Wahrscheinlich keine andere Glaubensgemeinschaft könnte ein besseres Selbstbeherrschungsregister vorweisen als die Christlichen Wissenschafter. Der Christliche Wissenschafter, der in der Wahrheit der Allheit Gottes unterwiesen ist, der weiß, daß Gott die allgegenwärtige Liebe ist, und daß es keine der Liebe oder dem Guten entgegengesetzte Macht als Wirklichkeit gibt, kann durch Nachdenken über diese und ähnliche geistige Wahrheiten Einflüsterungen von Besorgnis und Furcht zurückweisen und ein beträchtliches Maß von Gelassenheit und Selbstbeherrschung erlangen.
Eine weitere Hilfe des Christlichen Wissenschafters zur Erlangung der Selbstbeherrschung ist sein Verständnis der Selbstregierung. Gott, der das All in allem ist, ist der Schöpfer des Menschen und des Weltalls; und der Mensch als Gottes Idee spiegelt Gott in Ordnung und Harmonie vollkommen wider. Der wirkliche Mensch ist also immerwährend unter Gottes Obhut oder Regierung. In dem Verhältnis, wie der Wissenschafter dies versteht, und wie sein Denken mit der geistigen Wahrheit übereinstimmt, ist er göttlich regiert, und Selbstbeherrschung entfaltet sich in entsprechendem Verhältnis. Dies ist Selbstregierung, wie Mrs. Eddy den Begriff auf Seite 106 in „Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift” definiert: „Der Mensch regiert sich eigentlich nur dann selber, wenn er sich von seinem Schöpfer, der göttlichen Wahrheit und Liebe, richtig leiten und regieren läßt”.
Selbstregierung und Selbstbeherrschung sind auf allen Gebieten des täglichen Lebens erforderlich. Ohne sie würden sich die Räder der Gesellschaft nicht harmonisch bewegen. Das Geschäft würde ohne ihre Gegenwart stillstehen. Das Familienleben würde gelähmt werden, und seine Schönheiten würden verblassen, wenn es ihrer beraubt würde. Und sie sind auch unentbehrlich für die, deren Pflicht es ist, an der Gemeinde- oder Staatsverwaltung oder an internationalen Angelegenheiten teilzunehmen. Tritt an Stelle der Selbstregierung und der Selbstbeherrschung Eigenwille, Rücksichtslosigkeit und ein schwankender Sinn für Recht und Gerechtigkeit, so ist Meinungsverschiedenheit mit möglichem Abbruch der Beziehungen die unausbleibliche Folge. Einer der wegen seines beruhigenden Einflusses wünschenswertesten Züge des menschlichen Charakters ist Selbstbeherrschung, was für eine Stellung man auch bekleiden mag.
Wie wertvoll Selbstbeherrschung auch in der Kirchenverwaltung ist! Da sie der Sprößling geistigen Verständnisses ist, ist sie mit liebevoller Freundlichkeit, Rücksicht, Mitgefühl und Erbarmen vereinigt, Sie ist mit Geduld im Bunde und verbürgt wohlerwogenes Urteil, so daß man durch sie seine Worte abwägen und weisen Rat erteilen kann. Sie hindert einen, ungerecht und voreilig zu urteilen und läßt einen alle Seiten einer Frage erwägen, Selbstbeherrschung ist also ein großer Vorzug derer, die an unserer demokratischen Kirchenverwaltung teilnehmen, da sie allen, die unter ihrem Einfluß stehen, hilft, anderen die in dieser Verwaltungs- form inbegriffenen gleichen Rechte und Vorrechte zu gewähren.
Da Selbstbeherrschung so wertvoll ist, sollte jeder Christliche Wissenschafter bestrebt sein, sie in größerem Maße zu besitzen. Er sollte gerade so darum beten, wie er betet, daß Güte und Liebe beständig bei ihm weilen mögen. Unsere Führerin schreibt auf Seite 126 in „Miscellaneous Writings”: „Wer hat nicht schon die Erfahrung gemacht, daß er, wenn er allein ist, auf seine Gedanken, im Kampf mit der Menschheit auf seine Stimmung und in Gesellschaft auf seine Zunge acht geben muß?” Sie betont hier die Notwendigkeit der Selbstbeherrschung. Indem wir über ihre Worte nachdenken, denken wir wieder an die Selbstbeherrschung, die ihr eigenes Leben kennzeichnete, und erkennen, daß ihr dadurch und durch beständige Vergegenwärtigung ihres Einsseins mit dem vollkommenen Gemüt die wunderbaren Werke möglich wurden, die sie vollbrachte.
Manchmal fällt uns in Zweigkirchen-Geschäftssitzungen der Mangel an Selbstbeherrschung bei jemand auf. Läßt man sich vom Eigenwillen treiben, so kann man in Zorn geraten und sein Gleichgewicht verlieren. Hat man dann die Selbstbeherrschung verloren, so kann man törichte, unwissenschaftliche Worte äußern, wodurch die Eintracht der Versammlung gestört wird. Wie bedauerlich dies ist! Man denke an die Wirkung, die es auf das neue Mitglied haben kann, das vielleicht seiner ersten Geschäftssitzung beiwohnt, an die Enttäuschung, die es ihm bereiten kann, an die Möglichkeit, daß seine gute Meinung von denen erschüttert wird, die er als Christliche Wissenschafter geistig höher gestellt hatte, als anscheinend gerechtfertigt war. Sollten nicht alle Mitglieder mit andächtiger Sorgfalt achtgeben, daß sie nicht einen „Stein des Anstoßes” in den Weg des geistigen Fortschritts anderer Mitglieder legen?
Außerdem können Anhängern der Christlichen Wissenschaft, die beabsichtigen, Mitglied der Kirche zu werden, Fälle unwissenschaftlichen Betragens infolge von Mangel an Selbstbeherrschung zu Ohren kommen. Könnte etwas anderes mehr dazu beitragen, Zweifel über die Ratsamkeit eines solchen Schrittes im Denken der geistig Empfindsamen zu wecken als ein solches Betragen? Sogar diejenigen, die sich durch Mangel an Selbstbeherrschung haben Mangel an Weisheit zuschulden kommen lassen, können auf die Frage nur eine Antwort geben, nachdem die Flamme des Eigenwillens und der Selbstüberhebung erloschen ist.
„Der Weisheit Anfang ist, wenn man sie gerne hört und die Klugheit lieber hat als alle Güter”. „Wohl dem Menschen, der mir [Weisheit] gehorcht, daß er wache an meiner Tür täglich, daß er warte an den Pfosten meiner Tür” (Spr. 4, 7; 8,34). Weisheit und Selbstbeherrschung, Früchte geistigen Verständnisses, sind in jedem Kirchenmitglied unbedingt notwendig. Selbstprüfung — häufige Selbstprüfung — ist nötig, um uns über unsern Standpunkt hinsichtlich dieser wertvollen geistigen Eigenschaften zu vergewissern. Denn sicher ist es unser Wunsch, den Weg klar und harmonisch zu machen für alle, die mit uns die geistigen Ideale fördern, die uns die Christliche Wissenschaft in so hervorragender Weise gegeben hat, und das ewige Leben beweisen.
