Die ernsten Bestrebungen der Sterblichen, unter den Völkern der Erde einen dauernden Frieden aufzurichten, gründen sich größtenteils auf einen weltlichen Begriff vom Leben und seiner Kundwerdung, dem Weltall. Daher hat ein in dieser Weise angestrebter Friede günstigstenfalls nur eine unsichere Grundlage; denn nicht bloß ist alle Materialität nur eine zeitliche Erscheinung der Annahme, sondern auch alles, was auf dem Triebsand des sterblichen Daseins ruht, nimmt an der vergänglichen Natur der Materie teil. Paulus wußte, wovon er sprach. „Denn was sichtbar ist, das ist zeitlich; was aber unsichtbar ist, das ist ewig”, sagte er zu den Christen von Korinth; und der Friede muß, wenn er dauernd sein soll, nicht auf die Materie sondern auf den Geist gegründet sein; denn nur das Geistige ist von Dauer.
Christus Jesus legte ein wichtiges Zeugnis über das Wesen des dauernden Friedens ab. Mit den Worten: „Den Frieden lasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch. Nicht gebe ich euch, wie die Welt gibt”, sprach er von dem Frieden, der vom Vater kommt, dem Frieden der ewigen Harmonie, der von den eitlen Vorstellungen des sogenannten sterblichen Gemüts nicht unterbrochen wird. Dies ist nicht die Äußerung eines Materalisten sondern eines Menschen, der so geistig gesinnt war, daß er die Gesetze der Materie überwand, ihre Ohnmacht enthüllte und ihre Ansprüche auf Wirklichkeit und Macht vollständig vernichtete. Bei einer andern Gelegenheit, als er seine kleine Schar von Jüngern zu trösten versuchte, versicherte er sie des hohen Zwecks seiner Lehren. „Solches”, erklärte er, „habe ich mit euch geredet, daß ihr in mir Frieden habet”. Friede in der göttlichen Idee, der Friede, der dem geistigen Verständnis von Gott und Seinem Christus innewohnt, ist eben das Vorbild des dauernden Friedens, worauf Christus Jesus den Blick aller lenkte, die ihn als Wegweiser, Erlöser und Herrn annehmen wollten.
Wie folgerichtig sind also in dieser Hinsicht die Bestrebungen der Nachfolger Jesu, der christlichen Idealisten, den Frieden in der Welt aufzurichten durch die Einigkeit der geistig Gesinnten aller Nationalitäten, ohne Rücksicht auf Rasse, Farbe oder religiöse Zugehörigkeit,— aller, die es unternehmen, die geistigen kräfte des Weltalls durch die Anbetung des Höchsten Wesens anzurufen! Die Christlichen Wissenschafter bewillkommnen solche Bestrebungen, die bestimmt auf den neuen Tag des Wohlwollens und des gegenseitigen Verstehens hinweisen,— den Tag, der das Kommen des Reiches Christi auf Erden verheißt. Sie erkennen jedoch, daß die Verchristlichung des einzelnen Bewußtseins die einzige sichere Grundlage des dauernden Friedens ist; denn nur dadurch kann die Welt von den Ursachen des Streits — Haß, Neid, Habgier und Selbstgerechtigkeit — befreit werden. Wenn die Ursachen des Streits aus dem menschlichen Denken ausgerottet sind, wird der Friede dauernd, weil gerecht, werden. Über die Neigung der Sterblichen, sich dem Streit hinzugeben, schreibt Mrs. Eddy in „Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift” (S. 96): „Schon heute wird diese materielle Welt zum Kampfplatz widerstreitender Gewalten. Auf der einen Seite wird Disharmonie und Schrecken sein, auf der andern Wissenschaft und Friede”; und sie sagt die Fortdauer des Streits „bis zum Ende des Irrtums ..., bis alle Disharmonie in geistiger Wahrheit verschlungen sein wird”, voraus.
Die Christlichen Wissenschafter sind die überzeugungstreuesten Friedensstifter; denn sie arbeiten beständig und unmittelbar an der Beseitigung der Streitursachen, jeder Eigenschaft des fleischlichen Gemüts, das „Feindschaft wider Gott” ist. Das vergeistigte Denken hegt keinen Haß und keine Selbstsucht, sondern es wird, da es von dem Christus, der Wahrheit, durchdrungen ist, ein wirksames Mittel zur Förderung des Friedens, den Christus Jesus seinen Jüngern verhieß. „Friede auf Erden”, der das „Wohlwollen gegen die Menschen” (engl. Bibel) in sich schließt, ist nur Verbildlichung und Sinnbild des wahren Friedens. Er ist das äußere Zeichen des verbesserten Denkens, das anzeigt, daß der Christus in das menschliche Bewußtsein gekommen ist.
Dem Frieden wird also nur durch das Fördern des Wohlwollens, das das Kommen Christi Jesu voraussagte, gedient. In dem Maße, wie die göttliche Liebe den Haß umwandelt, wie das Böse der Entfaltung der Wahrheit weicht, werden die Reiche dieser Welt vor dem Reich unseres Herrn verschwinden, und das gegenseitige Gute wird an Stelle des Bösen im Denken der Menschen treten. Liebe und Haß können nicht gleichzeitig dasselbe Gedankenfeld behaupten. Das Böse kann nie der Allmacht des Guten standhalten. Wenn die Unwahrheit der Wahrheit weicht, regiert der Friede als der ursprüngliche Zustand des göttlichen Gemüts, in das die Saat des Streits nie gepflanzt worden ist. Bei diesem wissenschaftlichen Gewinnen des Friedens wird alles Böse aus dem Bewußtsein ausgerottet; denn auf diese Art werden die Ursachen aller Widerwärtigkeiten, die die menschliche Erfahrung bedrängen, beseitigt. Frieden stiften und Erlösung gewinnen sind ein und derselbe Vorgang. Beide sind das Ergebnis der Zerstörung der Sünde. Dieser Gedanke veranlaßte den Dichter, zu schreiben:
„Friede, das Pfand der Erlösung,
Friede, die Frucht der Zerstörung der Sünde”.
Ist die Sünde besiegt, so ist sie zerstört, und sie verursacht unter den Menschen keine Uneinigkeit mehr. Der Friede ist wahrlich das Unterpfand sowohl der Erlösung als auch der Gerechtigkeit.