Daß die Christliche Wissenschaft durchaus logisch ist, kann kein nachdenkender Schüler leugnen; doch mögen wir die Logik der Christlichen Wissenschaft auch noch so sehr anerkennen und schätzen, wir lernen, wenn wir vor einer schweren menschlichen Aufgabe stehen, bald einsehen, daß zur Lösung etwas mehr als bloße Logik erforderlich ist. Die „Weisen und Klugen” können die Folgerichtigkeit erkennen; aber die wirkliche Triebkraft des Beweisens wird nicht ihnen, sondern „den Unmündigen” offenbar — dem lauteren, rechtschaffenen, vertrauenden Denken. Das so geartete Denken erkennt die Wahrheit nicht nur, sondern verläßt sich auch ruhig und natürlich auf sie. Und diese Denkart ist es, die bei der Lösung menschlicher Aufgaben, wie sie in der Christlichen Wissenschaft behandelt werden, geistige Kraft widerspiegelt.
Es fällt dem Christen nicht schwer, zuzugeben, daß Gott, das Gute, die große und einzige Ursache ist; aber den unvermeidlichen Schluß ziehen, daß infolgedessen die einzig mögliche Wirkung wie ihre Ursache gut sein muß, scheint schwieriger. Und in der Christlichen Wissenschaft wird mehr als dieses Zugeben gefordert. Das Anerkennen oder Annehmen der Wahrheit muß freiwillig sein und einer ruhigen Überzeugung von ihrer Wirklichkeit und Wesenhaftigkeit gleichkommen. Diese feste Überzeugung oder Zustimmung befähigte Jesus bei mehr als einer Gelegenheit, Gott für den Beweis zu danken, ehe er in Erscheinung trat.
Das durch Unwissenheit über Gott, den Geist, begrenzte menschliche sogenannte Gemüt vertraut auf die Materie und ihre Scheinkundwerdungen. Es ist dazu erzogen worden, das Gute durch gewisse materielle Kanäle zu erwarten. Es erwartet Glück durch materiellen Besitz und materielle Verbindungen, Gesundheit durch leibliche Zustände und Versorgung durch Beruf oder Anstellung. Die Folge ist die Befürchtung, es könnten einer oder mehrere dieser Kanäle versagen und dadurch Elend, Krankheit und Armut entstehen. Nur ein bleibender Glaube an die Immergegenwart des Guten kann über diese endlichen Formen oder materiellen Kanäle hinaussehen und das geistig Gute als die gegenwärtige Tatsache erkennen. Ein solcher Glaube zerteilt den Schleier oder Nebel der Materialität, komme sie körperlich, wirtschaftlich oder in materiellen Umständen zum Ausdruck, und nimmt die geistige Tatsache wahr gerade wo und während der sogenannte fleischliche Sinn die unwirkliche Bekundung der endlichen Auffassung mit ihren Begrenzungen und Fehlschlägen sieht.
Mit diesem Glauben ausgerüstet warten wir nicht müßig darauf, daß die vermeintlichen Bekundungen des fleischlichen Sinnes verschwinden, ehe wir die geistige Tatsache erkennen und uns zu eigen machen; sondern wir verneinen oder verwerfen, wo wir stehen, das Argument des fleischlichen Sinnes durch das Gebet der Behauptung oder das Wissen der Wahrheit über den Zustand und werden die geistige Wirklichkeit gewahr. Die Umgestaltung wird also einzig und allein durch Erneuerung unseres Sinnes bewirkt. Da jahrtausendelange Erziehung das Materielle natürlich oder wirklich erscheinen läßt, scheint es uns so, wenn wir nicht an Stelle dieser falschen Erziehung die wahre Erziehung oder das geistige Verständnis setzen. Mrs. Eddy bringt dies auf Seite 428 des christlich-wissenschaftlichen Lehrbuchs „Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift” zum Ausdruck, wo sie schreibt: „Den Gedanken falscher Stützen und des materiellen Augenscheins zu entkleiden, damit die geistigen Tatsachen des Seins erscheinen können — das ist die große Errungenschaft, durch die wir das Falsche wegfegen und dem Wahren Raum geben werden”.
Es ist belanglos, wie hoffnungslos die Mittel und Wege, durch die wir das Gute empfangen oder erwartet haben, aussehen mögen. Ja, gerade die Hoffnungslosigkeit materieller Mittel zwingt einen oft, sich dem Geistigen zuzuwenden. So lang es den Anschein hat, als habe der sterbliche Sinn eine Stütze, auf die er sich verlassen könne, pflegt er darauf zu vertrauen und versucht, von zwei Standpunkten aus zu arbeiten. Solange wir Vertrauen in die Materie haben, gleichen wir dem Reich, das mit sich selbst uneins wird, und müssen daher unterliegen. Verlaß auf das Materielle verrät Mangel an Verständnis und Zweifel am Geistigen. Christus Jesus sagte: „Wenn dein Auge einfältig ist, so wird dein ganzer Leib licht sein”.
Mose sah sich am Roten Meer in eine Lage versetzt, die der menschliche Sinn hoffnungslos nennen würde; aber sein Glaube oder sein geistiges Verständnis ließ nicht zu, daß ihn der Glaube an die Hoffnungslosigkeit der Aufgabe bestrickte. Die Wahrheit war, daß er geistig mit Gott eins war, was ihn unbedingt vom Bösen oder von Gefahr befreite. Da Mose diese Wahrheit annahm und ihr voll vertraute,— das göttliche Gemüt widerspiegelte — wußte er, daß es einen Ausweg gab; und dieses Anerkennen der Wahrheit des Seins offenbarte ihm den Ausweg.
Im Lichte dieser Erfahrung ist es offensichtlich, daß unsere verehrte Führerin den wahren Weg weist, wenn sie auf Seite 254 in Wissenschaft und Gesundheit erklärt: „Das menschliche Selbst muß mit dem Geist des Evangeliums erfüllt werden. Gott fordert von uns, daß wir heute diese Aufgabe mit Liebe auf uns nehmen, das Materielle so schnell wie tunlich aufgeben und das Geistige ausarbeiten, das für das Äußere und Tatsächliche bestimmend ist”. Jede Aufgabe muß daher auf geistigem Gebiet oder im Denken gelöst werden. Sogenannte materielle Zustände, Umstände oder Personen kommen bei der Lösung nicht in Betracht, obgleich der materielle Sinn nachdrücklich darauf zu bestehen sucht.
Die Arbeit, Gott verstehen zu lernen, erfordert „absolute Hingabe der Gedanken, der Energie und des Verlangens” (in dems. Buche, S. 3) und muß fortgesetzt werden, bis man einen Glauben erlangt hat, der fester Überzeugung gleichkommt; andernfalls ist menschliche Logik, so fehlerlos sie auch sei, fruchtlos. Aber bei einem solchen Glauben kann es für das Beweisen keine Grenze geben. „Also soll das Wort, so aus meinem Munde geht, auch sein. Es soll nicht wieder zu mir leer kommen, sondern tun, was mir gefällt, und soll ihm gelingen, dazu ich’s sende”.
