Als David mit einem Vorrat von Speisen zu seinen Brüdern aufs Schlachtfeld gesandt wurde, fand er zwei große Heere zum Kampf gerüstet einander gegenüberstehen, das Heer der Philister, eines im Götzendienst versunkenen Volkes, und auf der anderen Seite die Israeliten. In dem Lager der letzteren herrschte große Aufregung und Furcht. Seit vierzig Tagen war jeden Morgen ein dem Anschein nach unüberwindlicher Riese namens Goliath aus dem Lager der Philister hervorgetreten und hatte die Männer Israels aufgefordert, ihm einen Krieger zum Zweikampf entgegenzustellen. Als David ins Lager kam und seine Brüder begrüßt hatte, erschien dieser Riese aufs neue und ließ seine Herausforderung erschallen; und wie zuvor flohen die Männer Israels vor ihm. Diese Bestürzung seiner Landsleute deckte sich nicht mit Davids Begriff von der Allgegenwart und Allmacht des Gottes Israels, und es ist daher kein Wunder, daß er zu den Männern in seiner Nähe, die er befragt hatte, sagte: „Wer ist der Philister, dieser Unbeschnittene, der das Heer des lebendigen Gottes höhnet?“— was oder wer ist dieses unreine oder unheilige Ding, das sich mit Abgötterei befleckt und die Kraft der Allgewalt leugnet? Warum sollte sich Israel fürchten? Unter der großen Schar bepanzerter Krieger scheint keiner außer David erkannt zu haben, daß etwas geschehen mußte, damit „die Schande von Israel“ gewendet werde.
Dieses Verhalten Davids gereichte natürlich dem herrschenden Furchtgefühl zum Vorwurf, und sein ältester Bruder Eliab fing daher sofort an, ihn heftig zu tadeln, ja er stellte sogar das Motiv seines Kommens in Frage, indem er ihm im wesentlichen vorwarf, er sei nur einem unnatürlichen und eigensinnigen Verlangen gefolgt, die Schlacht mit anzusehen. So sucht der Irrtum in schlauer Weise die Demonstration der Wahrheit zu verhindern. In Anbetracht der Tatsache, daß der Vater den David gesandt, ja ihm ein Werk der Wohltat gegen seine Brüder aufgetragen hatte, muß der Vorwurf dem Schäferknaben höchst ungerecht vorgekommen sein. Trotzdem aber wurde er nicht zornig, noch ließ er sich mit Eliab in einen Wortwechsel ein, sondern er antwortete demütig: „Was hab ich denn nun getan? Ist mir's nicht befohlen?“ Hier beginnt der wahre Zweck der Sendung Davids offenbar zu werden. Die darauffolgenden Ereignisse bewiesen, daß er gekommen war, um den Beweis zu liefern, daß sich der Allmacht gegenüber kein prahlerischer Irrtum geltend machen kann, möge derselbe auch noch so wirklich und schreckenerregend erscheinen. Er sollte seinem Volk die Tatsache beweisen, „daß Israel einen Gott hat;“ er sollte, allem scheinbaren Widerstand zum Trotz, die Macht dieses Gottes dartun und zu Ehren bringen.
David eiferte nicht „mit Unverstand.“ Bei allem, was nun folgte, waren seine Worte nicht lieblos und prahlerisch, auch erging er sich nicht in Drohungen und Verwünschungen. Als es ihm endlich gelang, bei Saul vorgelassen zu werden, erzählte er, wie er früher einmal ganz allein einen Löwen und einen Bären erschlagen hatte, als er gerade seines Vaters Schafe hütete — als er über unschuldige und liebevolle Gedanken wachte und sie nährte, und dadurch die gänzliche Machtlosigkeit dessen, was Gott entgegengesetzt ist, bewies. Diese Mitteilungen erweckten offenbar Sauls Vertrauen, denn als David sich anschickte, den großen Riesen zu bekämpfen, sagte Saul zu ihm: „Gehe hin, der Herr sei mit dir!“
Der Schüler der Christlichen Wissenschaft findet hier bei David keine Spur der Selbstrechtfertigung oder der Selbstsucht, sondern nur den lobenswerten Entschluß, die Gerechtigkeit seiner Sache zu beweisen. Draußen unter den einsamen Schafhürden, als der Löwe und der Bär das Lamm angriffen — wie wenn Haß und Sinnlichkeit die Idee der Liebe zu töten suchen —, hatte er die Gerechtigkeit seiner Sache bewiesen, und nun war er bereit, diesen Beweis vor dem ganzen Heer der Kinder Israel zu liefern. Er lehnte die weltlichen Waffen ab — den Panzer, den ehernen Helm, das Schwert —, weil er sie „nie versucht“ hatte, und zog aus, den Irrtum mit der Wahrheit und nicht mit Irrtum zu bekämpfen. Hier sehen wir den Kampf versinnbildlicht, den der Glaube an eine neben Gott, dem Geiste, bestehende Macht herbeiführt. Diese sterbliche Vorstellung, dieser aus dem Reich Gottes Verbannte, nämlich der sterbliche Sinn, drängt sich stets vor und protestiert gegen das Gebot: „Höre, Israel, der Herr, unser Gott, ist ein einiger Herr.“ Aber wie sehr sich auch der Irrtum überhebt, wie laut auch seine Herausforderung ertönt, er ist bloß der Verfechter einer verlorenen Sache; denn vor der Macht und Allgewalt des Geistes wird er stets zum Schweigen gebracht.
Die Christlichen Wissenschafter müssen täglich und stündlich den mancherlei Einflüsterungen des Irrtums widerstehen. In dem Kampf sucht oft das Böse, das sich stets der Wahrheit widersetzt, durch stille und laute Einwände Disharmonie und Streit zu erregen, um dadurch eine Demonstration zu verhindern. Das sterbliche Gemüt mißt sogar dem Vertreter der Wahrheit gewisse Beweggründe bei, oder stellt seine Beweggründe in Frage. Anstatt dann auf die gleiche Art zu antworten, ist es gewiß viel besser, ruhig auf die innere Stimme zu horchen, welche flüstert: „Ist mir's nicht befohlen?“ [Nach der englischen Bibelübersetzung: „Gibt es denn keine Sache?“] Wer andachtsvoll und ernstlich danach trachtet, das, was sich dem Guten widersetzt, zu überwinden und zu vernichten, und wer sich weigert, auf, die Einwände des Bösen zu horchen, trägt ungemein viel zur Herstellung der Harmonie bei. Er folgt dem Beispiel Davids, indem er sich nicht auf nutzlose Streiterörterungen einläßt, dem Neid und dem Haß nicht mit ihren Waffen entgegentritt, sondern ruhig und demütig die Gerechtigkeit seiner Sache erkennt. Er trägt „den Harnisch Gottes“ und zieht mit dem festen Entschluß in den Streit, „mit dem universalen Lösungsmittel der Liebe das harte Gestein des Irrtums — Eigenwillen, Selbstgerechtigkeit und Eigenliebe auf [zu] lösen, welches gegen die Geistigkeit ankämpft,“ wie wir in Wissenschaft und Gesundheit lesen (S. 242). Diese wissenschaftliche, richtige Denkart tut keinen Schanden; sie kann nichts Gutes vernichten; sie verfolgt nicht den Zweck, „aufzulösen, sondern zu erfüllen;“ sie kann nur segnen und heilen.
Diese Macht und diese Demut war es, die dem Christentum seine Lebensfähigkeit gab. Sie befähigte Jesus bestimmt und für alle Zeiten zu beweisen, daß die Liebe den Haß vernichtet, daß die Wahrheit über den Irrtum siegt, und daß das Leben Herr ist über den Tod. Die gleiche Sanftmut und Demut, verbunden mit dem Bewußtsein, an einer gerechten Sache zu stehen, befähigte unsere Führerin, das christliche Heilen wiederum in der Welt einzuführen. Nur diese mentale Haltung, verbunden mit einer unauslöschlichen Erkenntnis der Allmacht Gottes und einer aufopfernden Hingabe an die Sache kann uns das erhalten, was Mrs. Eddy gegründet hat. Sie hat unsere Bewegung sorgfältig mit Ermahnung und Rat geschützt, damit uns die Reinheit ihrer Lehre erhalten bleibe. Es ist die Pflicht eines jeden Christlichen Wissenschafters, seine Sache zu beweisen. Ist eine größere oder gerechtere Sache denkbar als die der Christlichen Wissenschaft — eine Sache, die nicht niederzureißen sondern aufzubauen, nicht zu schaden sondern zu segnen, nicht zu vernichten sondern zu befestigen sucht? Diese Sache wurde gegründet, um die Allmacht Gottes zu beweisen, um die Fortdauer der Gesundheit, Harmonie und Heiligkeit sowie die Unwirklichkeit alles Gegensätzlichen zu demonstrieren. Für diejenigen, die mit heiligen Absichten und mit einem von dem Feuer der göttlichen Liebe erfüllten Bewußtsein in den Kampf ziehen, gibt es keine Niederlage, und sie brauchen sich daher nicht zu fürchten.
Sollten wir aber zuweilen des Kampfes müde sein und von Zweifel und Mutlosigkeit befallen werden, so gibt es für uns keine wirksamere Ermutigung als folgende herrlichen Worte aus „Miscellaneous Writings“ (S. 206): „Wenn ihr auf der Reise seid und euch bald nach Ruhe an den, frischen Wassern‘ sehnt, denkt über diese Liebeslehre nach. Lernt ihren Zweck; und da, wo sich die Herzen begegnen und gegenseitig gesegnet werden trinkt mit mir in Hoffnung und Liebe die lebendigen Wasser des Geistes meiner Lebensaufgabe, nämlich, der Menschheit die wahre Erkenntnis des praktischen, wirksamen Christentums zu bringen.“