Abraham mit Gott im Umgang stand und Ihm stets treu war, können wir dann nicht desgleichen tun? Und was von Abraham gesagt worden ist, bezieht sich auch auf Moses, auf Hanna, auf Maria, besonders auf Christus Jesus, ja auf alle gottesfürchtigen Männer und Frauen, von denen wir in der Bibel lesen und die ihre Kraft und geistige Erkenntnis dadurch erlangten, daß sie keinen Mittler zwischen sich und dem Geist nötig hatten, sondern sich direkt an Gott wandten.
Die Christliche Wissenschaft läßt klar ersehen, daß der Vorhang im Tempel auf immer von oben bis unten zerrissen ist, wodurch ein jeder schon hier und jetzt in das Allerheiligste eingehen und König und Priester vor Gott werden kann. „Wie den Hohenpriestern vor alters, so ist dem Menschen der, Eingang in das Heilige‘ — in das Reich Gottes — frei“ (Wissenschaft und Gesundheit, S. 481). Die Christliche Wissenschaft verfährt also genau so wie der Christus, den Jesus demonstrierte, auf ewig verfährt: sie zeigt uns den Weg zu Gott und ermöglicht uns den Beweis, daß wir Umgang mit Gott gehabt haben, daß wir mit Gott eins sind. Dies ist die Einswerdung, welche die fleischlichen Lüste in Abrede zu stellen suchen, ohne sie aber vernichten zu können. Sie behaupten, ein persönlicher Mittler sei nötig, um mit Gott in Gemeinschaft zu treten. Die Christliche Wissenschaft verlangt daher unbedingt, daß wir unser Einssein mit Gott beweisen. Glauben ohne Erkenntnis läßt sie nicht gelten. Mrs. Eddy sagt uns in Wissenschaft und Gesundheit auf Seite 37: „Es ist möglich, ja es ist die Pflicht und das Vorrecht eines jeden Kindes, Mannes und Weibes, dem Beispiel des Meisters durch die Demonstration der Wahrheit und des Lebens, der Gesundheit und der Heiligkeit, in einem gewissen Grade zu folgen.“
Was ist nun das Amt eines Mittlers? Hat er nicht unter anderem die Aufgabe, denen, die einander mißverstehen, zu zeigen, wie sie in der rechten Weise eines Sinnes werden und harmonisch vorangehen können? War es nicht gerade das, was Christus Jesus tat? Er zeigte uns, daß das Empfinden der Trennung zwischen Gott und der Menschheit durchaus menschlichen oder fleischlichen Ursprungs ist. Trennung vom Guten ist also nicht von Gott; sie ist nicht wirklich, sondern eine Illusion des sterblichen Sinnes, d.h. der geistigen Unwissenheit. Jesus legte jedoch durch Demonstration dar, daß das Christus-Verfahren, mit anderen Worten, die Christliche Wissenschaft, geistige Unwissenheit überwindet und daher der rechte Weg zu Gott ist. Er arbeitete zunächst seine eigene Seligkeit aus; aber dadurch, daß er dies in vollkommener Weise tat, erwies er dem Menschengeschlecht die größte Wohltat, die ihr zuteil werden kann, denn er gab ihr den tatsächlichen Beweis, daß das Zeugnis der menschlichen Sinne trügerisch ist und von der Wahrheit widerlegt werden kann. Mrs. Eddy sagt von diesem Teil des Werkes Jesu (Wissenschaft und Gesundheit, S. 18): „Er erfüllte sein Lebenswerk in der rechten Weise, nicht nur, um sich selbst gerecht zu werden, sondern auch aus Erbarmen mit den Sterblichen — um ihnen zu zeigen, wie sie ihr Lebenswerk zu erfüllen hätten, nicht aber, um dasselbe für sie zu tun oder sie einer einzigen Verantwortlichkeit zu entheben.“
Jesus gab die Verheißung und das Gebot, daß ein jeder, der dem Christus nachfolgen will, wie er es tat, imstande sein würde, durch „mitfolgende Zeichen“ zu beweisen, daß er gottwärts schaute und die Materie nicht als eine Wirklichkeit ansah. Als der verlorene Sohn Kehrt machte und sein Antlitz der Heimat zuwandte, in der Überzeugung, daß ihn nichts von seines Vaters Haus fernhalten könnte, ging ihm der Vater mehr als halbwegs entgegen. Die gleiche Erfahrung machen wir, wenn wir uns Gott wahrhaft zuwenden: wir finden Gott. Wir können das Ziel unserer Reise nicht sofort erreichen, können aber umkehren und in der rechten Richtung voran gehen. Wir können sofort anfangen, den Regeln der Christlichen Wissenschaft gemäß zu handeln und uns zu weigern, den Irrtümern des sterblichen Sinnes unterwürfig zu sein. Lohnt es nicht die Mühe, sich Gott, der göttlichen Liebe, zuzuwenden und durch die Offenbarung und Anwendung der Christlichen Wissenschaft sein eigener König und Priester zu sein? „Nahet euch zu Gott,“ sagt Jakobus, „so nahet er sich zu euch.“