Ein französisches Sprichwort lautet: Tout comprendre, c’est tout pardonner —„Alles verstehen, heißt alles vergeben”. Dies ist ein Grundsatz, den wir als Christliche Wissenschafter vor Augen behalten müssen.
Beim Ergründen der Christlichen Wissenschaft machen wir viele Entwicklungsstufen durch. Und trotz ihrer vollkommenen Lehre scheint es bei vielen von uns lange zu dauern, von der Gewohnheit zerstörenden Tadelns frei zu werden. Die Christliche Wissenschaft lehrt, daß „die Wahrheit nicht umgekehrt werden kann; daß aber die Umkehrung des Irrtums wahr ist”, wie Mary Baker Eddy schreibt (Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift, S. 442). Warum dann zerstörendes Tadeln nicht durch die ideale Wahrheit ersetzen, damit wir beim Heilen mitwirken können?
Die Lehre der Christlichen Wissenschaft ist genau. Wir erkennen daher, daß viel Selbstprüfung erforderlich ist, um Fortschritt zu machen. Wir prüfen uns und werden mit zunehmendem Verständnis in unserem Denken wachsamer. Sind wir demütig genug, so sehen wir, daß unsere Fehler kein Teil des wahren Seins sind; wir trennen uns von ihnen und geben sie auf. Es kann scheinen, daß wir uns durch diesen Vorgang der Fehler anderer mehr bewußt werden. Aber wir müssen erkennen, daß Irrtum in anderen gerade so unwirklich ist wie in uns selber, sonst erheben wir uns nicht über den Nebel des materiellen Sinnenzeugnisses, sondern lassen zerstörenden Tadel wahrscheinlich ein Irrtumspfeil werden.
Mrs. Eddy sagt uns (Wissenschaft und Gesundheit, S. 491): „Der materielle Mensch ist aus unwillkürlichem und willkürlichem Irrtum zusammengesetzt, aus negativem Recht und positivem Unrecht, das sich Recht nennt”. Fragen wir uns: Was sehen wir? Sehen wir den materiellen Menschen, oder nehmen wir trotz der falschen Einflüsterungen des Sinnes den wahren Menschen wahr? Der zu Gottes Bild und Gleichnis gemachte wirkliche Mensch kann nichts ausdrücken, was der Vollkommenheit des Seins unähnlich ist. Diese wahre Erkenntnis befreit uns und andere von dem ungerechten Urteil sterblichen Glaubens.
Unsere Führerin gibt uns den Rat: „Geliebte Christliche Wissenschafter, laßt euer Gemüt immer von der Wahrheit und der Liebe so erfüllt sein, daß Sünde, Krankheit und Tod nicht hineinkommen können”. Und etwas weiter unter fährt sie fort: „Gute Gedanken sind eine undurchdringliche Schutzwehr; seid ihr damit angetan, so seid ihr vor Irrtumsangriffen jeder Art vollständig geschützt. Und nicht nur ihr seid sicher, sondern auch alle, auf denen eure Gedanken ruhen, werden dadurch gesegnet” (The First Church of Christ, Scientist, and Miscellany, S. 210).
Die einzige mit der Lehre der Christlichen Wissenschaft übereinstimmende Haltung des Denkens ist Erbarmen und Duldsamkeit in Verbindung mit Selbstentäußerung. So überlassen wir das Feld Gott, der alle, die Ihn um Hilfe bitten, führt und regiert. Laßt uns zwischen unseren Mitmenschen und Gott nicht vorsätzlich den Schleier des Sinnenzeugnisses ziehen, was nur zu Verwirrung führt! Wir sollten hierin so wachsam sein, wie wenn wir eine körperliche Kundwerdung zu berichtigen haben, die die Folge falschen Denkens ist.
Jakobus mahnt uns: „So jemand das ganze Gesetz hält und sündigt an einem, der ist’s ganz schuldig”. Laßt uns beten, daß wir gegen unsern Mitmenschen duldsamer sind, ohne das Böse zu entschuldigen, indem wir erkennen, daß niemand dieselbe Erziehung und Erfahrung, dieselbe Umgebung oder dieselben Umstände zu bekämpfen gehabt hat!
Mrs. Eddy schreibt (Miscellaneous Writings, S. 158): „Alle Diener Gottes sind jede Minute bereite Männer und Frauen”; und sie fügt hinzu: „Laßt uns treu und gehorsam sein, und Gott wird das Übrige tun!” Dies weist klar den Weg. Nur durch Gehorsam gegen die göttliche Liebe können wir uns die heilende Kraft zunutze machen. Unsere Führerin stellt große Anforderungen an die Liebe, die die Liebe widerspiegelt, und wir sollten es auch tun. Kein falscher Glaube kann in das Reich Gottes, das Reich der Liebe, gelangen. Warum sollten wir dann versucht sein, falschen Glauben als wirklich anzusehen? Wahre Selbstprüfung läßt den falschen Sinn, daß der Mensch sterblich sei, verschwinden und ihn durch den wahren Sinn, daß der Mensch vollkommen ist, ersetzen. An diesem wahren Sinn müssen wir festhalten, wenn das Flüstern der Schlange — des Bösen — unsere Fähigkeit, jede Minute bereite Diener der Liebe zu sein, niederzureißen und zu zerstören sucht.
Die Welt von heute schreit nach Verständnis und Einigkeit und Frieden. Die Christlichen Wissenschafter müssen vorangehen. In dem Verhältnis, wie wir durch die Christliche Wissenschaft zur Vollkommenheit gelangen, werden wir der Welt Frieden und Einigkeit geben.
Nur liebevolle und wahre Gedanken führen uns auf die geistige Höhe, die unser Meister erreichte. Laßt uns daher freundlich und rücksichtsvoll sein und daran denken, daß im geistigen und wissenschaftlichen Sinne „alles verstehen alles vergeben heißt”.