In einem bildlichen Ausdruck sprach Christus Jesus von „dem Brot, das vom Himmel kommt”. Dieser Ausdruck ist mit unbedeutenden Abweichungen im 6. Kapitel des Evangeliums des Johannes mehrmals gebraucht. Da es des Meisters Lebenszweck war, den Menschen durch Lehre und Praxis zu zeigen, wie sie geistiger leben können, sollten seine bildlichen Ausdrücke das menschliche Denken zu größerer Geistigkeit erwecken. So sollten wir sie ansehen. Hält man das Sinnbild für Substanz, so übersieht man leicht des Meisters Absicht. Bei solchem mentalen Verhalten verliert man fast unvermeidlich die geistige Bedeutung der Bibel aus den Augen. Der Wunsch, die Bedeutung des Sinnbildes zu verstehen, ist berechtigt. Das wahre Verfahren besteht darin, daß man geistiger gesinnt wird, wozu einen die Christliche Wissenschaft befähigt, nicht darin, daß man sich an das Sinnbild klammert und erwartet, dadurch geistiger zu werden.
Es könnten viele Fälle angeführt werden, wo ungenügend erleuchtetes Denken diese letztgenannte Art vorzog. Ein solcher Fall ist die Art und Weise, wie „Brot” ausgelegt wurde. Als sich in die Auslegung der Lehren des Nazareners ein materieller Sinn mit dem unausbleiblichen Mißverständnis seiner Worte und Taten einschlich, wurde das menschliche Denken an der Bedeutung des Brotes irre, namentlich daran, wie es beim letzten Mahl Jesu mit seinen Jüngern gebraucht wurde. Der materielle Sinn hat durch den Versuch, des Meisters Worte: „Nehmet, esset; das ist mein Leib” auszulegen, solch geisterhafte und verworrene Vorstellungen hervorgerufen, wie wir sie z.B. in der Umwandlungslehre finden. Nach einem maßgebenden Wörterbuche vertritt diese Lehre die Ansicht, daß sich der ganze Stoff des Abendmahlsbrots mutmaßlich in den Leib Jesu umwandle, während nur die äußere Erscheinung des Brots bleibe. Das ist nur eine von mehreren Theorien betreffend die angeblichen Umwandlungen des Brots bei der Abendmahlsfeier.
Wie erfrischend es doch ist, nachdem man diese trübseligen Einfälle menschlicher Annahmen betrachtet hat, in „Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift” von Mary Baker Eddy das Kapitel „Versöhnung und Abendmahl” zu lesen! Mit einer jeden Irrtum ausschließenden Einfachheit, die der Echtheitsstempel der Geistigkeit ist, erklärt die Verfasserin dort (S. 36): „Unser Abendmahl ist geistige Gemeinschaft mit dem einen Gott. Unser Brot, ‚das vom Himmel kommt‘, ist die Wahrheit”. Nach dieser Erklärung sind keine geheimnisvollen Veränderungen des materiellen Brots nötig. Die einzige Notwendigkeit ist das Verständnis der Wahrheit oder Gottes, um fähig zu sein, in geistigem Einssein wirklich mit Ihm Gemeinschaft zu haben. Mit andern Worten, sie besteht darin, daß wir geistiger gesinnt werden, indem wir die Wahrheit sich frei entfalten lassen, so daß das Sinnbild nicht nötig ist.
In dem oben erwähnten sechsten Kapitel des Evangeliums des Johannes ist berichtet, daß Christus Jesus sich wesenseins mit der Wahrheit erklärte, als er sagte: „Ich bin das lebendige Brot, vom Himmel gekommen”. Außerdem gab er seiner Erklärung eine praktische Bedeutung für die Anwesenden, indem er ihnen versicherte, daß sie das ewige Leben haben werden, wenn sie von diesem Brot essen. Christi Jesu Mission als Mittler war von hervorragender Bedeutung, weil sie das Einssein Gottes und Seiner Idee, des Menschen, enthüllte. Indem er ihre Unzertrennlichkeit behauptete und zeigte, half er auf natürliche Art der Menschheit, die Nichtsheit des Sterblichen und die Allheit des Göttlichen zu sehen.
Die Christliche Wissenschaft ist zu der gegenwärtigen Zeit gekommen, um durch die „größeren Werke”, die nach Jesu Aussage seine Nachfolger tun sollten, darzutun, wie die Einheit Gottes und des Menschen praktisch bewiesen werden kann. Diese Einheit kann nie von einem materiellen, persönlichen Gesichtspunkte aus verstanden werden. Da ein materieller, persönlicher Sinn des Daseins begrenzt und unvollkommen ist, kann er nie dem gerecht werden, was das Dasein im göttlichen Sinne wirklich ist. Und so ist es nicht schwer zu sehen, daß man willens sein muß, einen materiellen und persönlichen Begriff von den Dingen aufzugeben und das Dasein vom Standpunkte der Wahrheit des Daseins aus zu betrachten. Auf diese Art tritt man seine eigene Mission an und genießt die Freude des Beweises, daß der Mensch tatsächlich Gottes Offenbarwerdung ist.
Wahre Widerspiegelung kann nur dann verwirklicht werden, wenn wir von dem Ursprung, d.h. dem göttlichen Gemüt ausgehen. In Wissenschaft und Gesundheit (S. 477) nennt Mrs. Eddy Identität die Widerspiegelung; und um den Ursprung des wirklichen Menschen zu finden, muß man Gott suchen. Das Einssein Gottes und des Menschen kann also erst völlig verwirklicht werden, wenn es vom Standpunkte Gottes, des Prinzips, der Liebe, aus verstanden wird.
Könnte das Teilnehmen an „dem Brot, das vom Himmel kommt”, vom Standpunkte des Himmels, der göttlichen Harmonie, aus betrachtet, etwas anderes sein als die geistige Erkenntnis der Wahrheit? Eine solche geistige Erkenntnis ist in der Tat der erhaltende und befriedigende Faktor unseres Lebens, der uns die Grundlage zeigt, worauf wir täglich versorgt werden. Manchmal haben Leute, die sich mit der Christlichen Wissenschaft befassen, Schwierigkeiten, ihre rechtmäßtgen menschlichen Bedürfnisse zu befriedigen. Bei solchem Ringen können sie der Schwierigkeit vielleicht dadurch auf den Grund kommen und die Lösung des Problems finden, daß sie sich ernstlich und aufrichtig fragen, was sie erwarten, daß die Christliche Wissenschaft für sie tun werde. In solchen Fällen entdeckt man nicht selten, daß sie erwartet haben, daß die Christliche Wissenschaft sie vor allem mit zahlreichen materiellen Dingen und persönlichen Freuden versorgen würde.
Hat man diese Entdeckung gemacht und die Scheinursache der Schwierigkeit gefunden, so kann man dieses falsche Ziel ganz und gar umkehren. Dann wird man sich nicht mehr fragen, was die Christliche Wissenschaft für einen tun kann, sondern was man tun kann, um die Schönheit und Herrlichkeit der göttlichen Wissenschaft besser zu erkennen und seinen Mitmenschen zu helfen. Man wird finden, daß dies die natürliche Berichtigung des Irrtums ist. Man erwacht zu der Erkenntnis, daß es nie die Mission der Christlichen Wissenschaft war, mehr Materie in den Besitz eines Menschen zu bringen, Und warum? Weil die Materie, ihrer selbstangelegten Verkleidung als begehrenswerte Substanz beraubt, als „Sterblichkeit; ein anderer Name für das sterbliche Gemüt; Illusion” (Wissenschaft und Gesundheit, S. 591) entlarvt ist. Die Menschheit braucht nicht noch mehr Sterblichkeit, mehr sterbliches Gemüt, mehr Trugvorstellung. Sie bedarf dringend der Befreiung von materiellen Begrenzungen und Täuschungen.
Der unwiderlegliche Schluß ist, daß Beweis in der Christlichen Wissenschaft nicht das Erlangen von etwas Materiellem, sondern das Freiwerden von einem materiellen Sinn des Dasein bedeutet. Beweis bedeutet ein höheres Verständnis „des Brots, das vom Himmel kommt”, des Christus oder der Wahrheit, die Jesus lebte und liebte und an der teilzunehmen er seinen Nachfolgern empfahl. Mrs. Eddy erklärt auf Seite 34 in dem Kapitel „Versöhnung und Abendmahl”, daß „Demonstration Immanuel oder Gott mit uns” ist.
Die Christliche Wissenschaft hätte keinen praktischen Wert, wenn geistige Beweise ihrer Wahrheiten nicht menschlich sichtbar würden. So kann der sterblichen Wahrnehmung die allmähliche Befreiung des Denkens als reichlicherer Brotvorrat auf dem Frühstückstisch erscheinen. Wir wollen uns jedoch nicht verleiten lassen zu denken, daß die Brote hauptsächlich der Beweis der Materie seien. Durch Nichtannahme einer solchen Einflüsterung kann man zwischen der materiellen Annahme und der wahren Wesenheit klarer unterscheiden. Trachtete man zuerst nach dem Materiellen, so würde man den Irrtum begehen, die Materie für wirklich zu halten. Wir müssen das Brot — das Verständnis des geistigen Einsseins Gottes und des Menschen — suchen, indem wir unser Denken von ganzem Herzen mit der göttlichen Harmonie beginnen. Ein solches Verhalten, um seiner selbst willen unerschütterlich bewahrt, wird unsere täglichen Bedürfnisse weit besser befriedigen als irgend etwas anderes. Es ist die göttliche Liebe, die göttliche Intelligenz, die in zunehmendem Maße als unser Bewußtsein wirkt. Kein persönliches Planen oder Vorhaben, selbst von der höchsten menschlichen Art, kommt der spontanen Vorsorge und der intelligenten Gründlichkeit göttlicher Tätigkeit gleich.
Eines unserer wohlbekannten Lieder versichert uns, daß „wie wir höher steigen, die Sinnbilder verschwinden”. Steigen wir geistig höher, so sind wir allein mit den göttlichen Tatsachen des Seins. In dem Verhältnis, wie wir uns mit diesen Tatsachen, die die wahre Individualität des Menschen bilden —„die volle Darstellung des Gemüts” (Wissenschaft und Gesundheit, S. 591)— wesenseins machen, werden wir das Dasein verstehen, wie es wirklich ist, und höhere Befriedigung und Freude darin finden. In dieser Weise finden wir jenes „Brot, das vom Himmel kommt”, und so gespeist, sind wir für die Menschheit im allgemeinen von wirklichem Wert. Demnach ist die Einheit und Allheit Gottes der Grundton jedes Beweises des wahren Seins. Das Bedürfnis nach dem Brot des Sakraments als Sinnbild ist verschlungen in die Erkenntnis der Allumfassenheit des einen unendlichen Gemüts, der göttlichen Liebe, deren unendliche, vollständige vollständige und befriedigte Offenbarwerdung der Mensch, die zusammengesetzte Idee Gottes, ist.
