Harmonie ist eine Kundwerdung Gottes, ein durch den Menschen ausgedrückter oder widergespiegelter Zustand des göttlichen Gemüts. Sie ist ein Bewußtseinszustand, der dadurch erlangt wird, daß wir das eine Gemüt in uns sein lassen, „das auch in Christus Jesus war” (engl. Bibel). Um es zu erlangen, ist daher nicht nur Demut und Vertrauen und Gehorsam sondern auch das Aufgeben materieller Wünsche und menschlichen Planens und Ausdenkens erforderlich. Wollen wir frei und harmonisch sein, so müssen wir die von Gott kommende Wahrheit des Seins des Menschen annehmen. Wir dürfen nicht mehr darauf warten, daß etwas geschehe, was uns harmonisch macht, und müssen alles, was wahr ist, als die gegenwärtige Wirklichkeit anerkennen. Tun wir es, so werden wir nicht mehr etwas glauben, was eine Verneinung der Wahrheit ist; wir werden nicht mehr falsche Annahmen bekunden, die tatsächlich nicht bestehen.
Es ist nicht unseres Amts vorzuschreiben, wie geistige Harmonie zuwege gebracht werden soll, weil sie nicht durch das Gestalten der Umstände erlangt wird. Ja, gerade das Umgekehrte ist der Fall! Indem wir unser ewig harmonisches geistiges Selbst anerkennen und verstehen; indem wir dafür zeugen und mental eins damit find, gestalten wir die Umstände harmonisch. Wenn wir demütig und vertrauensvoll in dem sind, das unseres Vaters ist; wenn wir Gott für uns Gott sein lassen; wenn wir die Allheit Gottes und die Nichtsheit des Bösen in allem anerkennen lernen, finden wir, daß sich unser Denken zum Licht aufschwingt und unsere Lasten von uns abfallen. Wir finden, daß wir die gesegnete Freiheit und Harmonie des Bildes und Gleichnisses Gottes genießen.
Knechtschaft jeder Art, sei es Knechtschaft unter Sünde, Krankheit, Freudlosigkeit, Mangel, Arbeitslosigkeit, Niedergeschlagenheit, Verzagtheit, Furcht usw. ist nicht von Gott verordnet, ist nicht göttlich gutgeheißen, ist nicht normal. Und weil sie nicht von Gott verordnet, nicht göttlich gutgeheißen und nicht normal oder recht ist, ist sie nicht wahr. Dies ist nicht bloßer schöner Idealismus, es ist nüchterne Tatsache, die wir alle beweisen lernen müssen. Aber wir werden sie nie als wahr beweisen, solange wir die Knechtschaft für wirklich halten. Und hier müssen wir wachsam sein. Täglich und stündlich sind wir im „Tal des Urteils”, wovon der Prophet Joel sprach, und es ist unsere Arbeit, unsere Pflicht oder vielmehr unser Vorrecht, zu entscheiden, ob Knechtschaft oder Harmonie für uns wirklich sein soll.
Nun, theoretisch entscheiden wir uns alle für Harmonie; aber die Entscheidung darf nicht bloß theoretisch sein: Harmonie muß Tatsächlichkeit für uns sein. Wir müssen unser Denken sorgfältig prüfen und beständig überwachen, um stets auf seiten der Wahrheit zu sein, indem wir des Menschen gottgegebenes Freisein vom Bösen angesichts aller gegenteiligen Anmaßungen des sterblichen Gemüts behaupten.
Zu den Mitteln, womit das sterbliche Gemüt uns zu verhindern sucht, die rechte Entscheidung zu treffen, ob Harmonie oder Mißklang unser Los sein soll, gehören Eigenwillen und Selbstbedauern. Das sterbliche Gemüt mag uns einflüstern, daß die geistige Lösung unseres Problems zu schwierig sei, oder daß sie zu viel Zeit in Anspruch nehme, oder daß unser eigener Plan, es zu lösen, viel besser und praktischer sei. Wenn wir den göttlichen Plan und unsern menschlichen Plan sorgfältig erwägen, finden wir immer, daß Gottes Weg eine Änderung unseres eigenen individuellen Bewußtseins in sich schließt, während der menschliche Plan eine Änderung in Umständen oder in anderen Leuten fordert. Sind hieraus die Überlegenheit und die Anwendbarkeit des göttlichen Plans nicht klar ersichtlich? Als Christliche Wissenschafter können wir unser Bewußtsein vom göttlichen Gemüt so erleuchten lassen, daß wir die wahren Tatsachen des Seins immer besser sehen, anerkennen und als unser wirkliches Selbst beweisen. Dagegen könnten wir unabsehbare Zeit warten müssen, wenn unsere Harmonie von einer Änderung abhinge, die in anderen Leuten oder in den Umständen stattfindet.
Laßt uns frohlocken, daß wir durch die Christliche Wissenschaft Tag für Tag lernen, „alle Vernunft unter den Gehorsam Christi gefangen zu nehmen”! Eigenwille kann nicht mehr das Zepter führen, wenn Gehorsam gegen die geoffenbarte Wahrheit uns von dem falschen Sinn eines von Gott getrennten Selbst befreit. Immer mehr wird dieser falsche Sinn des Selbst als ein Zustand der Selbstbetörung erkannt; aber der Mensch, die Widerspiegelung des einen Ich Bin, kann keinen eigenen Willen haben, da er den göttlichen Willen widerspiegelt.
Auch Selbstbedauern sucht uns davon abzuhalten, die dem Ausdruck Gottes rechtmäßig gehörende Harmonie zu bekunden. Zuweilen mögen wir uns so verletzt, vom Bösen so überwältigt, auf allen Seiten so gehemmt, so ungerecht behandelt fühlen, daß ein Sinn der Empörung uns zu verhindern sucht, klar zu sehen, wo der Fehler liegt. Wenn wir der Annahme nach aus dem bösen Zustand eine Wirklichkeit machen, hält uns der falsche, sterbliche Sinn darüber in der Gewalt, wodurch wir vorübergehend Sklaven falscher mentaler Begriffe werden. Das Heilmittel liegt im Aufgeben des falschen Begriffs; und dies kann nur durch Zugeben der Unwahrheit des Bösen geschehen. Wir können nie etwas Wahres aufgeben.
Demnach können wir uns nicht gründlich genug in acht nehmen, daß wir uns nicht mesmerisieren lassen, irgend welche Wirklichkeit in etwas zuzugeben, was uns schadet. Es den Umständen, der allgemeinen Geschäftsstockung oder eines andern Taten oder Missetaten, eines andern Unfreundlichkeit oder Ungerechtigkeit zuschreiben, heißt eine Ursache dafür suchen und es so als wahr bezeichnen. Selbstbedauern ist nur ein anderer Name für Festhalten an etwas Unwahrem. Über schlechte Zeiten klagen und sich oder andere bedauern, sind Formen des tierischen Magnetismus, die uns leicht so sehr mesmerisieren, daß wir die herrliche Tatsache der Allheit Gottes aus den Augen verlieren und vergessen, den Weg der Harmonie, den Weg des geistigen Verständnisses des Wirklichen und der daraus folgenden Bestätigung der Unwirklichkeit des Bösen zu wählen.
Der Weg der Harmonie ist kein verwickelter Weg; im Gegenteil, der Weg ist einfach, so einfach, daß es dem sterblichen Gemüt zuweilen gelingt, uns gerade wegen seiner Einfachheit ungeduldig zu machen. Und es ist ein gerader und schmaler Weg; daher gibt es keine Abkürzungen, und er bietet uns keine Gelegenheit, Irrtum mitzunehmen. Es ist der Christusweg, der Weg der Erlösung. Denn ist der Messias oder Christus nicht im Propheten Jeremia erklärt als „der Herr unsere Gerechtigkeit”? Diese Gerechtigkeit ist keine persönliche Errungenschaft. In Wissenschaft und Gesundheit (S. 583) bestimmt Mrs. Eddy den Begriff „Christus” als „die göttliche Offenbarwerdung Gottes, die zum Fleisch kommt, um den fleischgewordenen Irrtum zu zerstören”. Gott ist widergespiegelt im Menschen, der von materiellen Annahmen freien göttlichen Idee, die sich ihres Einsseins mit Gott immer bewußt und daher immer harmonisch ist.
Das im Menschen ausgedrückte göttliche Bewußtsein ist harmonisch, und es gibt kein anderes Bewußtsein. Es gibt darin keinen Mangel an etwas Gutem; denn es ist das Bewußtsein alles Guten und steht uns unter allen Umständen zur Verfügung. Die göttliche Wahrheit berichtigt falsche Knechtschafts- und Begrenzungs- annahmen; denn alle sogenannten bösen Zustände sind die Folge des Glaubens an die Abwesenheit Gottes, des Guten, und an die Gegenwart einer andern Macht.
Wenn wir die Allheit Gottes auch nur einigermaßen verstehen und zu sehen beginnen, daß Gottes Allheit alles Wirkliche, alles Wahre in sich schließt, erwachen wir aus dem Traum der Materialität mit ihren Begrenzungen und fürchten uns nicht mehr vor Zuständen, die wir als unwahr — als nicht wirklich geschehen — sehen lernen. Und dies ist an sich eine Befreiung, weil das Böse nur in dem Maße Macht über uns hat, wie wir daran glauben und es fürchten, ihm also Einlaß ins Bewußtsein gewähren und der Ausdruck des falschen Glaubens werden. Der Furcht können wir widerstehen und sie überwinden, wenn wir uns vor allem klar machen, daß es in Wirklichkeit nichts gibt, wovor man sich zu fürchten braucht; denn alles, was wirklich zum Ausdruck kommt, ist eine Offenbarwerdung der göttlichen Liebe — ein Segen. Das einzige, was durch die Christliche Wissenschaft stattfindet, ist die Berichtigung des Glaubens, daß das Böse tätig sei oder Macht habe; denn nur das Gute besteht, und vor dem Guten können wir uns gewiß nicht fürchten. Ein großer Schritt im Überwinden der Furcht ist das freudige und dankbare Anerkennen der Tatsache, daß der Mensch als Gottes Bild frei von Furcht ist, weil diese so wenig ein Teil vom Menschen wie von Gott ist. So lernen wir verstehen und anerkennen, daß unser ewig gegenwärtiger, liebender Vater-Mutter-Gott allen Schatten, alle Finsternis und daher alle Furcht mit dem herrlichen Licht Seiner unendlichen Allheit vertreibt. Und indem die Klarheit Seiner Gegenwart unser Bewußtsein erfüllt, verlieren wir den Furchtsinn und erkennen, daß Gottes Bild sich der Freiheit bewußt ist.
Laßt uns die Furcht nicht fürchten sondern meistern, indem wir stets anerkennen, daß sie nicht in unserem Bewußtsein ist, weil sie kein Teil des dem Menschen von Gott verliehenen Bewußtseins ist. Furcht ist immer mit Unwissenheit im Bunde, mit Unkenntnis dessen, was wirklich stattfindet, mit Unkenntnis der Allheit Gottes. Wenn wir verstehen, daß Gott in der Tat das Weltall und den Menschen regiert, wird es uns klar, daß das Böse nur eine Machtanmaßung ist und nie tatsächlich existiert.
Unsere liebe Führerin sagt uns (Miscellaneous Writings, S. 154): „Es ist die Absicht der göttlichen Liebe, das Verständnis und das Reich Gottes, die schon in uns herrschende Harmonie, wieder zu beleben”. Um uns des Guten bewußt zu werden und so in unser harmonisches Sein zu gelangen, müssen wir unsere Gedanken auf das Wirkliche gerichtet halten. Josua gebot den Kindern Israel, als sie vor den Mauern Jerichos standen, „um die Stadt zu gehen”. Sie sollten ihre Gedanken unausgesetzt auf das ersehnte Ziel und nicht auf die Hindernisse gerichtet halten und nichts anderes miteinander reden, ihre Stimmen zu nichts anderem erheben als zu Dank- und Siegesgeschrei — der Anerkennung, daß Gott ihnen die Stadt gegeben hatte.
Ist dies nicht eine nützliche Lehre für uns alle? Wenn wir im Denken bei den Anmaßungen des Bösen weilen, unser Bewußtsein mit trüben Ahnungen erfüllen, über unsere eigenen und anderer Leute Schwierigkeiten reden, über schwere Zeiten, über Mangel, Arbeitslosigkeit und böse Zustände seufzen, drücken wir für den Augenblick das Böse und nicht die Eigenschaften des göttlichen Gemüts aus. Laßt uns daher wachsam sein, daß wir in unser Bewußtsein keine falsche Annahme einlassen, die unsern Sinn der Allheit Gottes zu trüben sucht, und laßt uns Danklieder fingen und Gott, das Gute, anerkennen! Dann stürzen die Zweifels- und Furchtmauern ein und zerfallen.
Das heißt nicht, daß wir vor dem Bösen die Augen verschließen sollen. Wir müssen mehr als dies tun: wir müssen die Nichtsheit des Bösen sehen — es vernichten. Wir müssen durch den Nebel hindurchblicken, müssen das Licht der Wahrheit die Wolken durchdringen lassen. Wir dürfen das Böse uns nicht gegen des Menschen Freiheit und ewige Harmonie blind machen lassen. Der Mensch ist frei von allem Bösen, und durch unsere Erkenntnis dieser herrlichen Tatsache, nicht dadurch, daß wir von Irrtum träumen und darüber reden, bringen wir Harmonie in unsere gegenwärtige Erfahrung.
Die Wahrheit beweisen ist eine nützlichere Beschäftigung als sich um widrige Umstände sorgen und darüber klagen. Wir können uns nicht ernstlich genug in acht nehmen, daß wir nicht mesmerisiert werden, aus dem Bösen der Annahme nach eine Wirklichkeit zu machen. Erlösung vom Bösen ist nur möglich, weil das Böse nichts ist. Wenn es eine Tatsache wäre, nichts imstande, die Menschheit davon zu befreien. Unsere Erlösung besteht daher darin, daß der wirkliche Mensch — und es gibt keinen andern Menschen — frei ist und immer frei gewesen ist; daß er in der Tat sein harmonisches Sein ungehindert ausdrückt.
Laßt uns Gott bitten, uns zu helfen, daß wir die wahre Erkenntnis des Menschen nicht aus den Augen verlieren! Laßt uns demütig und sanftmütig dem großen Wegweiser nachfolgen! Mrs. Eddy schreibt (Wissenschaft und Gesundheit, S. 476, 477): „Jesus sah in der Wissenschaft den vollkommenen Menschen, der ihm da erschien, wo den Sterblichen der sündige, sterbliche Mensch erscheint. In diesem vollkommenen Menschen sah der Heiland Gottes eigenes Gleichnis, und diese korrekte Anschauung vom Menschen heilte die Kranken. So lehrte Jesus, daß das Reich Gottes unversehrt und allumfassend ist, und daß der Mensch rein und heilig ist”. Diese richtige Anschauung vom Menschen, die Erkenntnis und Anerkennung der ewigen Unversehrtheit, Vollkommenheit und Harmonie des Menschen, ist eine ununterbrochene und freudige Entfaltung dessen, was das wahre Sein in sich schließt, und diese richtige Anschauung vom Menschen ist heute so gewiß der Weg zur Harmonie wie einst, als Jesus an den Ufern des Galiläischen Meeres wandelte.
