Der natürliche Wunsch der Menschen ist, ein gewisses Maß des Vollbringens auszudrücken, sei es auch nur das bescheidene Streben nach glücklichen menschlichen Beziehungen oder die sachverständige Ausführung einer anvertrauten Aufgabe. Die Grenzen, die die Menschen ihrem Vollbringen setzen, zeigen sich manchmal in der Abgeneigtheit, den ersten wichtigen Schritt zu tun, manchmal, wenn sie mit Schwierigkeiten und Verzögerungen zu kämpfen haben, in der Unfähigkeit auszuharren.
Jesus erkannte nur einen Zweck und einen Maßstab, als er erklärte: „Darum sollt ihr vollkommen sein, gleichwie euer Vater im Himmel vollkommen ist”. Diese Aufforderung zum Vollbringen ist nicht etwas, was die Zaghaften entmutigen oder erschrecken soll, so wenig wie sie von denen, die gern mit so viel weniger als Vollkommenheit zufrieden sind, sorglos beiseitegesetzt werden darf. Sich materieller Begrenzung unterwerfen oder daran glauben, ist einer der größten Feinde der Menschheit, den nur das Bewußtsein des göttlichen Selbst beseitigen kann. Zu diesem Zwecke ermahnte der Apostel Paulus die Menschen manchmal mit überzeugender, manchmal mit feuriger Beredsamkeit. Es darf kein Erschlaffen der Tatkraft oder der Absicht geben, „bis daß wir alle hinankommen ... und ein vollkommener Mann werden, der da sei im Maße des vollkommenen Alters Christi”.
Gehorsam gegen das Christusgebot, vollkommen zu sein, die unendlichen Möglichkeiten, die greifbare Herrlichkeit des Menschen als Gottes Gleichnis zu erkennen, ist die Lehre der Christlichen Wissenschaft.
Nur durch erhabenen Blick und geheiligtes Leben lernen die Menschen die Bedeutung wahren Fortschritts und Vollbringens verstehen. Nur auf diese Art können sie die Hemmungen und die Unfähigkeiten beseitigen, die die Bemühungen der Eifrigen und Strebsamen zu lähmen und ihre Erwartungen zu dämpfen suchen. Nur so werden die grundlegende Unwahrheit des Mißlingens und, was nicht weniger wichtig ist, die Leere bloßen menschlichen Erfolgs aufgedeckt und zerstört.
Weder die Rufe „Hosianna in der Höhe” noch „kreuzige ihn” konnten Jesus von seinem Ziele ablenken. Daß es einem gelingt oder mißlingt, dem sterblichen Gemüt zu gefallen, ist weder für Ehre noch für Unehre ein Maßstab. Nur was auf dem Prinzip, auf der ehrlichen Absicht und dem Wunsche beruht, der Menschheit zu dienen, ist lobenswert. Ein solches Bemühen kennt kein Mißlingen, selbst wenn eine Belohnung nicht sofort sichtbar ist, da der materielle Sinn der Gottähnlichkeit Raum gegeben hat. Die Christliche Wissenschaft lehrt, daß sowohl persönliche Begrenzung als auch persönlicher Sieg unwirklich ist. In der Erkenntnis der Gottessohnschaft tritt an Stelle des menschlichen Verlangens nach Erfolg und der Furcht vor Mißerfolg der Wunsch, in jeder Erfahrung einen Schrittstein zu Gott zu finden.
In dem Weltall des Geistes, wo alles schon geschaffen und als sehr gut bekannt ist, ist Vollkommenheit nicht das Ergebnis von Mühe und Kampf, oft auf Kosten anderer, sondern das mühelose Wirken des Prinzips und seiner Gesetze, die die einzige Intelligenz und Nützlichkeit des Menschen bilden.
Das Vollbringen des Menschen als Gottes Idee ist unbegrenzt. Mrs. Eddy schreibt auf Seite 183 in „Miscellaneous Writings”: „Alles, was Gott möglich ist, ist dem Menschen als der Widerspiegelung Gottes möglich”. Hier ist das unbegrenzte Gebiet und die unbegrenzte Fähigkeit dessen dargelegt, der die eine Voraussetzung für alle Tätigkeit erkennt, wie Jesus sie erkannte. Wenn die Menschen den sterblichen Augenschein von sich und von jedem andern nicht mehr als Beweis des Erreichten ansehen und demütig und standhaft die Überzeugung ihres Einsseins mit unbegrenztem Vollbringen geltend machen, sind sie nicht mehr beschränkt, nicht mehr von lähmenden Zweifeln und Verboten gehindert. Sie sehen überall die unendlichen Möglichkeiten Gottes.
Selten, wenn überhaupt je, beginnen die Menschen neue Unternehmungen ohne die Einflüsterung eines möglichen Mißerfolgs, da sie an zwei Mächte glauben. Unsere Führerin erzählt, wie diese Versuchung an Jesus gegen Ende seiner Laufbahn herantrat, als er verlassen und verraten am Kreuze hing: „Hatten Leben, Wahrheit und Liebe ihn in seiner höchsten Demonstration verlassen? Das war eine erschreckende Frage. Nein! Sie mußten in ihm bleiben und er in ihnen, sonst würde jene Stunde ihres machtvollen Segens für das Menschengeschlecht beraubt worden sein” (Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift, S. 50). Und so erhob unser Meister durch den Sieg selbstloser Liebe diese Erfahrung über das, was das gewaltigste Mißlingen gewesen wäre, zum herrlichsten Sieg.
Christus Jesus bewies, daß es für das, was mit dem göttlichen Prinzip verbündet ist, keine Begrenzung der Vollendung oder der Belohnung geben kann. Er bewies, daß jede Anstrengung der Bosheit und des Hasses, die geistige Idee zu zerstören, angesichts unerschrockenen Muts und Vertrauens machtlos ist. Die Herrlichkeit, die er bei dem Vater hatte, „ehe die Welt war”, konnte durch die Finsternis der Verzweiflung nicht ausgelöscht werden. Im Bewußtsein seines Einsseins mit der göttlichen Liebe überwand er den Tod und das Grab, und an ihre Stelle trat das ewige Leben.
Mrs. Eddy stieß bei der Gründung und der Einführung der Christlichen Wissenschaft auf bitteren Widerstand, auf unversöhnliche Entschlossenheit, ihren Zweck zu vereiteln. Wie beständig in jenen Jahren, als immer wieder Mißlingen und Abtrünnigkeit drohten und die kleine Schar Arbeiter und ihre Führerin manchmal fast zu überwältigen schienen, der Gedanke an Jesu Standhaftigkeit sie ermutigt und erleuchtet haben muß! Dank dieser göttlichen Eigenschaften ist die Sache der Christlichen Wissenschaft von Dauer und siegreich gewesen.
Jede menschliche Erfahrung kann vorteilhaft dazu dienen, den Sinn der Werte der Menschen festzustellen, wodurch sie den göttlichen Maßstab erhöhen und das Urteil der Welt als unwesentlich verwerfen lernen. Daher werden sie weder Umstände noch Ereignisse störend auf das sich erhebende Denken, dessen Ziel der Geist ist, einwirken lassen. Sowohl Jesu als auch Mrs. Eddys Beispiel bieten dafür einen hervorragenden Beweis.
Beim Erlangen des Verständnisses der Herrlichkeit, die der Christus, die Wahrheit, als dem Menschen innewohnend offenbart, ist jede Gelegenheit zum Überwinden als Beweis der Gottessohnschaft willkommen. Von dieser Vision der unendlichen Möglichkeiten der von Weisheit und Kraft erfüllten Schöpfung Gottes schreibt unsere geliebte Führerin auf Seite 323 des christlich-wissenschaftlichen Lehrbuchs: „Angesichts der unendlichen Aufgaben der Wahrheit halten wir inne—warten auf Gott. Dann dringen wir vorwärts, bis der schrankenlose Gedanke voll Entzücken dahinwandelt, und der unbeschränkte Begriff sich beschwingt, damit er die göttliche Herrlichkeit erreiche”.
