In einer Klasse in Psychologie in der Fortbildungsabteilung einer großen Universität erklärte der Lehrer, daß die Christliche Wissenschaft 90 Prozent der Krankheiten des menschlichen Körpers heile. Eine Christliche Wissenschafterin in dieser Klasse suchte seine Ansicht zu berichtigen durch eine Bemerkung in ihrer Prüfungsarbeit, daß die Annahme, die Christliche Wissenschaft wirke nur in neunzig von hundert Fällen, die Allmacht Gottes beschränken hieße. Der Lehrer verteidigte seine Theorie jedoch; er bestand darauf, daß die Christliche Wissenschaft erfolgreich sei, weil sie eine Psychologie sei, die eine gewisse Denkart anspreche, und daß sie daher die den meisten menschlichen Krankheiten zugrunde liegenden Störungen in den Verrichtungen, oder durch Empfindungen verursachte Störungen berichtigen könne; daß jedoch nicht zu erwarten sei, daß sie organische Krankheiten heilen könne.
Christliche Wissenschafter sind dankbar für das zunehmende Anerkennen, daß die Christliche Wissenschaft heilt; aber sie sehen in dem Urteil dieses Lehrers eine allgemeine falsche Auffassung vom christlich-wissenschaftlichen Heilen. Sie wissen und beweisen, daß es nicht psychologisch ist im allgemein gültigen Sinne einer Wissenschaft, die sich mit den verschiedenen Seiten des menschlichen Gemüts befaßt. Sie wissen, daß es kein Aufdecken und Zergliedern von Irrtümern im menschlichen Bewußtsein und deren Berichtigung durch andere menschliche Züge ist. Sie wissen, daß es keine bloße Glaubensheilung ist. Es ist auch keine durch Einflüsterung mesmerisch wirkende Heilkunde. Es ist Heilung durch geistige Erneuerung, das Offenbarwerden der Wahrheit im Bewußtsein des einzelnen, daß der Mensch mit dem Gemüt, das Gott ist, eins und untrennbar davon ist.
Die Christliche Wissenschaft heilt durch das Verständnis Gottes und das Verständnis der Einheit des Menschen mit Gott. Sie heilt durch das Anerkennen, daß Gott das eine vollkommene Gemüt, die eine vollkommene Ursache ist, und daß alles, was besteht, die Wirkung dieser Ursache ist. „Der Christliche Wissenschafter, der wissenschaftlich versteht, daß alles Gemüt ist, fängt mit der mentalen Ursächlichkeit, mit der Wahrheit des Seins, an, den Irrtum zu zerstören“, erklärt Mary Baker Eddy im Lehrbuch der Christlichen Wissenschaft, „Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift“ (S. 423). Und sie fügt hinzu: „Dieses Milderungsmittel ist ein alterierendes Heilmittel, das jeden Teil des menschlichen Organismus erreicht.“
Christlich-wissenschaftliche Heilung erfolgt also, wenn die Vollkommenheit der Schöpfung Gottes einigermaßen als die einzige Tatsache anerkannt wird. Sie erfolgt in dem Verhältnis, wie dem Bewußtsein die Erkenntnis aufgeht, daß Gott, das Gute, alle Macht, alle Gegenwart, alles Wissen ist, und daß der zu Gottes Ebenbild geschaffene wirkliche Mensch diese göttlichen Eigenschaften ausdrückt und widerspiegelt. Eine sich so entfaltende Vergegenwärtigung führt natürlich und unvermeidlich zum Aufgeben der Annahmen, daß Leben und Intelligenz in der sogenannten Materie seien. Sie vernichtet den falschen Glauben, daß es viele Gemüter gebe, durch die wissenschaftliche Tatsache, daß es nur das eine allumfassende Gemüt gibt, das in unendlichen Individualitäten zum Ausdruck kommt.
Alle erfahrenen Wissenschafter wissen, daß Heilungen erfolgen durch einen einfachen Glauben an Gott, auch wenn Er tatsächlich noch wenig verstanden wird. Die Bereitwilligkeit, alte Annahmen aufzugeben, und Gott und den Menschen in Seinem Bild und Gleichnis besser verstehen zu lernen, führt zu einer Befreiung des Denkens, die sodann sofort Befreiung von sogenannter körperlicher Unfähigkeit und von Unbehagen bringt. Aber eine solche Heilung ist, obwohl sie vollständig und vollkommen ist, nur eine Aufforderung zum weiteren Ergründen und Anwenden der Christlichen Wissenschaft, das zu einem größeren Erfassen jener geistigen Ideen führt, die das göttliche Gemüt dem Bewußtsein des einzelnen beständig mitteilt, und das durch die Enthüllung, daß das Gemüt und seine vollkommene Schöpfung die einzigen Wirklichkeiten sind, eine Wiedergeburt des einzelnen und des Menschengeschlechts bewirkt.
Mrs. Eddy gibt den wahren Sinn der Psychologie, wenn sie in Wissenschaft und Gesundheit erklärt: „Die prophylaktischen und therapeutischen (d. h. die vorbeugenden und heilenden) Künste gehören entschieden der Christlichen Wissenschaft an, wie man leicht erkennen kann, wenn man die Psychologie oder die Wissenschaft des Geistes, Gottes, versteht“ (S. 369). Diese Stelle zeigt klar, daß die Entdeckerin und Gründerin der Christlichen Wissenschaft die Nutzlosigkeit anderer „Gemütsheilverfahren“ kannte, wie sie auch jeweils der Mode entsprechend heißen mochten.
Durch das Heilen von Krankheit bewies Jesus die unmittelbare Verfügbarkeit des Gesetzes Gottes in den Angelegenheiten der Menschen. Aber er hatte eine unendlich größere Bestimmung: die Erlösung der Menschheit aus der Knechtschaft ihrer unzähligen falschen Annahmen. Durch seine Lehre und sein Wirken gab er zu verstehen, daß die Menschen nur in dem Maße erlöst werden, wie das Bewußtsein des einzelnen zur Erkenntnis der großen Wahrheit der Einheit oder des Einsseins des Menschen mit Gott erweckt wird. „Das Reich Gottes kommt nicht mit äußerlichen Gebärden“, sagte er zu den Pharisäern, „man wird auch nicht sagen: Siehe, hier! oder: da ist es! Denn sehet, das Reich Gottes ist inwendig in euch“ (Luk. 17, 20. 21).
Die Evangelien enthalten die Vorschrift und das Vorbild für alle soziale, politische und religiöse Verbesserung. Sie zeigen von Anfang bis zu Ende, daß die Erneuerung der Welt mit dem einzelnen beginnen muß; daß er genau in dem Verhältnis, wie er aus dem Geist wiedergeboren wird, zu der Erlösung des Menschengeschlechts beiträgt. Über die Bedeutung der Worte, mit denen Jesus seine Bestimmung erklärte, besteht kein Zweifel (Joh. 18, 37): „Ich bin dazu geboren und in die Welt gekommen, daß ich für die Wahrheit zeugen soll.“
Die Christliche Wissenschaft hat dieselbe Bestimmung wie Christus Jesus. Mrs. Eddy hat sie für alle, die hören wollen, dargelegt in „Miscellaneous Writings“ (S. 4, 5): „Die Christliche Wissenschaft hat nicht nur die Bestimmung, die Kranken zu heilen, sondern auch Sünde im sterblichen Denken zu vernichten. Wird diese Arbeit gut getan, so wird sie das Menschengeschlecht höher heben und läutern.“
Die Christlichen Wissenschafter vermeiden die Fallgruben von Verbesserern, die glauben, die Erlösung der Menschheit könne durch Gesetzgebung für die Massen erreicht werden. Sie werden weiterhin arbeiten, den einzelnen zur Erkenntnis zu führen, daß nichts ihm sein Recht rauben kann, seinem Verständnis des Gesetzes Gottes, des Gesetzes des Guten, des Gesetzes des einen vollkommenen Gemüts entsprechend zu denken und zu handeln.