Die Christliche Wissenschaft bringt den Menschen die Gotteserkenntnis, die das Böse vernichtet. Diese Erkenntnis beruht auf der absoluten Obergewalt des Gemüts und auf der Ewigkeit, Vollkommenheit und Unveränderlichkeit der göttlichen Schöpfung. Wenn das Licht geistiger Erkenntnis in dem menschlichen Bewußtsein aufdämmert, tritt eine Umwandlung ein. Böse Annahmen werden sowohl für den einzelnen wie für das ganze Menschengeschlecht zerstört. Gewöhnlich verschwinden die Irrtümer zuerst, die das menschliche Gemüt am deutlichsten als solche erkennt. Daher suchen die Menschen im allgemeinen zunächst von Krankheit geheilt zu werden, und zwar wegen der sie begleitenden Schmerzen und Ängste.
Je mehr der Mensch an Erkenntnis der geistigen Dinge zunimmt, desto deutlicher sieht er ein, wie falsch die allgemein geltenden Gedankensysteme sind, und das macht ihn bereit, sie aufzugeben, und begierig, sie loszuwerden. Die natürliche Folge hiervon ist, daß die unvollkommenen materialistischen Systeme der Medizin und der Theologie anfangen, zu zerfallen und zu zergehen, sobald sie dem Scheinwerfer der Wahrheit ausgesetzt werden, wie er durch das erleuchtete Denken der Anhänger der Wahrheit zur Anwendung kommt. Die göttliche Wissenschaft macht es uns deutlich, daß zwischen Materie und Geist, zwischen dem sterblichen Gemüt und dem göttlichen Gemüt keine Gemeinschaft sein kann. Gedankensysteme, deren Gemeinheit und materialistische Richtung offen zu Tage treten, werden von dem wachsamen Schüler der Metaphysik leicht als falsch erkannt; infolgedessen sind derartige Systeme heutzutage im Verschwinden begriffen. Ihre falschen Vorspiegelungen, daß sie imstande seien, zu beschützen, zu heilen, oder zu bestrafen, durchschaut man jetzt, und sie können diejenigen, die einen Schimmer von der geistigen Schöpfung erhascht haben, nicht mehr täuschen. Die Christlichen Wissenschafter sind im allgemeinen darauf bedacht, den Eingriffen dieser unvollkommenen Systeme entgegenzuwirken, seien es medizinische oder theologische Systeme. Sie fürchten sich nicht mehr vor denselben und lassen sich nicht mehr durch sie beeinflussen.
Kein Christlicher Wissenschafter bilde sich jedoch ein, daß das Böse dann sein Ende erreicht habe, wenn er dessen groben Formen nicht mehr zum Opfer fällt. Grobe Systeme locken grobe Gemüter in ihre Falle; aber das Böse oder die Schlange ist listig, „listiger denn alle Tiere auf dem Felde,“ wie es im dritten Kapitel des ersten Buchs Mose heißt. Nachdem es dem Bösen in seinen gröberen Formen, die in der Theologie, der Medizin, und dem Mystizismus zum Ausdruck kommen, nicht gelungen ist, den Menschen in der Knechtschaft des Sinnenwahns zu halten, versucht es sich selber dadurch vor vollständigem Untergang zu bewahren, daß es die Wahrheit so genau wie möglich nachahmt. Wenn nun der rege Metaphysiker nicht eine hinreichend klare Erkenntnis besitzt, um diese listige Nachahmung des Guten zu entdecken, so kann das Böse sein Werk der Zerstörung unbehindert fortsetzen, und zwar wird es dann am verderblichsten wirken, wenn der Schüler den neuen Betrug nicht entdeckt, oder wenn er sich gar verleiten läßt, die Fälschung für christlich-wissenschaftlich zu halten.
Paulus wies die ersten Christen darauf hin, daß sich der Satan als „Engel des Lichts“ verkleiden werde. Man kann die Gedankentätigkeit, vermöge deren Satan in einen Engel des Lichts verwandelt wird, leicht verfolgen. Sie geht von der Basis des sterblichen Gemüts aus und nimmt an, der Mensch sei ursprünglich sterblich, das sterbliche Gemüt könne aber durch einen Läuterungsvorgang so vergeistigt werden, daß es schließlich zum menschlichen Gemüt wird und die Güte des menschlichen Gemüts sich dann weiter entwickelt, bis aus dem sterblichen Menschen ein Übermensch wird. Mit anderen Worten, das sterbliche Gemüt nimmt an, der Mensch habe sich aus der Materie entwickelt und mache verschiedene Phasen der Läuterung durch, bis er Vollkommenheit erreicht hat. Dieser Annahme zufolge würde die Materialität an irgendeinem Punkte auf dem Wege des Fortschritts der geistigen Natur weichen. Aber noch keiner hat erklärt, wo dieser Sophisterei gemäß die Materialität aufhört und die geistige Natur anfängt, und man wird dies nie erklären können, weil es keinen einzigen Verständigungspunkt zwischen beiden gibt. Es handelt sich hier um die halb-metaphysischen Systeme, von denen unsere Führerin in „Wissenschaft und Geundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift“ sagt (S. 268): „Diese halb-metaphysischen Systeme sind samt und sonders pantheistisch und haben einen Anstrich vom Pandemonium, dem Haus, das mit sich selbst uneins ist.“
In diesen Systemen ist viel von Harmonie, von Frieden und von Gott die Rede; aber es gelten auch hier die Worte: „Friede! Friede! und ist doch nicht Friede.“ Irgendeine Lehre, die annimmt, aus der Materie und dem Bösen könne Gutes hervorgehen, oder Gott habe die Materie und das Böse geschaffen, um dadurch dem Zweck des Guten zu dienen, macht Gott zum Schöpfer des Bösen. Derartige Lehren können weder die Kranken heilen noch die Sünder bekehren, denn sie machen das, was unwirklich erscheinen sollte, zur Wirklichkeit. Nur wenn wir Geist als allmächtig und allgegenwärtig anerkennen und die Sterblichkeit völlig von Ihm trennen, können wir wissenschaftliches Heilen demonstrieren.
Wir wollen nun in Kürze die Behauptung prüfen, daß das sterbliche Gemüt geläutert werde, dann menschliches Gemüt heiße und schließlich Vollkommenheit erlange. Die Lüge spricht eine halbe Wahrheit aus, wenn sie behauptet, ein gutes menschliches Wesen sei besser als ein moralisch verkommener Sterblicher. Der Grund, warum der moralisch verkommene Sterbliche besser sei als früher, liege darin, daß das Gemüt geläutert worden sei, und da diese Läuterung stattgefunden habe, so könne sie auch auf unendliche Zeit weitergehen. Es ist dies jedoch eine falsche Folgerung, wie eine genauere Betrachtung dartun wird. Man denke an die ähnliche Beziehung der Finsternis zur Dämmerung und zum Licht. Ein jeder wird sofort zugeben, daß Dämmerung besser ist als Finsternis. Wäre es aber richtig zu sagen, Dämmerung sei geläuterte Finsternis? Finsternis ist eine Negation, sie bedeutet die Abwesenheit des Lichts. Die Dämmerung ist besser als die Finsternis, denn sie läßt ersehen, daß die Finsternis bis zu einem gewissen Grade vom Licht vertrieben worden ist. Keine Läuterung der Finsternis hat stattgefunden, sondern nur ihre teilweise Vernichtung. Wenn dann das helle Licht erscheint, ist die Finsternis vernichtet, nicht geläutert. Ein Philanthrop ist zweifellos besser als ein verkommener Verbrecher; aber der Grund hierfür liegt nicht darin, daß die Instinkte des Verbrechers veredelt worden sind, sondern darin, daß der Philanthrop bis zu einem gewissen Grade den alten Menschen mit seinen Werken ausgezogen und den neuen angezogen hat; mit anderen Worten, er hat sein Erbe als Kind Gottes angetreten. Paulus drückt dies deutlich mit den Worten aus: „So leget nun von euch ab nach dem vorigen Wandel den alten Menschen, der durch Lüste im Irrtum sich verderbet. ... Und ziehet den neuen Menschen an, der nach Gott geschaffen ist in rechtschaffener Gerechtigkeit und Heiligkeit.“
Man kann leicht den Einfluß verstehen, den falsche Vernunftgründe auf die Sterblichen haben. Dem sterblichen Gemüt gefällt es, wenn es anerkannt anstatt zerstört wird, und infolgedessen wird es anmaßend und selbstgefällig und erklärt, es habe die Christliche Wissenschaft, oder vielleicht sogar mehr als das, ohne aber zwischen Materie und Geist zu unterscheiden, wie es die Christliche Wissenschaft so ausdrücklich verlangt. Führt man diese Lehren auf ihren einfachen Wortlaut zurück, so erkennt man sie als die altbekannte Einflüsterung der Schlange: Esset von dem Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen, so werdet ihr „sein wie Gott und wissen, was gut und böse ist.“ Natürlich versagen all diese halb-metaphysischen Systeme in der Stunde der Not. Das, was auf Sterblichkeit beruht, kann niemals die Sterblichkeit überwinden. Solche Systeme müssen versagen, wie unsere Führerin in Wissenschaft und Gesundheit andeutet (S. 268), wenn sie sagt: „In diesem letzten Ringen um die Oberherrschaft gewähren die halb-metaphysischen Systeme der wissenschaftlichen Metaphysik keine wesentliche Hilfe, denn ihre Beweisführungen gründen sich sowohl auf das falsche Zeugnis der materiellen Sinne als auch auf die Tatsachen des Gemüts.“ Jedes System, das die scharfe Scheidelinie zwischen Materie und Geist undeutlich macht, verblendet und betört unausbleiblich alle, die von dieser verbotenen Frucht essen.
Hieraus geht deutlich hervor, wie notwendig es ist, daß alle metaphysischen Arbeiter stets auf der Hut sind und beständig neue Wahrheiten zur klaren Entfaltung bringen, damit sie jede Phase des Bösen, wie raffiniert dieselbe auch auftreten möge, zunichte machen können. Wir dürfen nicht Halt machen oder rückwärts gehen; beständiges Wachstum ist notwendig, um die kaleidoskopischen Veränderungen und Anschläge des Bösen entdecken und zerstören zu können. Jesus sagte: „Wer seine Hand an den Pflug legt und sieht zurück, der ist nicht geschickt zum Reich Gottes.“ Das Böse kann jedoch nicht auf unbegrenzte Zeit hinaus fortfahren, neue und täuschendere Nachahmungen des Guten herzustellen. Die Stunde naht, in der es schließlich die Grenzlinie zwischen Wahrheit und Irrtum berühren und völlig zerstört werden wird. Außerdem werden die Anschläge des Bösen für den Schüler der Christlichen Wissenschaft in dem Maße durchsichtig, wie sich ihnen die Wahrheit entfaltet; denn, wie es in Wissenschaft und Gesundheit heißt, „je mehr sich eine falsche Annahme der Wahrheit nähert, ohne die Grenze zu überschreiten, wo sie — nachdem sie von der göttlichen Liebe zerstört worden ist — aufhört, auch nur eine Illusion zu sein, desto mehr reift sie der Zerstörung entgegen“ (S. 97). Ein Schatten wird beim Nahen eines Lichtes länger und blasser, bis er schließlich ganz verschwindet. Daher sagt der Apostel Jakobus: „So seid nun Gott untertänig. Widerstehet dem Teufel, so flieht er von euch.“
Die Demonstration der Christlichen Wissenschaft beruht auf der absoluten Allgewalt des Geistes. Nur wenn wir uns ganz und gar auf Gott verlassen, sind wir vor den Angriffen des Bösen gesichert. Heutzutage mehr denn je haben wir einen klaren Einblick in die Wahrheit nötig, damit wir die trügerischen Vorspiegelungen des sterblichen Gemüts verwerfen und vernichten können. Minus kann niemals Plus, eine Verneinung kann niemals eine Bejahung werden. Finsternis bleibt Finsternis, sie verwandelt sich niemals in Licht. Das sterbliche, menschliche Gemüt ist „Chaos und schreckliche Nacht“ und wird niemals etwas anderes. Kein Haarspalten, kein mentales Manipulieren kann jemals dem sterblichen, menschlichen Gemüt über die „große Kluft“ verhelfen, die zwischen dem Nichts und dem Etwas, zwischen der Unwirklichkeit und der Wirklichkeit befestigt ist. Geist und alles Geistige ist wirklich und ewig. Wir können nur in dem Maße die Wahrheit erkennen, wir können nur in dem Maße das Böse vernichten, wie wir den geraden und schmalen Weg der geistigen Erleuchtung verfolgen.
