In der Stille beten, Gottes heilige Gegenwart fühlen, in Seiner unwandelbaren Liebe sich beschützt und geborgen wissen, allen Schmerz und alle Sorgen in Seine Güte und Barmherzigkeit versenken, erleichterten, dankerfüllten Herzens ein Loblied Seiner Herrlichkeit und Macht, Seiner Güte und Liebe singen und in Seinem Bild und Gleichnis erwachen,— könnte es etwas Höheres, Beseligenderes geben?
Alle Sehnsucht der Menschen läßt im Grunde nur das tiefe Verlangen erkennen, in die Ewigkeit der allumfassenden Harmonie einzugehen; denn das ist Glück, Vollkommenheit, wahres Sein. Die Menschen erleben aber diesen unsterblichen Frieden nicht durch Erweitern ihres Zeitbegriffes, ihrer irdischen Zeitbegriffe, sondern dadurch, daß sie sie aufgeben. Denn in wahrer, geistiger Stille bleibt nur das, was göttlich, rein, wahr und dauernd ist. In der Gegenwart der göttlichen Liebe vergeht das sterbliche Denken wie die Finsternis vor dem Licht.
Die Heilige Schrift ist reich an Beispielen von Menschen, die die Einsamkeit suchten und dort die Kraft und Stärke fanden, sich über die stürmischen Wogen des sterblichen Gemüts zu erheben und die Welt zu überwinden. Wir lesen, daß Daniel dreimal am Tage in die Stille ging, um den Schutz und die Weisheit des göttlichen Gemüts zu erflehen und Gott zu danken. Die Bibel enthält auch viele Berichte, wie Jesus die Einsamkeit wahrer Stille aufsuchte, um durch Vergegenwärtigung seiner Einheit mit Gott die Kraft zu gewinnen, seine Sendung zu erfüllen und den Sieg des Geistes zu erringen.
Auch Mrs. Eddy hätte ihre Sendung als Entdeckerin und Gründerin der Christlichen Wissenschaft nicht erfüllen können, wenn sie sich nicht oft und mit tiefem Verlangen zurückgezogen hätte, um in heiliger Stille die Führung und Offenbarung der göttlichen Liebe zu suchen und zu erleben. Ja, wir können im Leben jedes wahrhaft frommen Menschen beobachten, daß göttliche Tatkraft immer mit einem starken Bedürfnis nach Stille verbunden ist.
Und wie unerläßlich es auch für uns ist, in der Stille zu beten, um unsere irdischen Erlebnisse harmonischer gestalten zu können! Mrs. Eddy schreibt in „Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift” (S. 261): „Halte den Gedanken beständig auf das Dauernde, das Gute und das Wahre gerichtet”. Und sie fährt fort: „Dann wirst du das Dauernde, das Gute und das Wahre in dem Verhältnis erleben, wie es deine Gedanken beschäftigt”.
Warum fürchten so viele Menschen die Stille? Für viele bedeutet sie eine Leere, ein Gefühl öder Einsamkeit, ein Gefühl geistiger Armut oder ein ermüdendes Umherschweifen sterblicher Gedanken. Ihr nur auf sinnliche Eindrücke, vergängliches Besitzen und Tun gerichtetes Verlangen ist unempfänglich für die herrlichen geistigen Ideen, die denen erscheinen, die beginnen, im Geiste zu leben. Sie sind einsam, weil sie die beseligende Gegenwart der göttlichen Liebe noch nicht kennen; sie sind arm, weil sie sich noch nicht der Tätigkeit göttlicher Gedanken erfreuen. Wieder andere fürchten die Stille und Einsamkeit, weil sich dann das sterbliche Gemüt in seiner wahren, unruhigen, rastlosen und zerstörenden Art zeigt, so daß sie sich lieber in den Strudel aufsehenerregender, betäubender weltlicher Erlebnisse stürzen.
Die Trägheit und die Stumpfheit des sterblichen Sinnes tragen auch zu der Abneigung der Menschen bei, sich geistigem Betrachten hinzugeben, um aus der Tiefe und dem Reichtum der Gedanken Gottes schöpfen zu können. Sie veranlassen sie, mit dem breiten Strome menschlicher Meinungen zu treiben und zu verfehlen, den festen Grund geistiger Wahrheit zu finden.
Laßt uns die Leere, die Lüge, die Täuschung des sterblichen Sinnes durchschauen und oft in der Stille beten. In geistigem Einssein wachsen wir. Durch ernstes Sehnen nach wahrer Freiheit streben wir aufwärts wie die Bäume des stillen Waldes nach dem Sonnenlicht; und durch dieses göttliche Streben erheben wir uns — oft unbemerkbar —über die Sinnenwelt und atmen die reine Luft geistiger Wirklichkeit. Demütig legen wir alle unsere Sorgen, unser Leid, unsere Furcht zu Füßen der göttlichen Liebe nieder; und je mehr wir niederlegen, desto mehr empfangen wir aus der Fülle Seiner Gnade.
So tritt an Stelle von Furcht ein Geborgensein in unserem Vater-Mutter-Gott, an Stelle von Lust und Schmerz in der Materie das Verständnis, daß das Leben der Geist, unwandelbare Harmonie, ist; an Stelle von Lüge, Groll und Ungerechtigkeit die befreiende Erkenntnis Seiner stets wirkenden Gerechtigkeit und alles durchdringenden Wahrheit; an Stelle von Mangel und Begrenzung Vertrauen auf das Prinzip und die Fülle des unerschöpflichen göttlichen Gemüts, an Stelle von Einsamkeit, Neid und Unzufriedenheit die Allgenüge Seiner Güte, Sein Friede, und an Stelle des persönlichen Sinnes eine überströmende Liebe, die Gott und alle Seine Kinder einschließt und nichts anderes begehrt als zu segnen, zu loben und zu danken. Welch größeren Reichtum, welch tiefere, dauerndere Freude können wir begehren als uns in stiller Gemeinschaft mit der göttlichen Wahrheit der Seele zu nähern! Alle irdischen Freuden, die uns davon abhalten wollen, bringen infolge ihrer Unzulänglichkeit schließlich nur Enttäuschung. Sie bringen auch so lang Schmerz, bis alles sterbliche Begehren vor dem Verständnis der Seele in Vergessenheit versinkt.
Um in das Allerheiligste, in die Gemeinschaft mit Gott, der Liebe, einzugehen, müssen wir die Stürme und Einflüsterungen des materiellen Sinnes zum Schweigen bringen. Wir müssen die Tür unseres Bewußtseins dem materiellen Sinn verschließen und den Engeln, wahren Gedanken, weit öffnen. Wir müssen den Engelstimmen lauschen,— den reinen, heilenden, vergebenden, beglückenden Botschaften der Liebe. Mrs. Eddy schreibt auf Seite 306 in „Miscellaneous Writings”: „Wenn uns Engel besuchen, hören wir kein Flügelrauschen, noch fühlen wir die weichgefiederte Brust einer Taube, sondern wir erkennen ihre Gegenwart an der Liebe, die sie in unserem Herzen wecken. O möget ihr diese Berührung fühlen,— es ist kein Händedruck, auch nicht die Gegenwart eines geliebten Menschen; es ist mehr als dies: es ist eine geistige Idee, die euren Pfad erleuchtet!”
Mögen die irdischen Stürme noch so wild toben und Nacht und Verzweiflung uns zu überwältigen drohen, wir können und müssen uns in der bewußten Stärke des Geistes, Gottes, zu der Erkenntnis Seiner Allgegenwart und Allmacht erheben und den trügerischen Wogen des sterblichen Sinnes gebieten: „Schweig und verstumme!” Und dann lasset diese friedliche Stille von Jubelund Lobgesängen ertönen; denn Gott ist die Allmacht in Ewigkeit.
