„So ist nun nichts Verdammliches an denen, die in Christo Jesu sind, die nicht nach dem Fleisch wandeln, sondern nach dem Geist”, sagt Paulus. Diese große Verkündigung ist nicht nur eine metaphysische Erklärung der wirklichen und ewigen Freiheit in Christo, sondern auch eine Aufforderung an die Menschheit, diese Freiheit durch Überwinden des falschen menschlichen Verdammungsgesetzes zu beweisen. Der erleuchtete Verfasser deutet das Verfahren dieses Beweises an, wenn er hinzufügt: „Denn das Gesetz des Geistes, der da lebendig macht in Christo Jesu, hat mich frei gemacht von dem Gesetz der Sünde und des Todes”.
Die Christliche Wissenschaft hat die Notwendigkeit der Handhabung des im menschlichen Denken scheinbar weitverbreiteten Wirkens des mutmaßlichen „Gesetzes der Sünde” und der sie begleitenden Strafe aufgedeckt und scharf ins Licht gerückt. In ihren Anmerkungen über das 1. Buch Mose im christlich-wissenschaftlichen Lehrbuch „Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift” (S. 522) erläutert Mrs. Eddy die vermeintliche Grundlage dieses sogenannten Gesetzes, indem sie zeigt, daß sie durch „eine Hypothese des Irrtums” entstanden ist. Ganz unten auf derselben Seite bemerkt sie zur biblischen Geschichte des sogenannten „Sündenfalls” im zweiten und in den folgenden Kapiteln des 1. Buchs Mose: „Verdammt der Schöpfer Seine eigene Schöpfung? Ändert sich das unfehlbare Prinzip des göttlichen Gesetzes, oder bereut es? Das kann nicht sein. Nach verständnislosem Durchlesen des Schriftberichts, der hier besprochen wird, könnte man jedoch so urteilen”.
Die Folge des „verständnislosen Durchlesens des Schriftberichts” war das uralte Unterlassen des Unterscheidens zwischen dem von Gott geschaffenen Menschen, dem wirklichen, geistigen Menschen, der nie verdammt wird, und dem Adammenschen, einem materiellen Begriff, der nie wirklich war und nie wirklich sein wird, und der, weil unwahr, immer von der Wahrheit verdammt wird. Die Christliche Wissenschaft lehrt uns bestimmt und wissenschaftlich erklären und wissen, daß wir in Wirklichkeit geistig und unsterblich sind; daß die Fälschung keinen Teil an uns hat, und daß wir in Wirklichkeit nicht damit zusammenhängen. Diese Lehre stimmt mit der Erklärung im ersten Briefe des Johannes überein: „Wir sind nun Gottes Kinder”.
Es ist also einleuchtend, daß sich diese Schöpfung, die Gott widerspiegelt, nicht verdammen kann, da Gott Seine Schöpfung nicht verdammt. Selbstverdammung ist daher im Grunde genommen arglistiges falsches Denken. Die Einflüsterung Selbstverdammung ist erfolgreicher, wenn sie sich als Demut und Sanftmut verkleidet. Wahre Sanftmut schließt jedoch die geistige Erkenntnis und die Anerkennung der wahren Gottessohnschaft des Menschen in sich—einer Sohnschaft, die unverdammt und unberührt ist von der selbstischen Selbstherabsetzung oder Selbstüberhebung materieller Gesinnung.
Eine andere falsche Darbietung der Selbstverdammung ist die, die Entmutigung zu begleiten scheint. Sogar große religiöse Denker und Arbeiter haben diese Anwandlung gelegentlich geäußert. Der Psalmist rief aus: „Was betrübst du dich, meine Seele, und bist so unruhig in mir?” Paulus, der große christliche Kämpfer, erklärte in dem Widerstreit seines Kampfes mit dem Bösen: „Denn das Gute, das ich will, das tue ich nicht; sondern das Böse, das ich nicht will, das tue ich. ... Ich elender Mensch! wer wird mich erlösen von dem Leibe dieses Todes?”
Diese und alle ähnlichen Anwandlungen sind nur verschiedenartige beharrliche Anstrengungen des Irrtums, uns zu bewegen, ihm eine Ursache zuzuschreiben. Woher kam das Böse? Diese Frage, anders beantwortet als in der durch die Christliche Wissenschaft gewonnenen klaren Erkenntnis, daß das Böse nie irgendwoher kam, und daß es keinen Ursprung und keine Geschichte, kein vergangenes, gegenwärtiges oder zukünftiges Dasein hat, führt zum Glauben an die Behauptung, daß das Böse als Wirklichkeit bestehe, daß wir es daher nicht überwinden können. Die trügerische Folgerung ist überdies, daß wir es überwinden sollten, und daß etwas mit uns nicht in Ordnung sei, wenn wir es nicht überwinden. Daher seien wir, fährt der Einwand fort, wegen dieses Nichtüberwindens zu verdammen, und es sei besser, wenn wir mit der Verdammung selber beginnen, als zu erwarten, daß jemand anders es tue. So mißt Selbstverdammung dem Bösen Ursache, Wirkung und Wirklichkeit bei. Was wir als wichtig erkennen müssen, ist, daß das menschliche Bewußtsein nicht einfach deshalb zu verdammen ist, weil das Böse sich anmaßt, sich dort zu zeigen.
Vielleicht offensichtlicher falsch als Selbstverdammung, aber keineswegs weniger schädlich ist die Gewohnheit, andere zu verdammen. Diese Neigung spielt sich oft als die Tugend auf, den Irrtum zu sehen und zu handhaben. Aber allzu- oft ist es nur der Mantel der Selbstgerechtigkeit, der überhebliche Wunsch, den Anschein zu erwecken, daß man die geistige Fähigkeit habe, Irrtum zu erkennen. Oft läßt dieses Verhalten eine gewohnheitsmäßig tadelsüchtige Gesinnung erkennen. Solches Denken kann den Irrtum nicht im Sinne der Christlichen Wissenschaft handhaben. Es nimmt ihn nicht einmal recht wahr, weil es glaubt, etwas zu sehen, was in Wirklichkeit nicht besteht, nämlich menschliche, sterbliche Sünder, die verdammungswürdig sind. Es ist in der Christlichen Wissenschaft gewiß, daß einer die mental gehegten und vielleicht von ihm oder von anderen körperlich ausgedrückten falschen Annahmen nicht heilen und überwinden kann, solange er zugibt, daß der Irrtum wirklich sei. Ein falscher Sinn der Verdammung verhindert daher das Erlangen des zum Heilen nötigen geistigen Verständnisses.
Mrs. Eddy zeigt die Wichtigkeit der Handhabung sowohl der Selbstverdammung als auch des Irrtums, andere zu verdammen, wenn sie die bestimmte Ermahnung gibt (The First Church of Christ, Scientist, and Miscellany, S. 249): „Du kannst das Böse als bloßen Begriff verdammen, ohne jemand oder deinem eigenen sittlichen Sinn zu schaden, aber verdamme Personen, wenn überhaupt je, selten. Benütze jede Gelegenheit, Sünde durch deine eigene Vollkommenheit zu berichtigen”.
In unserem Bestreben, uns und anderen in der Christlichen Wissenschaft zu helfen, ersehen wir aus der Bibel, daß das Irrtumsunkraut in der Ernte vom Weizen, d.h. von der geistigen Wahrheit des Menschen getrennt werden soll. Das Unkraut wird dann verbrannt, zerstört. Der Weizen wird verschont und wird dem menschlichen Bewußtsein durch ein klareres Verständnis, daß das wahre Sein des Menschen das Bild oder die Idee Gottes ist, wahrnehmbarer. Diese Berichtigung des Denkens durch die Wahrnehmung der göttlichen Eigenschaften des wirklichen Seins ist das Verfahren der christlich-wissenschaftlichen Ausübung. Die Heilung sollte aber nicht durch eine scheinbare Vermischung von Wahrheit und Irrtum verhindert werden, indem der Irrtum zuerst persönlich gemacht und dann eine solche Personifizierung verdammt wird. Hierüber schreibt unsere Führerin (Miscellaneous Writings, S. 117): „Der Christliche Wissenschafter muß zuerst das Unkraut vom Weizen trennen; zwischen dem Gedanken oder Beweggrund und der Tat unterscheiden, die von dem falschen Beweggrund oder dem wahren—dem von Gott eingegebenen Vorhaben und Wollen—veranlaßt wird, jenem Einhalt tun und diesem gehorchen. Dies wird ihn auf die sichere Seite der Betätigung bringen”.
Den falschen Sinn der Verdammung überwinden, bedeutet also nicht Irrtum und Sünde übersehen, sie nicht handhaben wollen oder sie verzeihen, sondern sein Bewußtsein befreien von Gewohnheiten verdammenden Denkens, die, wenn gehegt, gerade die Irrtümer in Schutz nehmen, die zerstört werden sollten. Es bedeutet auch, daß wir erkennen müssen, daß der wirkliche Mensch nie verdammt worden ist und jetzt unter keinem Gesetz der Verdammung oder der Strafe steht; daß es in Wirklichkeit kein sterbliches Gemüt gibt, das verdammen kann, und keine Sünde oder Krankheit, die als Strafe aus einer solchen falschen Verdammungsanmaßung hervorgeht. Diese Wahrheit wirkt befreiend. Die Beseitigung der Furcht beseitigt die falschen leiblichen Zustände, die diese Furcht ausdrücken. Die vermeintliche Strafe hört auf, wenn die falsche Annahme durch die Wahrheit berichtigt ist.
In dieser wie in jeder christlichen Betätigung hat uns unser Meister unter der Führung des göttlichen Gemüts das Beispiel gegeben. Er verdammte den Irrtum, indem er ihn rügte, sooft eine solche Rüge zur Heilung nötig war. Aber da er Gottes unendliches Erbarmen ausdrückte und zu denen sprach, die die Kraft der Wahrheit begehrten, sagte er auch, was wir sagen lernen müssen: „So verdamme ich dich auch nicht; gehe hin und sündige hinfort nicht mehr!”
