„Meine lieben Brüder, achtet es für eitel Freude, wenn ihr in mancherlei Anfechtungen fallet, und wisset, daß euer Glaube, wenn er rechtschaffen ist, Geduld wirket. Die Geduld aber soll festbleiben bis ans Ende, auf daß ihr seid vollkommen und ganz und keinen Mangel habet”, lesen wir im Briefe des Jakobus.
Die Worte: „Die Geduld aber soll festbleiben bis ans Ende” stimmen nicht mit dem falschen Begriff von Geduld überein, der mehr den Gedanken eines wehmütigen Ertragens von Unrecht und Mißgeschick als den Gedanken der Arbeit in sich schließt. Für den, der noch nicht in der Lehre der Christlichen Wissenschaft unterwiesen ist, mag Geduld ein Warten in Ruhe und Gleichmut bedeuten, während man Schmerzen, Krankheit und Kummer leidet, also ein untätiges Sichfügen in das Unvermeidliche.
Ein solcher Begriff von Geduld mag auf die materielle Daseinsannahme zutreffen, und überlegenen Kräften widerstandslos nachgeben, mag als heilsame menschliche Lebensweisheit angesehen werden; aber es ist nicht Christliche Wissenschaft.
Diese Wissenschaft lehrt ihre Anhänger, jedes Joch der Unterdrückung mit der Kraft der Wahrheit abzuwerfen. Sie befürwortet nicht Unterwürfigkeit unter etwas, was nach menschlicher Annahme nicht zu vermeiden oder zu überwinden ist, sondern schärft wissenschaftliches Überwinden des Irrtums jeder Art ein. Sie lehrt, daß das Geburtsrecht der Kinder Gottes — die nicht materiell sondern geistig, nicht unharmonisch sondern vollkommen, nicht kränklich sondern gesund sind — nicht Unterwürfigkeit sondern Herrschaft ist, und daß sie „Gottes Erben und Miterben Christi” sind. Die Sprößlinge der Liebe, die Gottes Macht widerspiegeln und durch Sein Gesetz regiert werden, stehen unter der Führung und dem Schutz der göttlichen Wahrheit und Liebe. Sie haben keine Feinde, die sie bekämpfen müssen, weil sie nur Gott und Seine unendliche Güte kennen. Daher steht es nicht im Einklang mit der göttlichen Wissenschaft zu glauben, daß ein Kind Gottes leide oder Trübsal erdulde.
Diese wissenschaftlichen Tatsachen über Gottes Kinder, deren Dasein unbedingt vollkommen ist, sind wahr. Durch die Lehren der Christlichen Wissenschaft lernen die Sterblichen jedoch verstehen, daß diese Erkenntnis Gottes und des Menschen die wirksame Waffe in ihrem Kampfe gegen Sterblichkeit und deren Leiden ist. Beständiges Erklären und Festhalten dieser Wahrheiten befähigt den Schüler, sie in seinen täglichen Erfahrungen zu verwirklichen; denn das Verneinen des Irrtums und das Bejahen der Wahrheit zerreißt den Schleier des Sinnes und bringt die zugrundeliegende Wirklichkeit zum Vorschein. Hat einer mit einer der Annahmen Krankheit, Armut, Sünde und Freudlosigkeit gerungen, so findet er, daß die Last in dem Verhältnis leichter wird und verschwindet, wie er Lichtblicke der Wirklichkeit erlangt und festhält.
Daher ist blinde Ergebung in ein Dasein des Leidens nicht die Gemütsverfassung des wachsamen Christlichen Wissenschafters. Er weiß, daß Geduld „auch eine tätige Kraft haben kann, die stetes Handeln ohne zu klagen bedeutet”, wie wir in einem Wörterbuche lesen, und er beansprucht Herrschaft als des Menschen Erbe, indem er alle Sünde, Krankheit und Disharmonie durch die Macht des Gemüts zurückweist und überwindet. Das heißt in „Geduld festbleiben bis ans Ende” oder entschlossen darauf hinarbeiten, seine göttlichen Rechte als Kind Gottes zu wahren. Wahrlich, wir sollten die in Geduld inbegriffene wissenschaftliche Tätigkeit erkennen.
Mrs. Eddy beschreibt Jesu Verfahren, Krankheit und Sünde zu heilen, wie folgt (Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift, S. 476, 477): „Jesus sah in der Wissenschaft den vollkommenen Menschen, der ihm da erschien, wo den Sterblichen der sündige, sterbliche Mensch erscheint. In diesem vollkommenen Menschen sah der Heiland Gottes eigenes Gleichnis, und diese korrekte Anschauung vom Menschen heilte die Kranken”. Mehr als sonst jemand entwickelte der Meister die ihm innewohnende Fähigkeit, geistig zu sehen, und fest entschlossen machte er von dieser Fähigkeit Gebrauch, da er wußte, daß nichts sie ihm rauben konnte. Seine wunderbare Geduld oder seine Fähigkeit, an seiner Erkenntnis der Wahrheit trotz aller Einflüsterungen des sterblichen Gemüts selbst bei der Kreuzigung festzuhalten, bewirkte die erhabene Errungenschaft seines Lebens.
Auch unsere geliebte Führerin verdient die ewige Dankbarkeit der Welt dafür, daß sie unter dem Druck von Haß, Widerstand und Hohn während der ganzen Zeit der Gründung der christlich-wissenschaftlichen Bewegung, die die Erwägung und Lösung vieler Probleme in sich schloß, standhaft an der Wahrheit festhielt.
Der Schüler, der heute die Christliche Wissenschaft ausübt, erkennt die Notwendigkeit der Geduld oder der Fähigkeit, sich trotz allem gegenteiligen Augenschein sein Erschauen des vollkommenen Gottes, des vollkommenen Menschen und des vollkommenen Weltalls zu bewahren. Wenn er selber mit einer lang anhaltenden Schwierigkeit kämpft oder für jemand anders arbeitet, dessen Schwierigkeit nicht weichen will, darf er keiner Einflüsterung von Mißerfolg, Zweifel, Unfähigkeit oder Entmutigung Gehör schenken. Geduld erlaubt ihm nicht, in seinem Kampf zu erschlaffen, sondern spornt ihn an, seine Anstrengungen zu verdoppeln. Nichts kann der Macht der allmächtigen Wahrheit widerstehen. Der Irrtum ist nichts Dauerndes, sondern nur eine Einflüsterung, die die Erkenntnis und den Beweis der Allmacht Gottes vorübergehend zu verbergen scheint.
Geduld ist eine widergespiegelte Eigenschaft Gottes, der Universalquelle, aus der für alle Gutes fließt. Obgleich wir diese Eigenschaft aus den Augen verloren und zugelassen haben mögen, daß der Irrtum unser Denken vorübergehend trübt, können wir ihrer doch nicht dauernd beraubt werden, da sie dem wirklichen Menschen innewohnt und er sie in unendlicher Fülle von Gott empfängt. Geduld ist eine positive, den Irrtum vernichtende Eigenschaft. Sie befähigt den Schüler, standhaft an der Wahrheit festzuhalten, bis die Beseitigung des unharmonischen Zustandes erreicht ist. Sie stattet ihn mit dem festen Entschluß und der Fähigkeit aus, auf seiner Erkenntnis der Wirklichkeit allem gegenteiligen Augenschein zum Trotz zu bestehen, bis sich die geistige Tatsache in Harmonie bekundet. Dies ist Beweis in der Christlichen Wissenschaft, und nur durch Beweis werden Sünde, Krankheit und Tod überwunden. Wir geben den materiellen Begriff vom Weltall und von der Sterblichkeit des Menschen auf, wenn wir das geistige Weltall und den vollkommenen Menschen sehen, und auf diese Art erlangen wir die ewige Harmonie. So bleibt Geduld „fest bis ans Ende”.