Durch die ganze Bibel hindurch zieht sich ein goldener Faden, der Lohn mit Gerechtigkeit in Zusammenhang bringt. Die Menschen haben diesen Glanz gesehen und sich immer gesehnt, ihn so zu erfassen, daß sich seine Verheißung in ihrem Leben als wahr erweisen möchte. Die Forscher in der Heiligen Schrift haben allgemein geglaubt, daß Gehorsam gegen Gottes Gerechtigkeitsgesetz immer Segen bringen sollte. Gleichzeitig hat es ihnen aber oft Schwierigkeit bereitet, ihre eigene Erfahrung damit in Einklang zu bringen. Mochten sie auch so gerecht leben, wie sie es für möglich hielten, den ersehnten Lohn haben sie dennoch nicht immer erlangt, wenn es überhaupt einen Lahn zu geben schien!
Es bedarf keines sehr tiefen Denkens, um mehrere Gründe zu erkennen, warum diese Enttäuschung eintrat. Der sehr bekannte Grund, zuerst an den Lohn zu denken, wird heute zu klar als ganz selbstsüchtig erkannt, als daß er den demütigen Christen bei seinem aufrichtigen Streben nach Gerechtigkeit sehr lang täuschen könnte. Doch über das genaue Wesen der wahren Gerechtigkeit hat es auch viel Mißverständnis gegeben. Ehe die Christliche Wissenschaft geoffenbart wurde, waren die Augen der Menschen gegen die in der ganzen Bibel gelehrte Wahrheit größtenteils blind,— gegen die Wahrheit, daß es außer der Gerechtigkeit, die von Gott ist, keine wahre Gerechtigkeit gibt. Indem die Menschen vom Selbst statt von Gott ausgingen, haben sie die Worte des Paulus erfüllt: „Denn sie erkennen die Gerechtigkeit nicht, die vor Gott gilt, und trachten, ihre eigene Gerechtigkeit aufzurichten, und sind also der Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, nicht untertan”.
Mit Freuden erwacht der Christliche Wissenschafter zu der glorreichen Wahrheit, daß Gottes Gerechtigkeit die einzige Gerechtigkeit ist, die es gibt. Unverzüglich beginnt ihn diese Erkenntnis von jedem Gefühl der Unsicherheit über das, was gerecht oder ungerecht ist, freizumachen. Indem die ihn von der Annahme befreit, daß Gerechtigkeit etwas ist, was er sich selbst schaffen muß, beginnt der Anspruch der falschen Verantwortlichkeit von ihm abzufallen, und er kann sich von ganzem Herzen an Gott wenden, um das richtige und vollkommene Verständnis des Rechten zu finden, das immer bestanden hat, und mit dem er als das Kind Gottes immer verbunden war.
Hier ist der „Schirm des Höchsten”, unter dem er ganz ungestört sitzen kann, was das Murren und Knurren des Irrtums, was dessen Urteile und falsche Urteile auch seien. Solange er nur jene Gerechtigkeit, die von Gott ist, im Denken bewahrt und zum Ausdruck bringt, ist er frei von den Ansprüchen der Eigenliebe und der Selbstrechtfertigung, den unausbleiblichen Begleitern der Selbstgerechtigkeit. Daher kann er ganz unerschütterlich feststehen, wie verzweifelt er anscheinend auch angegriffen werden möge. Ist er von der Schutzwehr der unüberwindlichen Wahrheit, daß es keine Gerechtigkeit außer der Gerechtigkeit Gottes gibt, umgeben, so können ihn Eifersucht und Haß nicht treffen. Er wird verstehen, daß Gottes Gerechtigkeit ebensowenig angegriffen oder besiegt werden kann wie Gott selbst. Er muß daher unbedingt geborgen sein, wenn er unentwegt innerhalb dieser unüberwindlichen Schutzwehr bleibt.
Es braucht nicht gesagt zu werden, daß der Christliche Wissenschafter manchen Kampf ausfechten, manchen Sieg erringen muß, ehe er jenes Verständnis von der vollkommenen Einheit mit der Gerechtigkeit Gottes, die Jesus so erstaunlich veranschaulichte, erlangen kann. Doch dies ist sein Ziel, und nichts kann das ehrliche Herz hindern, unentwegt vorzudringen, bis es die aufrichtig ersehnte Höhe dieses Ziels erreicht hat. Während der Christliche Wissenschafter beständig sein Denken von jedem Glauben an eine von Gott getrennte Gerechtigkeit reinigt,— von jedem Glauben an persönliche Kraft, die aus sich selbst etwas sein oder tun kann —, muß er gerade so unerschütterlich wissen, daß ihm der Lohn der Gesundheit und Heiligkeit durch Widerspiegelung hier und jetzt zuteil wird, wie er wissen muß, daß Gott stets alle Gerechtigkeit in sich schließt. Es ist ebensosehr ein Leugnen der Allmacht und Allgegenwart Gottes, wenn wir an den Tatsachen der Allgegenwärtigkeit des Guten nicht festhalten, wie wenn wir die Wahrheit leugnen, daß Er ihre einzige und alleinige Quelle ist.
Es hat oft den Anschein, als ob wir eine ziemlich lange Zeit brauchten, um uns dies vollkommen zu eigen zu machen, besonders wenn wir vielleicht inmitten dieses Bestrebens entdecken, daß es uns nicht gelungen ist, in unserem Denken den Glauben zu zerstören, daß wir wegen des irrigen Denkens und der falschen Absichten anderer leiden können. Auch hier müssen wir uns zu jenen Höhen des unpersönlichen Guten erheben, wo jedes Gefühl von falscher Selbstheit in dem Verständnis von des Menschen vollkommener Einheit mit der unendlichen Vollkommenheit verschlungen wird. In „Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift” (S. 385) schreibt unsere geliebte Führerin: „Laßt uns eingedenk sein, daß das ewige Gesetz des Rechten, obgleich es das Gesetz, das die Sünde zu ihrem eigenen Strafvollstrecker macht, niemals aufheben kann, den Menschen mit allen Strafen verschont, ausgenommen diejenigen, die dem Unrechttun gebühren”.
Laßt uns daher alle mit dankbarer Freude beständig vordringen, hungernd und dürstend nach jener göttlichen Gerechtigkeit, die nie von dem Lohn, den Gottes eigenes Gesetz daran knüpft, getrennt werden kann. Wiederum schreibt unsere Führerin (desgl. S. 203): „In der Wissenschaft des Christentums besitzt Gemüt — die Allmacht — Allgewalt, erkennt der Rechtschaffenheit ihren sichern Lohn zu und zeigt, daß die Materie weder heilen noch krank machen, weder schaffen noch zerstören kann”. Und Jesaja erklärt: „Der Gerechtigkeit Frucht wird Friede sein, und der Gerechtigkeit Nutzen wird ewige Stille und Sicherheit sein”.
