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Lesen und Studieren

Aus der April 1919-Ausgabe des Herolds der Christlichen Wissenschaft


Diejenigen, die schon recht viel von der Christlichen Wissenschaft verstehen, wollen im allgemeinen noch mehr von ihr wissen. Wer am erfolgreichsten die Wahrheit demonstriert hat, bestrebt sich meist am redlichsten, noch bessere Arbeit zu tun. Aber ehe wir Demonstrationen vollbringen können, müssen wir das nötige Verständnis haben, und die Vorbedingung zum Verständnis der Christlichen Wissenschaft ist das Studieren derselben. Das Studium, welches uns zum Fortschritt in der Christlichen Wissenschaft verhilft, erfordert keinen hohen Grad von intellektuellem Wissen oder von übernormaler geistiger Entwicklung. Wir brauchen keine Verstandesriesen zu sein wie Macaulay, der die längsten Gedichte nach einmaligem Lesen Wort für Wort aufsagen konnte und „Das verlorene Paradies“ und „Die Pilgerfahrt“ auswendig wußte.

Viele von uns treten an die Christliche Wissenschaft heran, ohne ans Studieren gewöhnt zu sein. Wir mögen die Vorteile einer gründlichen Erziehung nicht genossen haben, oder wir haben vielleicht frühere Gelegenheiten nicht benutzt, denken zu lernen, was ja bei aller Erziehung die Hauptsache ist. Vielleicht bestand unser Lesestoff in der pikanten Kost, die die Tageszeitung, die populäre Monatsschrift und der seichte Roman uns bietet und die gleich dem Schnaps des Gewohnheitstrinkers wohl anregen, aber nicht befriedigen kann. Nachdem wir erkannt haben, daß aufmerksames Studium zum beständigen Fortschritt in der Christlichen Wissenschaft notwendig ist, bedauern wir naturgemäß unser Unvermögen, aufmerksam zu lesen und sozusagen geistig auf unbekannten Wegen zu wandern. Es fällt uns schwer, die bestimmte Meilenzahl auf dem Wege zur Erkenntnis zurückzulegen, und wenn wir die leisen Vorschläge des Irrtums nicht energisch von uns weisen, kehren wir wohlmöglich zu unserem intellektuellem Schnapstrinken zurück, indem wir unser Lehrbuch gegen unsere uns einst so teuere Lektüre eintauschen, und wenden uns nur dann der Christlichen Wissenschaft zu, wenn uns der Irrtum so zusetzt, daß uns das Leben ungemütlich wird. Vielleicht wollen wir das Buch, das uns so vieles gegeben hat, nicht ganz und gar beiseite legen, und lesen daher pflichtgetreu täglich eine gewisse Anzahl Zeilen oder Abschnitte, damit wir eines Tages sagen können: „So, nun habe ich's doch von vorn bis hinten gelesen.“ Aber es bedeutet einen großen Unterschied im Resultat, ob man flüchtig oder aufmerksam liest. Ersteres mag ein oberflächliches Pflichtgefühl befriedigen, aber nur das letztere führt zu geistigem Wachstum.

Der Schüler, welcher liest, ohne das Gelesene zu studieren, mag wohl die Worte auf der Zunge haben, aber ihm entgeht der Geist derselben. Mrs. Eddy gibt uns in „Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift“ auf Seite 113 die Versicherung: „Das Lebenselement, das Herz und die Seele der Christlichen Wissenschaft ist die Liebe.“ Der Schüler obiger Art mag noch so sehr in der Christlichen Wissenschaft bewandert sein, gewandt zitieren können und immer ein eindrucksvolles Wort bereit haben, aber die Liebe, welche befreit, welches das harte Gestein des Irrtums löst und die richtige Idee von Gott verleiht, kennt er nicht.

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