Des Menschen Bewußtsein seines völligen Einsseins mit Gott ist etwas sehr Individuelles und Heiliges. In der Bibel sowohl wie in den Schriften Mary Baker Eddys, welche die Christliche Wissenschaft entdeckte und gründete und so der Menschheit den von Christus Jesus verheißenen Tröster brachte, wird es als ein „Verborgensein“ bezeichnet. Im 91. Psalm zum Beispiel lesen wir von dem „Schirm des Höchsten“ und dem „Schatten des Allmächtigen“; und in „Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift“ schreibt Mary Baker Eddy (S. 15): „Die Christen erfreuen sich stiller Schönheit und Fülle, verborgen vor der Welt, aber Gott bekannt.“
Wie aus der letzteren Anführung hervorgeht, bezieht sich dies Verborgensein nur auf den materiellen oder weltlichen Sinn; mit andern Worten: dieser sogenannte Sinn ist von dem Geheimnis der Verborgenheit ausgeschlossen. Doch diese Verborgenheit ist keineswegs gültig in bezug auf das geistige Verständnis; denn dieses Verständnis kennt alle Wirklichkeit.
Dies ist eine wertvolle Tatsache. Sie erklärt die vollkommene Sicherheit jeder geistigen Idee und daher jedes individualisierten Bewußtseins, das sich mit der geistigen Idee identifiziert. Die geistige Idee ist die Idee des göttlichen Geistes oder Gemüts; wie gesagt, sie stellt den vollkommenen Menschen dar. Sie ist der Begriff, den das unendliche Gemüt im Bild und Gleichnis dieses Gemüts bildet, und verbleibt immerdar in dem Gemüt, das sie bildet. Daher ihre Sicherheit, ihre Gewißheit vollkommenen Schutzes.
In dem Gemüt, das vollkommen ist, kann es nur Bewußtsein der Vollkommenheit geben. Nichts Böses, keine böse Vorstellung kann dort Einlaß finden. Das Böse bedeutet eine Verringerung, das Gegenteil der Vollkommenheit. Daher kann das Böse niemals Gott, das vollkommene Gemüt, kennen oder von Gott gekannt werden. Es kann das wahre Gemüt nicht finden, denn es kann es nicht wahrnehmen. Es kann es nicht wahrnehmen, denn es hat keine Fähigkeit, sich desselben bewußt zu werden. Bewußtsein gehört ausschließlich zu dem Gemüt, das nur die Wirklichkeit kennt, das Gegenteil des Bösen. Hieraus ergibt sich das Gefeitsein der geistigen Idee gegen alle Angriffe des Bösen.
Dank der Lehren der Christlichen Wissenschaft hat jeder Mensch das Vorrecht, sich selbst mit der geistigen Idee Gottes als Mensch zu identifizieren. Jedem steht es frei, den geistigen Sinn in seinem Bewußtsein als sein ganzes Bewußtsein zu benutzen. Ein jeder kann die Eigenschaften Gottes, des göttlichen Geistes, der unendlichen Liebe, in solcher Weise benutzen, daß die scheinbare Gegenwart anderer Eigenschaften in ihr Nichts zurücksinkt, in die Unbewußtheit, die solche Eigenschaften kennzeichnet.
Es ist eine gewisse Würde in dieser Verborgenheit, durch die der Mensch vor der Sünde geborgen ist. Keine Verfolgung des sterblichen Sinnes, keine Entwürdigung, keine Demütigung, keine Beeinträchtigung unserer Tüchtigkeit kann die Feste dieses geistigen Geborgenseins stürmen. Der Mensch, der unter dem Schatten dieses Geborgenseins in Gott weilt, ist unverletzbar. Und die geistige Erkenntnis kann jederzeit das falsche Bild der Sterblichkeit aus dem menschlichen Sinn auslöschen und Zuflucht finden in dem verborgenen Reich des göttlichen Gemüts.
„Wenn du aber betest“, mahnte Christus Jesus, „so gehe in dein Kämmerlein und schließ die Tür zu und bete zu deinem Vater im Verborgenen; und dein Vater, der in das Verborgene sieht, wird dir's vergelten öffentlich.“ Das Beten geschieht immer im Verborgenen. Und das Beten höret nimmer auf. Der Mensch, der von dem Kämmerlein seines Gebets aus auf die Schöpfung hinausschaut, sieht den wahren Menschen und das Weltall, wie Gott sie geschaffen hat. Bei diesem Schauen gibt es nur das Bewußtsein des Guten.
Während nun das Heiligtum des Gebets eine feste Burg für das individuelle Einssein mit Gott ist, so ist es trotzdem möglich für einen jeden, der Gott versteht, auch einem andern zu helfen, die Nebel des Mißverständnisses in bezug auf Gott zu vertreiben. Niemand kann in das Bewußtsein eines anderen eindringen; doch die Einheit des Gemüts ist derart, daß ein Mensch, der auf Wunsch sein geistiges Verständnis anwendet, um einem andern zu helfen, wissen kann, wessen sich der andere in Wirklichkeit bewußt ist, denn er kennt das Gemüt, das die Quelle allen Bewußtseins ist.
Wenn bei diesen Beziehungen der Hilfeleistung demjenigen, dessen Beistand erbeten worden ist, gewisse persönliche Angelegenheiten anvertraut werden, so sollte dabei die Bedingung des Geheimhaltens streng beobachtet werden. Sie sollten als Mitteilungen betrachtet werden, die nicht so sehr dem Ausüber als dem Christusbewußtsein gemacht wurden, und zwar zur Darlegung ihrer Nichtigkeit, insofern eine Vorstellung der Unvollkommenheit darin enthalten ist. Ein Verraten solch vertraulicher Auskunft seitens des Ausübers wäre ein Zeichen der Nichtachtung des Gebets und Gottes, an den das Gebet gerichtet wird. Vor einer solchen Nichtachtung warnt Mrs. Eddy die Christlichen Wissenschafter im Handbuch Der Mutterkirche (Art. VIII, Abschn. 22): „Den Mitgliedern dieser Kirche sollen alle Privatmitteilungen seitens ihrer Patienten heilig sein; desgleichen alle Auskunft, die sie auf Grund der Beziehung eines ausübenden Vertreters zum Patienten erhalten mögen.“ Sie fügt hinzu, daß wer dem zuwiderhandelt, von der Kirche zur Rechenschaft gezogen werden soll.
Obwohl das Beten im Verborgenen — nämlich, im Bewußtsein von des Menschen vollkommenem Beschlossensein in Gott — völlig geistig ist, so hat es trotzdem eine wiederbelebende Wirkung auf das menschliche Bewußtsein und dadurch auf das menschliche Erleben. Das Erleben ist nicht auf die Materialität beschränkt. Es ist das sich offenbarende Bewußtsein. Niemand kann sich fürchten, der diese verborgene Zufluchtsstätte gefunden hat. Niemand kann sich jemals eines Verlustes des Lebens bewußt sein, der sich vor der Drohung eines solchen Verlustes geistig nicht fürchtet. Niemand kann Mißerfolg haben oder zu haben scheinen, der bewußt in dem geistigen Sinn beschlossen ist; denn die sterbliche Annahme, die allein Mißerfolge zu kennen beansprucht, kann ihn dort nicht erreichen.
Auf diese öffentliche Vergeltung eines Gebets im Verborgenen gründete Mrs. Eddy die Christliche Wissenschaft im Bewußtsein der Menschen. Die Wirkung dieser individuellen Gemeinschaft des Menschen mit Gott, die in besserer Gesundheit und höherer Sittlichkeit Ausdruck findet, gibt den Ausschlag zugunsten der geistigen Idee. Ebenso wie Jesus seine Botschaft an Johannes sandte (Matth. 11:5): „Die Blinden sehen und die Lahmen gehen, die Aussätzigen werden rein und die Tauben hören, die Toten stehen auf und den Armen wird das Evangelium gepredigt“, so verkündete Mrs. Eddy der Menschheit ihre Botschaft, daß sie das nie versagende Gebet entdeckt hätte, das von dem unwiderleglichen Heilbeweis begleitet ist.
Ihre Leistung war nicht intellektueller Natur. Mrs. Eddy wies solche Ansprüche direkt zurück in den folgenden Worten (Wissenschaft und Gesundheit, S. 505): „Dieses Verständnis ist nicht intellektuell, nicht das Ergebnis gelehrter Errungenschaften; es ist die ans Licht gebrachte Wirklichkeit aller Dinge.“ Die Wirklichkeit ist geistig, und es bedarf des geistigen Sinnes, um sie zu erkennen. Der Intellekt hat zwar seine Berechtigung, doch kann er niemals in die Verborgenheit des Gebets eindringen. Er kann niemals die Tür zum Kämmerlein des Gebets öffnen. Viele intellektuelle Versuche sind gemacht worden; doch ist das geistige Ziel dadurch niemals erreicht worden, noch wird es dadurch je erreicht werden.
Der Intellekt gehört zu den Verfeinerungen des sogenannten menschlichen Gemüts, die Geistigkeit dagegen besteht in der Vollkommenheit des göttlichen Geistes, Gottes. Die reines Herzens sind, nicht notwendigerweise die scharfen Verstand haben, sind diejenigen, die mit der Fähigkeit gesegnet werden, Gott zu schauen. Demütige Verehrung des großen Schöpfers, echte Liebe zum göttlichen Prinzip des Seins, wird immer die unumgängliche Vorbedingung sein, um die Tür zum Allerheiligsten zu öffnen — der verborgenen Stätte der ausschließlichen Treue des Menschen zu seinem Schöpfer — wie der Apostel Paulus sagt (1. Kor. 2:5): „Euer Glaube bestehe nicht auf Menschenweisheit, sondern auf Gottes Kraft.“