„Siehe, das ist Gottes Lamm”, sagte Johannes der Täufer zu zweien seiner Jünger, als sie Jesus vorübergehen sahen. Diese folgten daher Jesus nach und fragten ihn, wo er wohne. Er lud sie ein: „Kommt und sehet’s!” Und es heißt: „Sie kamen und sahen’s und blieben den Tag bei ihm”.
Wie grundlegend, wie tiefbedeutsam die Frage war, die die Jünger des Johannes an Jesus richteten, wie überaus wichtig, daß sie, die seine Einladung annahmen, geistig wahrnehmen sollten, wo er weilte — von ihm lernen sollten, dort ebenso gelassen und unbeirrt zu weilen!
Auf Seite 36 in „Nein und Ja” hat Mrs. Eddy erklärt, wo Jesus weilte. „Jesu wahres und bewußtes Sein verließ nie den Himmel um der Erde willen. Es weilte immerdar droben, selbst während die Sterblichen glaubten, es wäre hier”, schreibt sie. In dieser ewigen Wohnstätte ist der Mensch vor Geburt und Tod, vor Unreife und Verfall, vor Zufall und Wechsel bewahrt. Hier gibt es kein Kommen und Gehen, kein Sichzurückziehen oder Hervortreten. Hier bleibt er sich ungeachtet der Gefahr oder Wandelbarkeit des sterblichen Daseins vollkommen bewußt, daß die Wohnstätte des Geistes weder überfallen noch gestört werden kann.
Zur Erfüllung seines göttlichen Zwecks, die kranke und sündige Menschheit von ihrem Elend zu befreien, schien es den Sterblichen wesentlich, daß Christus Jesus hier war, an ihrem täglichen Leben teilnahm, auf ihren Straßen wandelte und in ihre Häuser kam. Aber diejenigen, die kamen und sahen, erfuhren, wo er tatsächlich weilte. Sie wurden, so unklar und schwach ihr Verständnis noch gewesen sein mochte, in die Gegenwart des Christus geführt und waren sich des Friedens und der Kraft bewußt, die dort wohnten.
Heute ergeht an alle Christlichen Wissenschafter die Aufforderung, das Banner der Wahrheit in ihrem Leben so hochzuhalten, daß die Welt es sehen und die brennende Frage au sie richten kann: „Wo wohnst du?” Wie wesentlich es ist, daß sie ebenso liebevoll teilnehmend wie Jesus sagen können: „Kommt und sehet’s”!
Könnte jemand eine großmütigere Einladung erhalten als zu kommen und zu sehen, wo allein das wahre Dasein zu finden ist? Gibt es eine größere Freude als dort weilen zu lernen? In den drei Jahren, die jenem ersten bei Jesus zugebrachten Tage folgten, sollte diesen Jüngern und allen, die die Vorbedeutung seiner mächtigen Worte und Werke verstanden, bewiesen werden, wo des Menschen ewig zur Verfügung stehende Wohnstätte zu finden ist, welche Erlösung und die Versicherung der allgegenwärtigen Liebe bringt.
Sterbliches Verlangen oder Furcht, sterbliche Entschlossenheit oder Schwachheit, Teilnahmlosigkeit oder Unwissenheit haben verhindert, daß das Vorbild Jesu recht beachtet worden ist, während das Zeugnis der materiellen Sinne mit ihrer gefährlichen Umgebung, die manchmal angenehm und fruchtbar, oft schmerzhaft und zerstörend war, das angenommene Los der Menschheit war. Solange die Menschen an ihrem Glauben an zwei Orte festhalten, anstatt geltend zu machen und zu beweisen, daß der Mensch wegen seines Ursprungs und seiner Verwandtschaft mit Gott in der Allgegenwart weilt, werden sie in der wahren, geistigen Bedeutung des Wortes heimatlos bleiben. Sie werden die Einladung des Christus: „Kommt und sehet’s” nicht beachten und daher davon ausgeschlossen sein. Hier und jetzt unser Erbe des Lebens und der Liebe antreten, wie es in den Lehren der Christlichen Wissenschaft enthüllt ist, heißt erkennen, daß wir „immerdar droben”, im Bewußtsein des geistigen Selbst weilen, von wo wir nicht einmal einen Augenblick vertrieben werden können, mögen die Verfahren des Bösen auch noch so beharrlich, ja sogar grausam sein.
Von denen, die die von Jesus gelehrte und bewiesene wahre Art des Menschen wahrgenommen haben, erklärt Mrs. Eddy: „Ein solcher Mensch bleibt im Leben — in dem Leben, das nicht durch den Körper erlangt wird, der außerstande ist, das Leben zu erhalten, sondern durch die Wahrheit, die ihre eigene unsterbliche Idee entfaltet” (Wissenschaft und Gesundheit, S. 325). Und die Randüberschrift lautet: „Im Leben bleiben”.
Als Jesus seinen Jüngern und der Welt die unsterbliche Idee enthüllte, wollte er sie lehren, wie praktisch dieses Verständnis der wahren Wohnstätte des Menschen in der Kundwerdung der göttlichen Kraft und daher in ihrem persönlichen Ausdruck der Herrschaft sein würde.
„So ihr in mir bleibet und meine Worte in euch bleiben, werdet ihr bitten, was ihr wollt, und es wird euch widerfahren”, sagte er zu ihnen. Hier haben wir die Versicherung des ewigen Einsseins mit dem Willen des Vaters durch geistige Gemeinschaft. Nur in dieser Weise werden die Menschen „kommen und” die Wahrheit „sehen”, „die ihre eigene unsterbliche Idee”, das geoffenbarte Himmelreich, „entfaltet”.
An jenem Tage, den die Jünger des Johannes in der strahlenden, erhabenen Gesellschaft Jesu zubrachten, mag es ihnen ganz einfach und natürlich vorgekommen sein, zu weilen, wo er weilte. Aber zurück im Getriebe und Getümmel, im Druck und Wettkampf der weltlichen Wohnstätten mochte es nicht so leicht sein. Nur die aus göttlicher Schlußfolgerung geborene Intelligenz, die zwischen dem Wahren und dem Falschen entschlossen unterscheidet, nur die Heiligung, die in bewußtem Einssein mit dem göttlichen Prinzip das laute Auftreten des persönlichen Sinnes, den Einwand des materiellen Selbst verwirft, siegen in diesem Kampfe. Trotzdem macht jeder Kampf, der von einem solchen Standpunkt aus gefochten wird, den Sieg des nächsten gewisser, die wahre Wohnstätte sicherer.
In der Entdeckung der göttlichen Wissenschaft durch unsere Führerin ist die Tatsache enthüllt worden, daß der Ort, wo wir weilen möchten, und der Mensch, der wir sein möchten, uns als Ideen des Gemüts jetzt gehören. Es erfordert unserseits nur den Willen, gehorsam zu sein, dem Beispiel, den Forderungen der von Jesus bekundeten Wahrheit gehorsam zu sein, dem, was wir als den Weg des Lebens erkannt haben, beständig treu zu sein.
Die Verheißung der Erfüllung jedes geistigen Verlangens, daß uns die Dinge, um die wir bitten, gewährt werden, hängt nach Jesus nicht von mehreren Ereignissen, sondern nur von dem einen Erfordernis ab — in dem Christus und in dem Wort, wie er es gelehrt hat, zu bleiben. In dem Maße, wie die Menschen „kommen und sehen”, was dies in der Entfaltung der Wahrheit in ihrem Leben bedeutet, wenn sie sich der großen Aufgabe widmen, sie auch in den Herzen aller Menschen aufzurichten, werden sie mit der freudigen Begeisterung des Psalmisten nach Mrs. Eddys Auslegung auf Seite 578 ihres Lehrbuchs sagen können: „Gutes und Barmherzigkeit werden mir folgen mein Leben lang, und ich werde bleiben im Hause des Herrn [in dem Bewußtsein der Liebe] immerdar”.