In den letzten Jahren ist viele Musik, die seit Jahrhunderten für die Welt verlorengegangen zu sein schien, wieder ans Licht gebracht worden. Staubige Regale alter Büchereien sind durchsucht worden, um verlorene Handschriften zu finden; und veraltete Instrumente, die nötig sind, um jene alten Noten zu spielen, sind wiederhergestellt oder nachgebildet worden. So haben Töne in Formen und Weisen, wie sie seit Generationen nicht mehr gehört wurden, den Musikliebhabern neue Freuden gebracht. Ohne Ton und Klang würden die Harmonien dieser Kompositionen keinen Ausdruck finden und weiter der Vergessenheit verfallen sein. Doch jetzt fangen die vergessenen Seiten wieder an, im Tone zu leben; und Instrumente, die lange schwiegen, beginnen zu klingen in rhythmischem und melodischem Ausdruck.
Mary Baker Eddy, die Entdeckerin und Gründerin der Christlichen Wissenschaft, vergleicht in ihrem Buch „Miscellaneous Writings“ (Vermischte Schriften) die Beziehungen zwischen Gott und dem Menschen mit Harmonie und Klang. Hier sagt sie (S. 46): „In der Wissenschaft stellt der Mensch sein göttliches Prinzip dar — das Leben und die Liebe, die Gott sind — ebenso wie die Idee des Klanges die Harmonie in Tönen darstellt“. Doch die Christliche Wissenschaft offenbart Gott als beständig dargestellt und den Menschen als den unaufhörlichen, lebendigen Ausdruck der Liebe. Sie bringt die wunderbare Wechselbeziehung zwischen dem Geist und seiner Schöpfung ans Licht und beweist durch die Heilung, daß es keinen einzigen Augenblick in der zeitlosen Geschichte der Liebe gibt, in dem der Mensch weniger als Gottes tätiger Ausdruck des Guten ist.
In der Wissenschaft bestehen Gott und der Mensch zusammen. Der eine würde ohne den andern unvollständig sein und keine Wesenheit besitzen — keine Daseinsberechtigung. Anzunehmen, daß diese Einheit zerstört werden kann, bedeutete anzunehmen, daß Gott zum Schweigen gebracht und die Harmonien der Seele des Ausdrucks beraubt werden könnten. Mrs. Eddy betont die untrennbaren Beziehungen zwischen Gott und dem Menschen, wenn sie in ihrem Buch „Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift“ wie folgt schreibt (S. 477): „Der Mensch ist der Ausdruck der Seele. Die Indianer hatten einen Schimmer von der unterliegenden Wirklichkeit, wenn sie einen gewissen schönen See ‚das Lächeln des großen Geistes‘ nannten.“ Und dann fügt sie noch hinzu: „Getrennt vom Menschen, der Seele ausdrückt, würde Geist eine Nichtwesenheit sein; der Mensch, geschieden vom Geist, würde seine Wesenheit verlieren.“ Dann erklärt sie die Unmöglichkeit einer solchen Trennung.
Erfolg in der christlichen Heilung beruht auf dem Verständnis dieser Tatsache. Der Mensch besitzt nichts von seinem Schöpfer Getrenntes. Seine Gesundheit ist des Geistes Offenbarung der Heiligkeit. Sein Sehvermögen ist eine individualisierte Fähigkeit des Gemüts. Seine Fähigkeiten zeugen von Gottes Weisheit und Intelligenz. Seine Unsterblichkeit drückt die Unzerstörbarkeit der Liebe aus. In der Unendlichkeit des Gemüts gibt es keine Entfremdungen, keine Trennungen, keine geteilten Interessen; denn die Liebe ist das göttliche Prinzip, dessen Ideen die Harmonie des einen guten Schöpfers bekunden.
Nur in der unwirklichen Sinnenwelt scheinen die Menschen Sterbliche zu sein, die von Gott und von ihren Mitmenschen getrennt sind und sich bemühen, eine Gottheit zu erreichen, die erschreckend weit von ihnen entfernt ist, und sich verzweifelt an einige wenige zweifelhafte Genossen zu klammern, um ein Gefühl gegenwärtiger Beständigkeit festzuhalten. Da scheint das Leben in der Materie zu wohnen, die Wahrnehmung von einem körperlichen Organismus und die Intelligenz von dem Gehirn abzuhängen, und die Fähigkeiten scheinen ein Spiel des Zufalls zu sein.
Welche Befreiung bringt doch die Christliche Wissenschaft von solchen Selbsttäuschungen von Leben und Fähigkeit, die von einem liebenden Vater getrennt sind! Große Heilungen von Sünde, Kummer und Leiden sind das Ergebnis eines solchen Verständnisses, daß der Mensch die Idee des Gemüts ist, und daß durch diese Idee die reinen Elemente des Guten, welche die Gottheit ausmachen, ausgelöst werden; daß gerade durch dieses individuelle Bewußtsein, das der Mensch darstellt, die Liebe ihren eigenen göttlichen Charakter entfaltet. Wer auf diese Wahrheiten andächtig und in ernstem Streben Anspruch erhebt, der wird finden, daß sein Erleben sich bereichert und vertieft, denn seine Kraft nimmt zu, seine Menschenliebe erweitert sich, seine Gesundheit wird besser, seine Wahrheitsliebe standhafter, sein Wahrnehmungsvermögen schärfer und seine Freude ungetrübter.
Der Meister erkannte des Menschen Einssein mit Gott, und er bewies es immerwährend. Er sagte: „Ihr werdet erkennen, daß ich.. . nichts von mir selber tue“, und weiter: „der Vater läßt mich nicht allein“ (Joh. 8:28, 29). Der Verfasser des Hebräerbriefes muß die tiefen geistigen Wahrheiten verstanden haben, welche die Werke des Meisters ans Licht brachten, denn er sprach von ihm als dem „Glanz seiner [der göttlichen] Herrlichkeit und dem Ebenbild seines Wesens“ (Hebr. 1:3). Wir alle — Ihr sowohl wie ich — spiegeln in unserm wirklichen Sein die Herrlichkeit des Geistes wider. Als Gottes Ideen entstammen wir dem Gemüt und entfalten unaufhörlich unser unsterbliches göttliches Prinzip. Unsere Aufgabe in der Wissenschaft ist es, die Schönheit und Vollkommenheit der unendlichen Liebe auszudrücken, ebenso wie die Töne der Musik die Schönheit der Harmonie in geordneter Beziehung zu einander zum Ausdruck bringen.
Die Christliche Wissenschaft zerstört das ängstliche Gefühl eines Getrenntseins von Gott. Sie erhebt einen über die Täuschung, daß er sozusagen auf sich selber angewiesen ist in einer Laufbahn des Selbstausdruckes, oft einer sündhaften Laufbahn, die auf der Annahme aufgebaut ist, daß es eine gewisse Befriedigung gewährt, etwas Gottunähnliches auszudrücken. Die Wissenschaft erklärt den einzig wahren Selbstausdruck als das, was die wirkliche, von Gott regierte Selbstheit offenbart — das unsterbliche Bild der Liebe.
Die Sünde verliert ihre scheinbare tyrannische Herrschaft über denjenigen, der sein wahres Selbst versteht als etwas der Gottheit unbedingt Notwendiges und deshalb als etwas, dessen sie niemals beraubt werden kann, da sie es braucht um ihren Plan auszudrücken. Die Tatsache von des Menschen untrennbarer Einheit mit seinem Ursprung macht es ihm möglich, jeden Antrieb zur Sünde zu überwinden, ob dieser nun auch kleinlich, gewalttätig oder heimtückisch sei. Unsere Führerin spricht von dieser Macht in ihrem Werk „Unity of Good“ (Die Einheit des Guten, S. 54), wo sie volle Zurückweisung der Sünde und sogar eines Anspruchs der Sünde fordert; „denn“, sagt sie, „wenn der Anspruch der Sünde im geringsten Grade zugegeben wird, dann zerstört die Sünde das Einssein mit Gott oder die Vereinigung mit Gott, — eine Vereinigung, welche die Sünde als ihren mächtigsten und tödlichsten Feind erkennt.“
Hieraus ersehen wir, wie notwendig es für uns ist, die Aufgabe des Menschen als untrennbar von Gott zu erkennen, denn diese Erkenntnis zerstört die aggressiven, alles vereitelnden Suggestionen, daß wir die sündlosen Eigenschaften, die zum Dienste Gottes notwendig sind, nicht ausdrücken können. Ausdruck ist das unbedingte Gesetz des menschlichen Daseins, die unwandelbare Ordnung der Existenz des Menschen. Gottes Ausdruck Seiner eigenen Natur und Fähigkeit ist unbegrenzt und frei, und Seine Widerspiegelung ist nicht eingehemmt und behindert in ihrer Offenbarung des Guten.
Wer demütig genug ist, seine Annahme eines von Gott getrennten Lebens aufzugeben, entdeckt seine wahre Wesenheit, die niemals von dem Geist abgetrennt werden kann, sondern in dem immerwährenden, hilfreichen Ausdruck der Harmonien der Liebe ihre Daseinsberechtigung findet.